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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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merksam ein auf derselbe" stehendes Gemälde prüft. MnnkaesyS Blicke Hunger
erwartungsvoll an den Lippen der Kuustrichterin, und im Hintergrunde halt
sich bescheiden ein ärmlich gekleidetes Kind zurück, welches dem Künstler als
Modell gedient hat. Von schwarzen und grauen Tönen war, namentlich im
Fond zwar immer noch ein übertriebener Gebrauch gemacht worden. Aber in
dem ganzen Arrangement war das Streben nach Eleganz und Vornehmheit
unverkennbar. Im nächsten Jnhre griff er wieder in das ungarische Volksleben
mit einer "Jagdgeschichte" hinein -- ein Nimrod erzählt sie in einem Wirtshause
seinen aufmerksamen Zechgenossen --, wobei er einen neuen Schritt vorwärts
ins Farbige machte. Zum letztenmcile bearbeitete er dann noch ein nationales
Motiv in seiner "Ungarischen Rekrutirung," einer Werbeszene, die ebenfalls in
einem Wirtshause spielt. Nach Vollendung dieses Gemäldes zog er aber den
Magyaren aus. Er hatte sich so vollständig in das Pariser Leben eingewöhnt,
daß ihn das niedere Genre nicht mehr reizte. Einerseits strebte er danach, mit
den Koryphäen der Pariser Kunst in der Malerei großen Stils zu wetteifern,
andrerseits beschäftigten ihn koloristische Probleme, auf welche er im Strome
der Pariser Kunstbewegung aufmerksam geworden war.

Auf der Weltausstellung von 1878 figurirte bereits neben jenem Atclier-
interieur und der "Ungarischen Rekrutirung" die erste Frucht seiner neuen Be¬
strebungen: "Milton, seinen Töchtern das verlorene Paradies diktirend." Mit
einem Schlage war die trübe Atmosphäre rauchiger Wirtshäuser, rußiger Küchen
und schmutziger Straßen verschwunden. Ein behaglich ausgestattetes Gemach,
in welches durch die kleinen, runden Scheiben des Fensters ein sanftes Licht
fällt, auf dem Lehnstuhle am Fenster der blinde Dichter, von einem silbergrauen
Lichte umflossen und gesenkten Hauptes über den Versen nachsinnend, um den
Tisch herum die drei Töchter gruppirt, die eine in ihrer Strickarbeit innehal¬
tend, die andre hinter einem Stuhle stehend und, wie die dritte, die Schreiberin,
den Worten des Vaters lauschend -- das alles war mit einer Kunst geschil¬
dert, deren charakteristische Eigentümlichkeiten in erster Linie Vornehmheit und
Ruhe waren. Die geistige Arbeit des Dichters kam auf seinen Zügen zu klarem
Ausdruck, und die gespannte, auf den Vater gerichtete Aufmerksamkeit der drei
Töchter gab der Gruppe auch eine innere Einheit. Jeder theatralische Zug, der
namentlich in der Charakteristik des schaffenden Dichters in gefährlicher Nähe
lag, war glücklich vermieden. Ein natürliches, einfaches Empfinden beherrschte
gleichmäßig die vier Figuren. Zu einer vollen farbigen Wirkung hatte sich
Munkacsy indessen auch auf diesem Gebiete noch nicht durchgearbeitet. Auf dem
Teppich, dem roten Sammet des Lehnsessels, der Tischdecke lag es immer noch
wie ein grauer Florschleier. Aber die schweren, schwarzen Töne waren doch
ziemlich unterdrückt worden, und es ließ sich nicht leugnen, daß der Künstler
durch die graue Grundstimmung zum Teil die vornehme Gesamtwirkung erzielt
hatte. Sah mau jedoch von dieser koloristischen Voreingenommenheit ab, so


merksam ein auf derselbe» stehendes Gemälde prüft. MnnkaesyS Blicke Hunger
erwartungsvoll an den Lippen der Kuustrichterin, und im Hintergrunde halt
sich bescheiden ein ärmlich gekleidetes Kind zurück, welches dem Künstler als
Modell gedient hat. Von schwarzen und grauen Tönen war, namentlich im
Fond zwar immer noch ein übertriebener Gebrauch gemacht worden. Aber in
dem ganzen Arrangement war das Streben nach Eleganz und Vornehmheit
unverkennbar. Im nächsten Jnhre griff er wieder in das ungarische Volksleben
mit einer „Jagdgeschichte" hinein — ein Nimrod erzählt sie in einem Wirtshause
seinen aufmerksamen Zechgenossen —, wobei er einen neuen Schritt vorwärts
ins Farbige machte. Zum letztenmcile bearbeitete er dann noch ein nationales
Motiv in seiner „Ungarischen Rekrutirung," einer Werbeszene, die ebenfalls in
einem Wirtshause spielt. Nach Vollendung dieses Gemäldes zog er aber den
Magyaren aus. Er hatte sich so vollständig in das Pariser Leben eingewöhnt,
daß ihn das niedere Genre nicht mehr reizte. Einerseits strebte er danach, mit
den Koryphäen der Pariser Kunst in der Malerei großen Stils zu wetteifern,
andrerseits beschäftigten ihn koloristische Probleme, auf welche er im Strome
der Pariser Kunstbewegung aufmerksam geworden war.

Auf der Weltausstellung von 1878 figurirte bereits neben jenem Atclier-
interieur und der „Ungarischen Rekrutirung" die erste Frucht seiner neuen Be¬
strebungen: „Milton, seinen Töchtern das verlorene Paradies diktirend." Mit
einem Schlage war die trübe Atmosphäre rauchiger Wirtshäuser, rußiger Küchen
und schmutziger Straßen verschwunden. Ein behaglich ausgestattetes Gemach,
in welches durch die kleinen, runden Scheiben des Fensters ein sanftes Licht
fällt, auf dem Lehnstuhle am Fenster der blinde Dichter, von einem silbergrauen
Lichte umflossen und gesenkten Hauptes über den Versen nachsinnend, um den
Tisch herum die drei Töchter gruppirt, die eine in ihrer Strickarbeit innehal¬
tend, die andre hinter einem Stuhle stehend und, wie die dritte, die Schreiberin,
den Worten des Vaters lauschend — das alles war mit einer Kunst geschil¬
dert, deren charakteristische Eigentümlichkeiten in erster Linie Vornehmheit und
Ruhe waren. Die geistige Arbeit des Dichters kam auf seinen Zügen zu klarem
Ausdruck, und die gespannte, auf den Vater gerichtete Aufmerksamkeit der drei
Töchter gab der Gruppe auch eine innere Einheit. Jeder theatralische Zug, der
namentlich in der Charakteristik des schaffenden Dichters in gefährlicher Nähe
lag, war glücklich vermieden. Ein natürliches, einfaches Empfinden beherrschte
gleichmäßig die vier Figuren. Zu einer vollen farbigen Wirkung hatte sich
Munkacsy indessen auch auf diesem Gebiete noch nicht durchgearbeitet. Auf dem
Teppich, dem roten Sammet des Lehnsessels, der Tischdecke lag es immer noch
wie ein grauer Florschleier. Aber die schweren, schwarzen Töne waren doch
ziemlich unterdrückt worden, und es ließ sich nicht leugnen, daß der Künstler
durch die graue Grundstimmung zum Teil die vornehme Gesamtwirkung erzielt
hatte. Sah mau jedoch von dieser koloristischen Voreingenommenheit ab, so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/578>, abgerufen am 25.08.2024.