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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Eduard Laster.

und ließ sie dann wieder sinken. Ihn selbst trifft dabei kaum eine andre Schuld
als die, daß er dem Laufe der Dinge nicht richtig zu folgen vermochte, und
daß er vielleicht auch in der Periode seines Steigens zuviel an Selbstvertrauen ge¬
wonnen hatte. Seine Verdienste um das Emporkommen der nationalliberalcn Partei
und um alles Gute, was aus dieser Partei hervorgegangen ist, haben wir oben
anerkannt. Aber wir dürfen auch nicht verschweigen, daß er nicht minder an
dem Niedergange dieser Partei und der daraus hervorgegangnen Zerrüttung
unsrer gegenwärtigen parlamentarischen Verhältnisse einen wesentlichen Anteil
hat. Es ist undenkbar, daß Fürst Bismarck sich in so herben Äußerungen gegen
ihn ergangen hätte, wenn nicht bestimmte Thatsachen vorlagen, durch die er sich
dazu für berechtigt gehalten hätte.

Wenige Tage nach dem eingetretenen Todesfalle hat das amerikanische
Repräsentantenhaus beschlossen, dem deutschen Reichstage sein Bedauern über
das Ableben Lasters auszudrücken. Es hat diesen Beschluß seiner Regierung
mitgeteilt, und diese hat denselben durch den amerikanischen Gesandten an den
Reichskanzler zur Übermittlung an den Reichstag übersandt. Der Reichskanzler
hat diese Übermittlung abgelehnt, weil er sich das in dem Beschlusse aus¬
gesprochene Urteil über die Wirksamkeit Lasters nicht aneignen könne.

Es ist unzweifelhaft, daß ein Beschluß dieser Art außer aller parlamen¬
tarischen Üblichkeit liegt. Das richtige Gefühl für die Sachlage hatte sich das
Repräsentantenhaus allerdings insoweit bewahrt, daß es nicht etwa seinen Beschluß
demi deutschen Reichstage unmittelbar zusandte, daß es vielmehr für denselben
die Übermittlung von Negierung zu Regierung in Anspruch nahm. Denn
wohin sollte es wohl führen, wenn die Parlamente der verschiednen Staaten
sich untereinander bei dieser und jener Gelegenheit mit Beschlüssen begrüßten?
Aber selbst bei Wahrung dieser Form gelangt man unwillkürlich zu der Frage:
Wie kam denn überhaupt das Repräsentantenhaus dazu, einen Beschluß dieser
Art zu fassen? Ohne Zweifel lag die Veranlassung in dem Umstände, daß
Laster auf amerikanischem Boden gestorben war, und daß sein plötzlicher Tod
auch dort die Gemüter lebhaft erregt hatte. Indessen war in dem Beschlusse
selbst diese Veranlassung garnicht zum Ausdrucke gebracht. Statt dessen war
eine Charakterisirung der politischen Thätigkeit Lasters gegeben, welche nach
Lage der deutschen Verhältnisse eine gewisse Zweideutigkeit in sich trug. Es
war gesagt, daß seine feste und beständige Vertretung freier und liberaler Ideen
die sozialen, politischen und ökonomischen Verhältnisse Deutschlands wesentlich
gefördert habe. Was sollte damit gesagt sein? Galt dieses Lob dem frühern
Helfer des Reichskanzlers, oder galt es dem gegenwärtigen Gegner und
Oppositionsmanne? Wir halten es für höchst wahrscheinlich, daß die große
Mehrzahl des Repräsentantenhauses sich dieser Frage garnicht bewußt war. Man
kannte Laster als einen "hervorragenden Mann" und acceptirte ohne große
Überlegung die vielleicht von bewußter Seite vorgeschlagene Phrase seines


Eduard Laster.

und ließ sie dann wieder sinken. Ihn selbst trifft dabei kaum eine andre Schuld
als die, daß er dem Laufe der Dinge nicht richtig zu folgen vermochte, und
daß er vielleicht auch in der Periode seines Steigens zuviel an Selbstvertrauen ge¬
wonnen hatte. Seine Verdienste um das Emporkommen der nationalliberalcn Partei
und um alles Gute, was aus dieser Partei hervorgegangen ist, haben wir oben
anerkannt. Aber wir dürfen auch nicht verschweigen, daß er nicht minder an
dem Niedergange dieser Partei und der daraus hervorgegangnen Zerrüttung
unsrer gegenwärtigen parlamentarischen Verhältnisse einen wesentlichen Anteil
hat. Es ist undenkbar, daß Fürst Bismarck sich in so herben Äußerungen gegen
ihn ergangen hätte, wenn nicht bestimmte Thatsachen vorlagen, durch die er sich
dazu für berechtigt gehalten hätte.

Wenige Tage nach dem eingetretenen Todesfalle hat das amerikanische
Repräsentantenhaus beschlossen, dem deutschen Reichstage sein Bedauern über
das Ableben Lasters auszudrücken. Es hat diesen Beschluß seiner Regierung
mitgeteilt, und diese hat denselben durch den amerikanischen Gesandten an den
Reichskanzler zur Übermittlung an den Reichstag übersandt. Der Reichskanzler
hat diese Übermittlung abgelehnt, weil er sich das in dem Beschlusse aus¬
gesprochene Urteil über die Wirksamkeit Lasters nicht aneignen könne.

Es ist unzweifelhaft, daß ein Beschluß dieser Art außer aller parlamen¬
tarischen Üblichkeit liegt. Das richtige Gefühl für die Sachlage hatte sich das
Repräsentantenhaus allerdings insoweit bewahrt, daß es nicht etwa seinen Beschluß
demi deutschen Reichstage unmittelbar zusandte, daß es vielmehr für denselben
die Übermittlung von Negierung zu Regierung in Anspruch nahm. Denn
wohin sollte es wohl führen, wenn die Parlamente der verschiednen Staaten
sich untereinander bei dieser und jener Gelegenheit mit Beschlüssen begrüßten?
Aber selbst bei Wahrung dieser Form gelangt man unwillkürlich zu der Frage:
Wie kam denn überhaupt das Repräsentantenhaus dazu, einen Beschluß dieser
Art zu fassen? Ohne Zweifel lag die Veranlassung in dem Umstände, daß
Laster auf amerikanischem Boden gestorben war, und daß sein plötzlicher Tod
auch dort die Gemüter lebhaft erregt hatte. Indessen war in dem Beschlusse
selbst diese Veranlassung garnicht zum Ausdrucke gebracht. Statt dessen war
eine Charakterisirung der politischen Thätigkeit Lasters gegeben, welche nach
Lage der deutschen Verhältnisse eine gewisse Zweideutigkeit in sich trug. Es
war gesagt, daß seine feste und beständige Vertretung freier und liberaler Ideen
die sozialen, politischen und ökonomischen Verhältnisse Deutschlands wesentlich
gefördert habe. Was sollte damit gesagt sein? Galt dieses Lob dem frühern
Helfer des Reichskanzlers, oder galt es dem gegenwärtigen Gegner und
Oppositionsmanne? Wir halten es für höchst wahrscheinlich, daß die große
Mehrzahl des Repräsentantenhauses sich dieser Frage garnicht bewußt war. Man
kannte Laster als einen „hervorragenden Mann" und acceptirte ohne große
Überlegung die vielleicht von bewußter Seite vorgeschlagene Phrase seines


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/601>, abgerufen am 02.07.2024.