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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Gegen den Staatssozialismus.

bei ihr die Verstandesthätigkeit, zu der uns Ältere die Erfahrung anleitet. Und
nur das Unbewußte siegt, im Leben wie in der Kunst.

In einem erstaunlichen Kontrast zu dem präzisen Stile Barths und den
freilich oberflächlichen, aber von seinem Standpunkte aus nicht unverständigen
Ausführungen Broemels steht nun die erste Abhandlung. Sie ist schwer wieder¬
zugeben wegen ihres ganz molluskenhaften Charakters. Ein Thema hat sie
nicht, wenigstens ist die Überschrift: "Invasion des Staatssozialismus" kein
Thema, sondern nur eine Phrase. Gedankengänge kennt sie auch nicht. Man
ist zu Anfang gerade so weit wie am Schluß, und dreht sich in einem Zirkel
trotz der vier Kapitel, in die sie eingeteilt ist. Man könnte sie eine Ouvertüre
nennen, in welche die Leitmotive des Dramas durch- und übereinander gebrockt
sind. Die Tonart ist ein sehr entschiedenes Moll. Der Inhalt wimmelt von
Vorwürfen gegen die Feinde, den Staat, die eignen Anhänger, von Zetergeschrei
über alles, was schon ruinirt sei, von Beschwörungen, man möge doch um
Gotteswillen Frieden halten, sonst ginge alles zu Grunde, von Insinuationen
und Verdächtigungen; ja selbst Beleidigungen fehlen nicht. Ich muß darauf
verzichten, die zahlreichen logischen Kraftleistungen der Schrift hier einzeln zu
würdigen. Hochergötzlich ist, wie Bamberger den Staatssozialismus im einzelnen
charakterisirt. Kapitalistisch heiße bei ihm soviel wie sündhaft. Bei den Debatten
über Besteuerung des Kapitals frage man immer nur: Wie faßt man den
Dieb? Die Gegenpartei bestehe aus Raubrittern, die "Pfeffersäcke niederwerfen"
wollen. Der Staatssozialist erkenne im Diesseits nichts als die Materie an,
das geistige Element verlege er ins Jenseits. Human sei er nur gegen Kaninchen,
die vivisezirt werden sollten, Menschen gönne er die Prügelstrafe. Wer sich
nicht für Hauen und Köpfen begeistere, gelte für schwächlich n. s. w. Man
sieht, es ist Stimmung in dieser Schilderung. Humanität ist das dritte Wort.
Und vom Standpunkt der Humanität aus erschallen denn auch sicherlich
die wohlgemeinten Warnrufe an das deutsche Volk, daß sein ganzes bißchen
Hab und Gut jetzt aus dem Spiele stehe, wenn es nicht umkehre in das gelobte
Land Manchester.

Nun, mit solchen Warnrufen ist es eine eigne Sache. Manchmal hofft
der Warner von seiner Warnung mehr für sich als für den Gewarnten. Um
irgend ein hier gar nicht hergehöriges Beispiel zu nehmen: Niemand warnt
seine Opfer mehr vor Leichtsinn und Verschwendung als der Wucherer, und
niemand sucht eifriger vom Hasardspiel abzuraten als der glückliche Spieler,
der kalte Füße bekommen hat. Von so etwas kann hier natürlich nicht die Rede
sein. Herrn Bambergers Warnungen sind ja von der Humanität diktirt! Und
materiell mag er Recht haben. Es wird eine bittere und langwierige Kur
werden, der sich unser Volk unterziehen muß. Garnicht unmöglich, daß, wie
Herr Bamberger S. 16 in Aussicht stellt, das angegriffene Kapital ganz flüchtet
aus dem Bereiche einer so unangenehmen Gesetzgebung. Darüber wäre nun


Z

Gegen den Staatssozialismus.

bei ihr die Verstandesthätigkeit, zu der uns Ältere die Erfahrung anleitet. Und
nur das Unbewußte siegt, im Leben wie in der Kunst.

In einem erstaunlichen Kontrast zu dem präzisen Stile Barths und den
freilich oberflächlichen, aber von seinem Standpunkte aus nicht unverständigen
Ausführungen Broemels steht nun die erste Abhandlung. Sie ist schwer wieder¬
zugeben wegen ihres ganz molluskenhaften Charakters. Ein Thema hat sie
nicht, wenigstens ist die Überschrift: „Invasion des Staatssozialismus" kein
Thema, sondern nur eine Phrase. Gedankengänge kennt sie auch nicht. Man
ist zu Anfang gerade so weit wie am Schluß, und dreht sich in einem Zirkel
trotz der vier Kapitel, in die sie eingeteilt ist. Man könnte sie eine Ouvertüre
nennen, in welche die Leitmotive des Dramas durch- und übereinander gebrockt
sind. Die Tonart ist ein sehr entschiedenes Moll. Der Inhalt wimmelt von
Vorwürfen gegen die Feinde, den Staat, die eignen Anhänger, von Zetergeschrei
über alles, was schon ruinirt sei, von Beschwörungen, man möge doch um
Gotteswillen Frieden halten, sonst ginge alles zu Grunde, von Insinuationen
und Verdächtigungen; ja selbst Beleidigungen fehlen nicht. Ich muß darauf
verzichten, die zahlreichen logischen Kraftleistungen der Schrift hier einzeln zu
würdigen. Hochergötzlich ist, wie Bamberger den Staatssozialismus im einzelnen
charakterisirt. Kapitalistisch heiße bei ihm soviel wie sündhaft. Bei den Debatten
über Besteuerung des Kapitals frage man immer nur: Wie faßt man den
Dieb? Die Gegenpartei bestehe aus Raubrittern, die „Pfeffersäcke niederwerfen"
wollen. Der Staatssozialist erkenne im Diesseits nichts als die Materie an,
das geistige Element verlege er ins Jenseits. Human sei er nur gegen Kaninchen,
die vivisezirt werden sollten, Menschen gönne er die Prügelstrafe. Wer sich
nicht für Hauen und Köpfen begeistere, gelte für schwächlich n. s. w. Man
sieht, es ist Stimmung in dieser Schilderung. Humanität ist das dritte Wort.
Und vom Standpunkt der Humanität aus erschallen denn auch sicherlich
die wohlgemeinten Warnrufe an das deutsche Volk, daß sein ganzes bißchen
Hab und Gut jetzt aus dem Spiele stehe, wenn es nicht umkehre in das gelobte
Land Manchester.

