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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Ldiuird Laskor,

in der Zuständigkeit der preußischen Ministerien unter Führung der National-
liberalen, namentlich auch Lasters, angebrachtermaßen abgewiesen wurde. Dann
erfolgte das erste unglückselige Attentat, und nach ihm die erste Vorlage des
Sozialistengesetzes, Auch hier war Laster die Seele des Widerstandes, welchen
die nationalliberalc Partei entgegensetzte. Er fand, daß auch gegen die Sozia-
listen nur im Wege des "gemeinen Rechts" vorgeschritten werden dürfe, ein
Satz, welchen ein Berliner Rechtslehrer mit der Bemerkung kritisirte, daß mau
doch auch gegen den Koloradokäfer nicht im Wege des gemeinen Rechts vor¬
schreiten könne. Das Gesetz fiel. Das zweite Attentat erfolgte. Der Reichs¬
tag wurde aufgelöst, und dem neuberufenen das zweite Sozialistengesetz vor¬
gelegt. Nun beugte sich allerdings Laster den Thatsachen; er stimmte für das
Gesetz, Aber bereits bei der ersten Frage der Verlängerung desselben, int
März 1880, ward Laster rückfällig. Er stimmte gegen die Verlängerung, diesmal
freilich von seinen Parteigenossen verlassen. Und auch jetzt wieder, wenn von
der abermaligen Verlängerung des fraglichen Gesetzes die Rede ist, spukt in den
liberalen Blättern jener Laskcrsche Satz, daß eine Rückkehr zum "gemeinen Rechte"
notwendig sei!

Seit dem Verlauf der Dinge des Jahres 1878 gab Fürst Bismarck bei
wiederholten Gelegenheiten kund, daß er Laster als denjenigen ansehe, "dessen
Thätigkeit mehr als die irgend eines andern Parlamentsgliedes ihm das Re¬
gieren erschwere." Im Jahre 1879 kam es zweimal zu sehr gereizten Aus¬
einandersetzungen zwischen beiden, zuerst bei der Vorlage, betreffend das Zensur-
recht des Reichstages über seine Mitglieder, sodann bei der ersten Beratung
des neuen Zolltarifs. Und ähnliche Vorgänge wiederholten sich im Laufe der
weitern Jahre noch öfters.

Die Ereignisse der Jahre 1878 und 1879 waren nicht ohne tiefe Erschüt¬
terungen in dem Bestände der natioualliberaleu Partei vorübergegangen. Der
Zusammenbruch der Partei erfolgte durch die "Sezession." Schon vorher war
Laster aus der Fraktion ausgetreten. Jetzt trat er zu den Sezessionisten über
und bekannte sich damit offen zur Opposition. Gleichwohl stand Laster den
sozialpolitischen Plänen des Fürsten Bismarck weniger schroff gegenüber als
wohl die meisten seiner Parteigenossen. Sein idealer Sinn war nicht unzu¬
gänglich für den Wert dieser Pläne. Er hat namentlich noch getreulich mit¬
gewirkt für das Zustandekommen des Krankenversicherungsgesetzes.

Im Jahre 1880 war Laster in seinem Wahlbezirk sür das Abgeordneten¬
haus nicht wiedergewählt worden. Er hatte auch keinen andern Bezirk für sich
zu gewinnen vermocht. Zum erstenmale seit langen Jahren war das Ab¬
geordnetenhaus ohne Laster, was man sich früher kaum hatte denken können.
Ohne Zweifel fühlte Laster dies als eine tiefe Kränkung, Noch etwas andres
mußte ihn schmerzlich ergreifen. Es begann die antisemitische Bewegung. Der
darin liegende Gegensatz zu einer noch nicht fernen Vergangenheit tritt vielleicht


Ldiuird Laskor,

in der Zuständigkeit der preußischen Ministerien unter Führung der National-
liberalen, namentlich auch Lasters, angebrachtermaßen abgewiesen wurde. Dann
erfolgte das erste unglückselige Attentat, und nach ihm die erste Vorlage des
Sozialistengesetzes, Auch hier war Laster die Seele des Widerstandes, welchen
die nationalliberalc Partei entgegensetzte. Er fand, daß auch gegen die Sozia-
listen nur im Wege des „gemeinen Rechts" vorgeschritten werden dürfe, ein
Satz, welchen ein Berliner Rechtslehrer mit der Bemerkung kritisirte, daß mau
doch auch gegen den Koloradokäfer nicht im Wege des gemeinen Rechts vor¬
schreiten könne. Das Gesetz fiel. Das zweite Attentat erfolgte. Der Reichs¬
tag wurde aufgelöst, und dem neuberufenen das zweite Sozialistengesetz vor¬
gelegt. Nun beugte sich allerdings Laster den Thatsachen; er stimmte für das
Gesetz, Aber bereits bei der ersten Frage der Verlängerung desselben, int
März 1880, ward Laster rückfällig. Er stimmte gegen die Verlängerung, diesmal
freilich von seinen Parteigenossen verlassen. Und auch jetzt wieder, wenn von
der abermaligen Verlängerung des fraglichen Gesetzes die Rede ist, spukt in den
liberalen Blättern jener Laskcrsche Satz, daß eine Rückkehr zum „gemeinen Rechte"
notwendig sei!

