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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der Leiter de5 Glücks.

Aber Berthold hatte sich oft das traurige Wort Elisens wiederholt, so
treuer Pfleger werde man nur durch den Tod los und ledig, und der Gedanke,
nach dem Tode dieser lieben, treuen Pfleger einen Schritt zu thun, den sie,
wenn darüber befragt, nicht gebilligt haben würden, oder gar jenen Schritt aus
solchem Grunde dann nicht thun zu dürfen, dieser Gedanke verfolgte ihn jetzt
mit peinigender Gewalt.

Endlich ertrug er es nicht länger, zu schweigen, und eines Tages teilte
er dem Vater -- wenigstens als Vorläufer von weiterem -- auf einer Garten¬
promenade als etwas neues mit, daß er seine Retterin ausfindig gemacht und
seine Schuld, soweit dies möglich, alsbald nach des Vaters früherer Verfügung
berichtigt habe. Die Freude Kaspar Benedikts war groß. Sofort mußte
Frau Anna herbei. Aber ihre Neugier brachte den Sohn bald in die Klemme,
und er hatte nun kaum noch zu bereuen, daß er, um sein Herz nicht zu verraten,
so lange Zeit das Geheimnis der Ermittlung seiner Retterin verschwiegen hatte.
Ach, es war eine nur zu nötige Vorsicht gewesen, denn nun die Fragen nach
der braven Lore immer mehr ins einzelne gingen, kam er so lebhaft ins Schil¬
dern hinein, und das Bild der Gefundenen gewann eine so warme Beleuchtung,
daß mit dem Scharfblick des Weibes Frau Anna plötzlich alles durchschaute,
und daß Berthold selbst auf dem Punkte stand, alles zu bekennen.

Hier nahm Frau Anna geschickt ein kühl durch den Garten wehendes
Lüftchen zum Vorwand, um Kaspar Benedikt unter Dach zu bringen, und dann,
zu Berthold zurückgekehrt, schlug sie besorgt und doch auch jubelnd die Hände
über den Kopf zusammen und rief: Welch eine Überraschung, mein Sohn! Ich
bin fast zur Salzsäule geworden! Aber eine ehemalige Kammerjungfer! Soll
ich weinen oder lachen?

Acht Tage später hatte sie sich durch die Nesseln und Kletten, deren sich
beim Erwägen dieser Angelegenheit und beim tiefern Eindringen in deren ver¬
schlungene Jrrgänge immer zahlreichere fanden, wenigstens soweit durchgearbeitet,
daß sie für sich selbst der Meinung zuneigte, Villa Anna müsse zur Not auch
eine ehemalige Kammerjungfer -- dies Wort wiederhallten von nun an alle Wände
der merkwürdigen Villa -- als Schwiegertochter über sich ergehen lassen.

Acht weitere Tage wurden von Frau Anna auf das allmähliche Vor¬
bereiten Kaspar Benedikts verwendet, doch waren dann noch ganze acht Wochen
nötig, ehe der Alte über den ihn empörenden Gedanken wegkam, daß nicht
schlechtweg eine Kammerjungfer, sondern eine Kammerjungfer des Fräuleins von
Mockritz in die von der letztern geräumte Stelle treten solle! Er hörte die
bösen Zungen zischeln und quälte sich und die Seinen mit allen schlimmen Mut¬
maßungen, die in ähnlichen Fällen gäng und gäbe sind.

Zu guterletzt, als er für die doch auch zahlreichen erfreulichen Seiten der
Angelegenheit fast schon gewonnen worden war, kam Frau von Mockritz noch
mit einem Billet dazwischen, das den verwirrenden und betäubenden Charakter


Auf der Leiter de5 Glücks.

Aber Berthold hatte sich oft das traurige Wort Elisens wiederholt, so
treuer Pfleger werde man nur durch den Tod los und ledig, und der Gedanke,
nach dem Tode dieser lieben, treuen Pfleger einen Schritt zu thun, den sie,
wenn darüber befragt, nicht gebilligt haben würden, oder gar jenen Schritt aus
solchem Grunde dann nicht thun zu dürfen, dieser Gedanke verfolgte ihn jetzt
mit peinigender Gewalt.

Endlich ertrug er es nicht länger, zu schweigen, und eines Tages teilte
er dem Vater — wenigstens als Vorläufer von weiterem — auf einer Garten¬
promenade als etwas neues mit, daß er seine Retterin ausfindig gemacht und
seine Schuld, soweit dies möglich, alsbald nach des Vaters früherer Verfügung
berichtigt habe. Die Freude Kaspar Benedikts war groß. Sofort mußte
Frau Anna herbei. Aber ihre Neugier brachte den Sohn bald in die Klemme,
und er hatte nun kaum noch zu bereuen, daß er, um sein Herz nicht zu verraten,
so lange Zeit das Geheimnis der Ermittlung seiner Retterin verschwiegen hatte.
Ach, es war eine nur zu nötige Vorsicht gewesen, denn nun die Fragen nach
der braven Lore immer mehr ins einzelne gingen, kam er so lebhaft ins Schil¬
dern hinein, und das Bild der Gefundenen gewann eine so warme Beleuchtung,
daß mit dem Scharfblick des Weibes Frau Anna plötzlich alles durchschaute,
und daß Berthold selbst auf dem Punkte stand, alles zu bekennen.

Hier nahm Frau Anna geschickt ein kühl durch den Garten wehendes
Lüftchen zum Vorwand, um Kaspar Benedikt unter Dach zu bringen, und dann,
zu Berthold zurückgekehrt, schlug sie besorgt und doch auch jubelnd die Hände
über den Kopf zusammen und rief: Welch eine Überraschung, mein Sohn! Ich
bin fast zur Salzsäule geworden! Aber eine ehemalige Kammerjungfer! Soll
ich weinen oder lachen?

Acht Tage später hatte sie sich durch die Nesseln und Kletten, deren sich
beim Erwägen dieser Angelegenheit und beim tiefern Eindringen in deren ver¬
schlungene Jrrgänge immer zahlreichere fanden, wenigstens soweit durchgearbeitet,
daß sie für sich selbst der Meinung zuneigte, Villa Anna müsse zur Not auch
eine ehemalige Kammerjungfer — dies Wort wiederhallten von nun an alle Wände
der merkwürdigen Villa — als Schwiegertochter über sich ergehen lassen.

Acht weitere Tage wurden von Frau Anna auf das allmähliche Vor¬
bereiten Kaspar Benedikts verwendet, doch waren dann noch ganze acht Wochen
nötig, ehe der Alte über den ihn empörenden Gedanken wegkam, daß nicht
schlechtweg eine Kammerjungfer, sondern eine Kammerjungfer des Fräuleins von
Mockritz in die von der letztern geräumte Stelle treten solle! Er hörte die
bösen Zungen zischeln und quälte sich und die Seinen mit allen schlimmen Mut¬
maßungen, die in ähnlichen Fällen gäng und gäbe sind.

Zu guterletzt, als er für die doch auch zahlreichen erfreulichen Seiten der
Angelegenheit fast schon gewonnen worden war, kam Frau von Mockritz noch
mit einem Billet dazwischen, das den verwirrenden und betäubenden Charakter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/588>, abgerufen am 22.07.2024.