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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Gegen den Staat5Sozialismus.

krieg" ruft er und klettert hinauf. Halb ist er oben. "Jetzt geb' ich nur noch
fünf!" Endlich braucht er nur noch die Hand auszustrecken: "Jetzt geb' ich
nischt mehr!" triumphirt der Treulose, In demselben Augenblicke bricht der Ast,
und Jtzig plumpst ohne Apfel auf die Erde herab. "Haißt e Voreiligkeit vom
Herrgott, meint er stöhnend, vielleicht hätt'ich doch gegeben!" Ja, unser Herr¬
gott ist leider zuweilen recht voreilig, das hat er "so an sich."

Herr Broemel sührt uns die Schlachtordnung vor, in welcher er seine
Truppen aufzustellen gedenkt. Herr or. Barth dagegen repräsentirt die kühne
Rekognvszirungspatrouille, die den Gegner scharf ins Auge faßt und seine
Schwächen ausforsche. Er giebt uns die charakteristischen Eigentümlichkeiten
des Staatssozialismus. Zunächst setzt er uns auseinander, wer die Vertreter
dieser Richtung seien, nämlich teils Philanthropen, teils Doktrinäre, teils Politiker,
die den Sozialismus als Mittel zum Machterwcrb benutzen. Dann schildert
er die Hilfstruppen des Feindes: 1. Schutzzöllner und Agrarier, die eigentlich
nur irrtümlicherweise in sein Lager geraten seien. Diese warnt er: der los¬
gelassene Sozialismus würde vor dem Grundeigentum nicht Halt machen. 2. Die
Arbeiter. Diese warnt er auch: der Staatssozialismus beabsichtige ihnen jede
Disposition über ihre Einkünfte zu nehmen und sie völlig zu Unfreien, sslsoas
-Mserixtis, zu machen. Endlich hebt er als hervorragende Eigentümlichkeit des
Sozialismus seinen Haß gegen den Handel hervor. Damit ist's "alle," ein
bißchen früh.

Es sind nicht eben viel Charakteristica, die uns mitgeteilt werden. Auch
dienen sie eigentlich kaum weiter zur Kennzeichnung, als wenn man von einen,
Menschen sagt: "Er hat die Nase mitten im Gesicht." Aber an und für sich
ist, was er sagt, klar, präzis und auch -- oum g'i'Mo hö-Ah -- zum großen
Teil richtig. Barth hat Esprit, ein in den Reihen Manchesters sonst un¬
bekannter Artikel, und er wird recht gut wissen, wie seine beiden Broschüren-
kollegcn in der Beziehung allerliebst Folie zu ihm bilden. Man verzeihe, wenn
ich für meinen engern Landsmann über Gebühr schwärmen sollte. Wir Bremer
sind allerdings fabelhafte Lokalpatrioten. Ich kenne Barth als Idealisten von
jeher. Er ist vom Semitismus irregeführt, wie wir es alle wurden, und jetzt
zu stolz, die einmal erfaßte Meinung zu ändern. Aber "diesen Butter geb' ich
noch nicht auf."

Gleich die Formel, in der er die wissenschaftliche Begründung des Staats¬
sozialismus zusammenfaßt: "Hervorrufen eines Maximums wirtschaftlicher
Wirkung mit einem Minimum von wirtschaftlicher Kraft" ist freilich nicht tief
gehend und nicht allumfassend, aber sie ist drastisch und größtenteils richtig.
Diese Formel liege der Verstaatlichungspolitik des Staatssozialismus zu Grunde.
Was nun diese betrifft, so leugnet er in seinen Deduktionen durchaus nicht,
daß das Zusammenfassen wirtschaftlicher Kräfte in einer mächtigen Hand die
Leistungsfähigkeit erhöhen könnte. Er meint nur, es gebe sehr bald eine Grenze,


Gegen den Staat5Sozialismus.

krieg" ruft er und klettert hinauf. Halb ist er oben. „Jetzt geb' ich nur noch
fünf!" Endlich braucht er nur noch die Hand auszustrecken: „Jetzt geb' ich
nischt mehr!" triumphirt der Treulose, In demselben Augenblicke bricht der Ast,
und Jtzig plumpst ohne Apfel auf die Erde herab. „Haißt e Voreiligkeit vom
Herrgott, meint er stöhnend, vielleicht hätt'ich doch gegeben!" Ja, unser Herr¬
gott ist leider zuweilen recht voreilig, das hat er „so an sich."

Herr Broemel sührt uns die Schlachtordnung vor, in welcher er seine
Truppen aufzustellen gedenkt. Herr or. Barth dagegen repräsentirt die kühne
Rekognvszirungspatrouille, die den Gegner scharf ins Auge faßt und seine
Schwächen ausforsche. Er giebt uns die charakteristischen Eigentümlichkeiten
des Staatssozialismus. Zunächst setzt er uns auseinander, wer die Vertreter
dieser Richtung seien, nämlich teils Philanthropen, teils Doktrinäre, teils Politiker,
die den Sozialismus als Mittel zum Machterwcrb benutzen. Dann schildert
er die Hilfstruppen des Feindes: 1. Schutzzöllner und Agrarier, die eigentlich
nur irrtümlicherweise in sein Lager geraten seien. Diese warnt er: der los¬
gelassene Sozialismus würde vor dem Grundeigentum nicht Halt machen. 2. Die
Arbeiter. Diese warnt er auch: der Staatssozialismus beabsichtige ihnen jede
Disposition über ihre Einkünfte zu nehmen und sie völlig zu Unfreien, sslsoas
-Mserixtis, zu machen. Endlich hebt er als hervorragende Eigentümlichkeit des
Sozialismus seinen Haß gegen den Handel hervor. Damit ist's „alle," ein
bißchen früh.

Es sind nicht eben viel Charakteristica, die uns mitgeteilt werden. Auch
dienen sie eigentlich kaum weiter zur Kennzeichnung, als wenn man von einen,
Menschen sagt: „Er hat die Nase mitten im Gesicht." Aber an und für sich
ist, was er sagt, klar, präzis und auch — oum g'i'Mo hö-Ah — zum großen
Teil richtig. Barth hat Esprit, ein in den Reihen Manchesters sonst un¬
bekannter Artikel, und er wird recht gut wissen, wie seine beiden Broschüren-
kollegcn in der Beziehung allerliebst Folie zu ihm bilden. Man verzeihe, wenn
ich für meinen engern Landsmann über Gebühr schwärmen sollte. Wir Bremer
sind allerdings fabelhafte Lokalpatrioten. Ich kenne Barth als Idealisten von
jeher. Er ist vom Semitismus irregeführt, wie wir es alle wurden, und jetzt
zu stolz, die einmal erfaßte Meinung zu ändern. Aber „diesen Butter geb' ich
noch nicht auf."

Gleich die Formel, in der er die wissenschaftliche Begründung des Staats¬
sozialismus zusammenfaßt: „Hervorrufen eines Maximums wirtschaftlicher
Wirkung mit einem Minimum von wirtschaftlicher Kraft" ist freilich nicht tief
gehend und nicht allumfassend, aber sie ist drastisch und größtenteils richtig.
Diese Formel liege der Verstaatlichungspolitik des Staatssozialismus zu Grunde.
Was nun diese betrifft, so leugnet er in seinen Deduktionen durchaus nicht,
daß das Zusammenfassen wirtschaftlicher Kräfte in einer mächtigen Hand die
Leistungsfähigkeit erhöhen könnte. Er meint nur, es gebe sehr bald eine Grenze,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/606>, abgerufen am 04.07.2024.