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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Michael Munkacsy,

mußte man der Freiheit und Sicherheit der Technik unbedingte Anerkennung
zollen. Auf der größern Fläche war Mnnkacsys breite Behandlungsweise, welche
den kleinern Genrebildern etwas unfertiges und skizzenhaftes gab, besser am
Platze, zumal da sich dieselbe meist auf das Beiwerk, die Stoffe, Möbel und
Geräte beschränkte und sich in den Köpfen und Händen zu einer sorgfältigern,
mehr abgerundeten Durchbildung erhob. In allen Teilen lieferte das Gemälde
aber den Beweis, daß der ungarische Maler durch die eingehendsten Natur¬
studien nicht nur sein technisches Können bedeutend vertieft, sondern auch seinen
geistigen Horizont erweitert hatte. Dabei hatte er auch in dem neuen Stoff¬
gebiete seine Originalität so vollkommen bewahrt, daß sich in den Gemäldesälen
der Weltausstellung nur wenige Arbeiten finden ließen, welche eine so persön¬
liche und individuelle Sprache führten wie diejenige Munkacsys. Seine eigen¬
tümliche Ausdrucksweise fand zwar immer noch ebensoviele Gegner wie Bewun¬
derer, aber beide waren darin einig, daß man es mit den Äußerungen eines
durchaus originellen, auf sich selbst gestellten Talentes zu thun habe. Etwas
national-magyarisches war jedenfalls in diesem Gemälde nicht zu entdecken. Am
ehesten wirkte in der geistigen Beseelung der Köpfe noch die Düsseldorfer Er¬
ziehung nach. In der Technik mußte jedoch eine vollkommene Unabhängigkeit
von jeder Schultraditiou konstatirt werden.

Das Miltonbild brachte dem Künstler die Ehrenmedaille der Weltaus¬
stellung und das Offizierskreuz der Ehrenlegion und verschaffte ihm aus seineu
Wanderungen durch Österreich, Deutschland u. s. w. und durch Reproduktionen
in Radirung und Photographie auch auswärts Ehre und Anerkennung.

Da Munkacsy einmal entschlossen war, mit seiner Vergangenheit zu brechen,
gab er sich willig dem Einfluß der kecksten französischen Farbenkünstler hi". Er
war nicht der einzige und erste, welcher einsah, daß in der scheinbar so ver¬
kehrten und extravaganten Lehre der Impressionisten ein Korn von Wahrheit
vorhanden sei. Man sagt, daß er auch im Glücke seine Herkunft nicht vergessen
habe und für die armen Sansculotten der Malerei offene Hand und offenes
Herz besitze. Dabei mag er sich auch mit Ernst und Eifer in die Theorie der
Impressionisten von Licht und Luft versenkt haben, und eine reichere Lichtfülle
konnte niemandem von größerm Vorteile sein als ihm. Wenn die Impressio¬
nisten behaupten, daß die Gewohnheit der Maler, ihre in der freien Natur auf¬
genommenen Skizzen im Atelier, also bei geschlossenem, künstlich arrangirten
Licht auszuführen, das Auge allmählich stumpf und unempfänglich für die
wirklich im Freien vorhandene Lichtfülle gemacht habe, so haben Sie mit dieser
Behauptung nicht Unrecht, wohl aber, wenn sie sagen, daß diese Lichtfülle die
Luft so vollständig absorbire, daß man sie überhaupt nicht mehr sehe und dem¬
gemäß auch nicht malen dürfe. Eine große Gruppe von französischen Malern hat
beide Punkte dieser Theorie mit Begeisterung aufgenommen, und zu ihnen gehört
auch Munkacsy, welcher lange Zeit ein abgesagter Feind des Lichts gewesen war.


Grenzboten I. 1884. 72
Michael Munkacsy,

mußte man der Freiheit und Sicherheit der Technik unbedingte Anerkennung
zollen. Auf der größern Fläche war Mnnkacsys breite Behandlungsweise, welche
den kleinern Genrebildern etwas unfertiges und skizzenhaftes gab, besser am
Platze, zumal da sich dieselbe meist auf das Beiwerk, die Stoffe, Möbel und
Geräte beschränkte und sich in den Köpfen und Händen zu einer sorgfältigern,
mehr abgerundeten Durchbildung erhob. In allen Teilen lieferte das Gemälde
aber den Beweis, daß der ungarische Maler durch die eingehendsten Natur¬
studien nicht nur sein technisches Können bedeutend vertieft, sondern auch seinen
geistigen Horizont erweitert hatte. Dabei hatte er auch in dem neuen Stoff¬
gebiete seine Originalität so vollkommen bewahrt, daß sich in den Gemäldesälen
der Weltausstellung nur wenige Arbeiten finden ließen, welche eine so persön¬
liche und individuelle Sprache führten wie diejenige Munkacsys. Seine eigen¬
tümliche Ausdrucksweise fand zwar immer noch ebensoviele Gegner wie Bewun¬
derer, aber beide waren darin einig, daß man es mit den Äußerungen eines
durchaus originellen, auf sich selbst gestellten Talentes zu thun habe. Etwas
national-magyarisches war jedenfalls in diesem Gemälde nicht zu entdecken. Am
ehesten wirkte in der geistigen Beseelung der Köpfe noch die Düsseldorfer Er¬
ziehung nach. In der Technik mußte jedoch eine vollkommene Unabhängigkeit
von jeder Schultraditiou konstatirt werden.