Seit dem Verlauf der Dinge des Jahres 1878 gab Fürst Bismarck bei
wiederholten Gelegenheiten kund, daß er Laster als denjenigen ansehe, „dessen
Thätigkeit mehr als die irgend eines andern Parlamentsgliedes ihm das Re¬
gieren erschwere." Im Jahre 1879 kam es zweimal zu sehr gereizten Aus¬
einandersetzungen zwischen beiden, zuerst bei der Vorlage, betreffend das Zensur-
recht des Reichstages über seine Mitglieder, sodann bei der ersten Beratung
des neuen Zolltarifs. Und ähnliche Vorgänge wiederholten sich im Laufe der
weitern Jahre noch öfters.

Die Ereignisse der Jahre 1878 und 1879 waren nicht ohne tiefe Erschüt¬
terungen in dem Bestände der natioualliberaleu Partei vorübergegangen. Der
Zusammenbruch der Partei erfolgte durch die „Sezession." Schon vorher war
Laster aus der Fraktion ausgetreten. Jetzt trat er zu den Sezessionisten über
und bekannte sich damit offen zur Opposition. Gleichwohl stand Laster den
sozialpolitischen Plänen des Fürsten Bismarck weniger schroff gegenüber als
wohl die meisten seiner Parteigenossen. Sein idealer Sinn war nicht unzu¬
gänglich für den Wert dieser Pläne. Er hat namentlich noch getreulich mit¬
gewirkt für das Zustandekommen des Krankenversicherungsgesetzes.

Im Jahre 1880 war Laster in seinem Wahlbezirk sür das Abgeordneten¬
haus nicht wiedergewählt worden. Er hatte auch keinen andern Bezirk für sich
zu gewinnen vermocht. Zum erstenmale seit langen Jahren war das Ab¬
geordnetenhaus ohne Laster, was man sich früher kaum hatte denken können.
Ohne Zweifel fühlte Laster dies als eine tiefe Kränkung, Noch etwas andres
mußte ihn schmerzlich ergreifen. Es begann die antisemitische Bewegung. Der
darin liegende Gegensatz zu einer noch nicht fernen Vergangenheit tritt vielleicht


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[0599] Ldiuird Laskor, in der Zuständigkeit der preußischen Ministerien unter Führung der National- liberalen, namentlich auch Lasters, angebrachtermaßen abgewiesen wurde. Dann erfolgte das erste unglückselige Attentat, und nach ihm die erste Vorlage des Sozialistengesetzes, Auch hier war Laster die Seele des Widerstandes, welchen die nationalliberalc Partei entgegensetzte. Er fand, daß auch gegen die Sozia- listen nur im Wege des „gemeinen Rechts" vorgeschritten werden dürfe, ein Satz, welchen ein Berliner Rechtslehrer mit der Bemerkung kritisirte, daß mau doch auch gegen den Koloradokäfer nicht im Wege des gemeinen Rechts vor¬ schreiten könne. Das Gesetz fiel. Das zweite Attentat erfolgte. Der Reichs¬ tag wurde aufgelöst, und dem neuberufenen das zweite Sozialistengesetz vor¬ gelegt. Nun beugte sich allerdings Laster den Thatsachen; er stimmte für das Gesetz, Aber bereits bei der ersten Frage der Verlängerung desselben, int März 1880, ward Laster rückfällig. Er stimmte gegen die Verlängerung, diesmal freilich von seinen Parteigenossen verlassen. Und auch jetzt wieder, wenn von der abermaligen Verlängerung des fraglichen Gesetzes die Rede ist, spukt in den liberalen Blättern jener Laskcrsche Satz, daß eine Rückkehr zum „gemeinen Rechte" notwendig sei! Seit dem Verlauf der Dinge des Jahres 1878 gab Fürst Bismarck bei wiederholten Gelegenheiten kund, daß er Laster als denjenigen ansehe, „dessen Thätigkeit mehr als die irgend eines andern Parlamentsgliedes ihm das Re¬ gieren erschwere." Im Jahre 1879 kam es zweimal zu sehr gereizten Aus¬ einandersetzungen zwischen beiden, zuerst bei der Vorlage, betreffend das Zensur- recht des Reichstages über seine Mitglieder, sodann bei der ersten Beratung des neuen Zolltarifs. Und ähnliche Vorgänge wiederholten sich im Laufe der weitern Jahre noch öfters. Die Ereignisse der Jahre 1878 und 1879 waren nicht ohne tiefe Erschüt¬ terungen in dem Bestände der natioualliberaleu Partei vorübergegangen. Der Zusammenbruch der Partei erfolgte durch die „Sezession." Schon vorher war Laster aus der Fraktion ausgetreten. Jetzt trat er zu den Sezessionisten über und bekannte sich damit offen zur Opposition. Gleichwohl stand Laster den sozialpolitischen Plänen des Fürsten Bismarck weniger schroff gegenüber als wohl die meisten seiner Parteigenossen. Sein idealer Sinn war nicht unzu¬ gänglich für den Wert dieser Pläne. Er hat namentlich noch getreulich mit¬ gewirkt für das Zustandekommen des Krankenversicherungsgesetzes. Im Jahre 1880 war Laster in seinem Wahlbezirk sür das Abgeordneten¬ haus nicht wiedergewählt worden. Er hatte auch keinen andern Bezirk für sich zu gewinnen vermocht. Zum erstenmale seit langen Jahren war das Ab¬ geordnetenhaus ohne Laster, was man sich früher kaum hatte denken können. Ohne Zweifel fühlte Laster dies als eine tiefe Kränkung, Noch etwas andres mußte ihn schmerzlich ergreifen. Es begann die antisemitische Bewegung. Der darin liegende Gegensatz zu einer noch nicht fernen Vergangenheit tritt vielleicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/599>, abgerufen am 24.07.2024.