Nun, mit solchen Warnrufen ist es eine eigne Sache. Manchmal hofft
der Warner von seiner Warnung mehr für sich als für den Gewarnten. Um
irgend ein hier gar nicht hergehöriges Beispiel zu nehmen: Niemand warnt
seine Opfer mehr vor Leichtsinn und Verschwendung als der Wucherer, und
niemand sucht eifriger vom Hasardspiel abzuraten als der glückliche Spieler,
der kalte Füße bekommen hat. Von so etwas kann hier natürlich nicht die Rede
sein. Herrn Bambergers Warnungen sind ja von der Humanität diktirt! Und
materiell mag er Recht haben. Es wird eine bittere und langwierige Kur
werden, der sich unser Volk unterziehen muß. Garnicht unmöglich, daß, wie
Herr Bamberger S. 16 in Aussicht stellt, das angegriffene Kapital ganz flüchtet
aus dem Bereiche einer so unangenehmen Gesetzgebung. Darüber wäre nun


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[0608] Gegen den Staatssozialismus. bei ihr die Verstandesthätigkeit, zu der uns Ältere die Erfahrung anleitet. Und nur das Unbewußte siegt, im Leben wie in der Kunst. In einem erstaunlichen Kontrast zu dem präzisen Stile Barths und den freilich oberflächlichen, aber von seinem Standpunkte aus nicht unverständigen Ausführungen Broemels steht nun die erste Abhandlung. Sie ist schwer wieder¬ zugeben wegen ihres ganz molluskenhaften Charakters. Ein Thema hat sie nicht, wenigstens ist die Überschrift: „Invasion des Staatssozialismus" kein Thema, sondern nur eine Phrase. Gedankengänge kennt sie auch nicht. Man ist zu Anfang gerade so weit wie am Schluß, und dreht sich in einem Zirkel trotz der vier Kapitel, in die sie eingeteilt ist. Man könnte sie eine Ouvertüre nennen, in welche die Leitmotive des Dramas durch- und übereinander gebrockt sind. Die Tonart ist ein sehr entschiedenes Moll. Der Inhalt wimmelt von Vorwürfen gegen die Feinde, den Staat, die eignen Anhänger, von Zetergeschrei über alles, was schon ruinirt sei, von Beschwörungen, man möge doch um Gotteswillen Frieden halten, sonst ginge alles zu Grunde, von Insinuationen und Verdächtigungen; ja selbst Beleidigungen fehlen nicht. Ich muß darauf verzichten, die zahlreichen logischen Kraftleistungen der Schrift hier einzeln zu würdigen. Hochergötzlich ist, wie Bamberger den Staatssozialismus im einzelnen charakterisirt. Kapitalistisch heiße bei ihm soviel wie sündhaft. Bei den Debatten über Besteuerung des Kapitals frage man immer nur: Wie faßt man den Dieb? Die Gegenpartei bestehe aus Raubrittern, die „Pfeffersäcke niederwerfen" wollen. Der Staatssozialist erkenne im Diesseits nichts als die Materie an, das geistige Element verlege er ins Jenseits. Human sei er nur gegen Kaninchen, die vivisezirt werden sollten, Menschen gönne er die Prügelstrafe. Wer sich nicht für Hauen und Köpfen begeistere, gelte für schwächlich n. s. w. Man sieht, es ist Stimmung in dieser Schilderung. Humanität ist das dritte Wort. Und vom Standpunkt der Humanität aus erschallen denn auch sicherlich die wohlgemeinten Warnrufe an das deutsche Volk, daß sein ganzes bißchen Hab und Gut jetzt aus dem Spiele stehe, wenn es nicht umkehre in das gelobte Land Manchester. Nun, mit solchen Warnrufen ist es eine eigne Sache. Manchmal hofft der Warner von seiner Warnung mehr für sich als für den Gewarnten. Um irgend ein hier gar nicht hergehöriges Beispiel zu nehmen: Niemand warnt seine Opfer mehr vor Leichtsinn und Verschwendung als der Wucherer, und niemand sucht eifriger vom Hasardspiel abzuraten als der glückliche Spieler, der kalte Füße bekommen hat. Von so etwas kann hier natürlich nicht die Rede sein. Herrn Bambergers Warnungen sind ja von der Humanität diktirt! Und materiell mag er Recht haben. Es wird eine bittere und langwierige Kur werden, der sich unser Volk unterziehen muß. Garnicht unmöglich, daß, wie Herr Bamberger S. 16 in Aussicht stellt, das angegriffene Kapital ganz flüchtet aus dem Bereiche einer so unangenehmen Gesetzgebung. Darüber wäre nun Z

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/608>, abgerufen am 30.06.2024.