Das Miltonbild brachte dem Künstler die Ehrenmedaille der Weltaus¬
stellung und das Offizierskreuz der Ehrenlegion und verschaffte ihm aus seineu
Wanderungen durch Österreich, Deutschland u. s. w. und durch Reproduktionen
in Radirung und Photographie auch auswärts Ehre und Anerkennung.

Da Munkacsy einmal entschlossen war, mit seiner Vergangenheit zu brechen,
gab er sich willig dem Einfluß der kecksten französischen Farbenkünstler hi». Er
war nicht der einzige und erste, welcher einsah, daß in der scheinbar so ver¬
kehrten und extravaganten Lehre der Impressionisten ein Korn von Wahrheit
vorhanden sei. Man sagt, daß er auch im Glücke seine Herkunft nicht vergessen
habe und für die armen Sansculotten der Malerei offene Hand und offenes
Herz besitze. Dabei mag er sich auch mit Ernst und Eifer in die Theorie der
Impressionisten von Licht und Luft versenkt haben, und eine reichere Lichtfülle
konnte niemandem von größerm Vorteile sein als ihm. Wenn die Impressio¬
nisten behaupten, daß die Gewohnheit der Maler, ihre in der freien Natur auf¬
genommenen Skizzen im Atelier, also bei geschlossenem, künstlich arrangirten
Licht auszuführen, das Auge allmählich stumpf und unempfänglich für die
wirklich im Freien vorhandene Lichtfülle gemacht habe, so haben Sie mit dieser
Behauptung nicht Unrecht, wohl aber, wenn sie sagen, daß diese Lichtfülle die
Luft so vollständig absorbire, daß man sie überhaupt nicht mehr sehe und dem¬
gemäß auch nicht malen dürfe. Eine große Gruppe von französischen Malern hat
beide Punkte dieser Theorie mit Begeisterung aufgenommen, und zu ihnen gehört
auch Munkacsy, welcher lange Zeit ein abgesagter Feind des Lichts gewesen war.


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[0579] Michael Munkacsy, mußte man der Freiheit und Sicherheit der Technik unbedingte Anerkennung zollen. Auf der größern Fläche war Mnnkacsys breite Behandlungsweise, welche den kleinern Genrebildern etwas unfertiges und skizzenhaftes gab, besser am Platze, zumal da sich dieselbe meist auf das Beiwerk, die Stoffe, Möbel und Geräte beschränkte und sich in den Köpfen und Händen zu einer sorgfältigern, mehr abgerundeten Durchbildung erhob. In allen Teilen lieferte das Gemälde aber den Beweis, daß der ungarische Maler durch die eingehendsten Natur¬ studien nicht nur sein technisches Können bedeutend vertieft, sondern auch seinen geistigen Horizont erweitert hatte. Dabei hatte er auch in dem neuen Stoff¬ gebiete seine Originalität so vollkommen bewahrt, daß sich in den Gemäldesälen der Weltausstellung nur wenige Arbeiten finden ließen, welche eine so persön¬ liche und individuelle Sprache führten wie diejenige Munkacsys. Seine eigen¬ tümliche Ausdrucksweise fand zwar immer noch ebensoviele Gegner wie Bewun¬ derer, aber beide waren darin einig, daß man es mit den Äußerungen eines durchaus originellen, auf sich selbst gestellten Talentes zu thun habe. Etwas national-magyarisches war jedenfalls in diesem Gemälde nicht zu entdecken. Am ehesten wirkte in der geistigen Beseelung der Köpfe noch die Düsseldorfer Er¬ ziehung nach. In der Technik mußte jedoch eine vollkommene Unabhängigkeit von jeder Schultraditiou konstatirt werden. Das Miltonbild brachte dem Künstler die Ehrenmedaille der Weltaus¬ stellung und das Offizierskreuz der Ehrenlegion und verschaffte ihm aus seineu Wanderungen durch Österreich, Deutschland u. s. w. und durch Reproduktionen in Radirung und Photographie auch auswärts Ehre und Anerkennung. Da Munkacsy einmal entschlossen war, mit seiner Vergangenheit zu brechen, gab er sich willig dem Einfluß der kecksten französischen Farbenkünstler hi». Er war nicht der einzige und erste, welcher einsah, daß in der scheinbar so ver¬ kehrten und extravaganten Lehre der Impressionisten ein Korn von Wahrheit vorhanden sei. Man sagt, daß er auch im Glücke seine Herkunft nicht vergessen habe und für die armen Sansculotten der Malerei offene Hand und offenes Herz besitze. Dabei mag er sich auch mit Ernst und Eifer in die Theorie der Impressionisten von Licht und Luft versenkt haben, und eine reichere Lichtfülle konnte niemandem von größerm Vorteile sein als ihm. Wenn die Impressio¬ nisten behaupten, daß die Gewohnheit der Maler, ihre in der freien Natur auf¬ genommenen Skizzen im Atelier, also bei geschlossenem, künstlich arrangirten Licht auszuführen, das Auge allmählich stumpf und unempfänglich für die wirklich im Freien vorhandene Lichtfülle gemacht habe, so haben Sie mit dieser Behauptung nicht Unrecht, wohl aber, wenn sie sagen, daß diese Lichtfülle die Luft so vollständig absorbire, daß man sie überhaupt nicht mehr sehe und dem¬ gemäß auch nicht malen dürfe. Eine große Gruppe von französischen Malern hat beide Punkte dieser Theorie mit Begeisterung aufgenommen, und zu ihnen gehört auch Munkacsy, welcher lange Zeit ein abgesagter Feind des Lichts gewesen war. Grenzboten I. 1884. 72

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/579>, abgerufen am 25.08.2024.