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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Ans der Leiter des Glücks.

hatte, war wohl hin und wieder durch ein Wiedersehen der Freundin gemildert
worden, aber wie auch selbst ein Schmerz so sehr zur Gewohnheit werden kann,
daß er, der Wolke in der gemalten Landschaft ähnlich, fast zu etwas Unent¬
behrlichem wird, so hatte, was die Vereinigung der Liebende" hinderte, je länger
je mehr Gewalt über ihre beiderseitigen Auffassungen gewonnen, und selbst der
einst so resolut gewesene Weltfahrer rüttelte uur noch selten an dem Gitter,
das die Entsagungsmntige zwischen sich und ihm aufgerichtet hatte.

Lange war seine Sorge gewesen, die Eltern würden die ihm bisher be¬
wiesene Geduld verlieren, würden in ihn dringen, unter den jungen Damen,
die nach Fräulein von Mockritz als Schwiegertochter für sie erwünscht sein
könnten, eine zu wählen. Daß sie es nicht thaten, rührte ihn, aber diese Ent¬
haltung ihrerseits dadurch zu lohne", daß er eine ehemals als Dienende unter
ihrem Dach Gewesene als das Mädchen seiner Wahl bezeichnete -- wie oft das
alles verratende Wort auch auf seinen Lippen schwebte, ausgesprochen wurde es nicht.

Nun Frau Anna ihrem Gatten, wie schon früher erwähnt, die Liste der
Brautschaftskandidatinnen aufgenötigt hatte, begann freilich der so lange schonend
zurückgehaltene elterliche Wunsch die Flügel zu regen. Von Zeit zu Zeit lagen
Photographie!, auf dem Frühstückstische des geadelten Ehepaares, Porträts
junger hübscher Mädchen, und Frau Anna wußte bald ihren Gatten, bald Bert¬
hold zum Abgeben seiner Meinung zu bewegen. Der erstere lobte, der letztere
verhielt sich schweigend. Diese da ist mit dem Grafen verschwägert, warf Finn
Anna dazwischen; die andre hier soll der Baron heiraten, aber ich hoffe,
sie giebt ihm einen Korb; am besten gefällt mir immer doch die drüben mit
dem schiefen Scheitel, Marie von Droppclsdorf -- du bist ihr wohl neulich
vorgestellt worden, Berthold? Ein liebes, anspruchsloses Mädchen mit sehr
angesehenen Verwandten.

Kaspar Benedikt war schon wieder im Hintertreffen. Frau Anna ging allein
im Sturmschritt vor. Aber mit welchem herzensguter Ausdruck in Miene und
Blick! Berthold litt und fühlte doch zugleich, wieviel mütterliche Liebe hier das
Wort führte.

Als die Wünsche des elterlichen Paares immer dringender zutage traten,
nahm Berthold eines Tages Frau Anna auf die Seite und bat sie, sich an ihm,
wie er sei, genügen zu lassen, auch den Vater zu bestimmen, daß er nicht an
Saiten rühren möge, die leicht einen mißtönenden Klang geben könnten.

Frau Anna wurde sehr kleinlaut. Mein guter, mein lieber Sohn, sagte
sie, habe ichs schon wieder wie das thörichte Kind getrieben, das nach Mond
und Sternen schreit? Wir sind alle drei ja so glücklich! Möchte dein guter
Vater uns nur keinen Streich spiele", suchte sie abzulenken, sein Atem wird
so kurz. Ach, du hast ja tausendmal Recht. Wie leicht giebt es Verstimmungen!
In unserm Alter ist Frieden und Ruhe, was man vor allen: braucht. Sei
mir uicht böse -- wie sollten wir denn an dir uns nicht genügen lassen!


GrmMeu I. 1834. 73
Ans der Leiter des Glücks.

hatte, war wohl hin und wieder durch ein Wiedersehen der Freundin gemildert
worden, aber wie auch selbst ein Schmerz so sehr zur Gewohnheit werden kann,
daß er, der Wolke in der gemalten Landschaft ähnlich, fast zu etwas Unent¬
behrlichem wird, so hatte, was die Vereinigung der Liebende» hinderte, je länger
je mehr Gewalt über ihre beiderseitigen Auffassungen gewonnen, und selbst der
einst so resolut gewesene Weltfahrer rüttelte uur noch selten an dem Gitter,
das die Entsagungsmntige zwischen sich und ihm aufgerichtet hatte.

Lange war seine Sorge gewesen, die Eltern würden die ihm bisher be¬
wiesene Geduld verlieren, würden in ihn dringen, unter den jungen Damen,
die nach Fräulein von Mockritz als Schwiegertochter für sie erwünscht sein
könnten, eine zu wählen. Daß sie es nicht thaten, rührte ihn, aber diese Ent¬
haltung ihrerseits dadurch zu lohne», daß er eine ehemals als Dienende unter
ihrem Dach Gewesene als das Mädchen seiner Wahl bezeichnete — wie oft das
alles verratende Wort auch auf seinen Lippen schwebte, ausgesprochen wurde es nicht.

Nun Frau Anna ihrem Gatten, wie schon früher erwähnt, die Liste der
Brautschaftskandidatinnen aufgenötigt hatte, begann freilich der so lange schonend
zurückgehaltene elterliche Wunsch die Flügel zu regen. Von Zeit zu Zeit lagen
Photographie!, auf dem Frühstückstische des geadelten Ehepaares, Porträts
junger hübscher Mädchen, und Frau Anna wußte bald ihren Gatten, bald Bert¬
hold zum Abgeben seiner Meinung zu bewegen. Der erstere lobte, der letztere
verhielt sich schweigend. Diese da ist mit dem Grafen verschwägert, warf Finn
Anna dazwischen; die andre hier soll der Baron heiraten, aber ich hoffe,
sie giebt ihm einen Korb; am besten gefällt mir immer doch die drüben mit
dem schiefen Scheitel, Marie von Droppclsdorf — du bist ihr wohl neulich
vorgestellt worden, Berthold? Ein liebes, anspruchsloses Mädchen mit sehr
angesehenen Verwandten.

Kaspar Benedikt war schon wieder im Hintertreffen. Frau Anna ging allein
im Sturmschritt vor. Aber mit welchem herzensguter Ausdruck in Miene und
Blick! Berthold litt und fühlte doch zugleich, wieviel mütterliche Liebe hier das
Wort führte.

Als die Wünsche des elterlichen Paares immer dringender zutage traten,
nahm Berthold eines Tages Frau Anna auf die Seite und bat sie, sich an ihm,
wie er sei, genügen zu lassen, auch den Vater zu bestimmen, daß er nicht an
Saiten rühren möge, die leicht einen mißtönenden Klang geben könnten.

Frau Anna wurde sehr kleinlaut. Mein guter, mein lieber Sohn, sagte
sie, habe ichs schon wieder wie das thörichte Kind getrieben, das nach Mond
und Sternen schreit? Wir sind alle drei ja so glücklich! Möchte dein guter
Vater uns nur keinen Streich spiele», suchte sie abzulenken, sein Atem wird
so kurz. Ach, du hast ja tausendmal Recht. Wie leicht giebt es Verstimmungen!
In unserm Alter ist Frieden und Ruhe, was man vor allen: braucht. Sei
mir uicht böse — wie sollten wir denn an dir uns nicht genügen lassen!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/587>, abgerufen am 22.07.2024.