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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Der Literarische verein in Stuttgart.

manu hat diese selbst unter dem Titel Das Zeitbuch des Eile von Repgow
für den Literarischen Verein herausgegeben, leider in so wenig kritischer Weise,
daß eine neue Ausgabe dringend geboten erschien, die denn auch von L. Weiland
für die neue Serie der Nonuinentg, Llörwaniitö niswrioa, welche unter dem
Titel "Deutsche Chroniken" erscheint, in mustergiltiger Weise besorgt worden ist.

Der heute mit unheimlichem Eifer gepflegte Gegensatz deutschen und
tschechischen Wesens, welcher sich selbst bis auf das scheinbar neutrale Gebiet
der Wissenschaft erstreckt, hat seine Anfänge bereits in der Zeit, wo König
Ottokar in Böhmen einen gewaltigen politischen Aufschwung herbeigeführt hatte.
Seine dominirende Stellung diente jedoch nur dazu, die innern Gegensätze zu
verschärfen, und ganz natürlich übertrug sich der Widerstreit der deutschen und
national böhmischen Interessen auch auf die Geschichtschreibung. Am auf¬
fallendsten zeigt diese Erscheinung das Nennwert eines tschechischen Ritters, das
uuter dem Namen Dalimils bekannt ist, von dem Hanka eine alte gereimte
deutsche Übersetzung für den Literarischen Verein veröffentlichte. Während aber
das böhmische Reimwerk als ein Vorläufer der hussitischen Bewegung nach ihrer
nationalen Seite hin erscheint, unterdrückt der deutsche "Dalimil" die Invektiven,
welche der böhmische gegen die deutsche Nation häuft, und stellt der tendenziösen
böhmischen Bearbeitung eine ebenso entschieden deutsch gefärbte entgegen.

Ähnliches läßt sich von einer andern Reimchronik sagen, welche gleichfalls
energisch den deutschen Standpunkt hervorkehrt und eben deshalb neben ihrem
historischen Werte auch ein in hohem Grade politisches Interesse besitzt. Wir
meinen die Livländische Reimchronik, welche Pfeiffer nach Bergmanns
sehr selten gewordner Ausgabe und unter Benutzung der Heidelberger Hand¬
schrift wieder abdrucken ließ. Pfeiffer beabsichtigte keine kritische Ausgabe, ihm
war es zunächst nur darum zu thun, das fast unerreichbare Werk wieder zu¬
gänglich zu machen. Später hat Leo Meyer nochmals eine neue, allen An¬
forderungen entsprechende Ausgabe desselben veranstaltet.

Die bisher besprochenen geschichtlichen Publikationen gehören dem 14. Jahr¬
hundert an. Aus dem 16. Jahrhundert begnügen wir uns damit, die von Franz
Ludwig Baumann veröffentlichten Quellen zur Geschichte des Bauern¬
krieges in Oberschwaben zu erwähnen. Demselben sorgsamen Forscher,
einem Schüler des Professors Cornelius in München, dessen Lehrthätigkeit
gerade für die Bearbeitung der Reformationszeit manche fruchtbringende An¬
regung gegeben hat, verdanken wir auch noch die Sammlung der Quellen zur
Geschichte des Bauernkrieges aus Rotenburg an der Tauber. Wer
da weiß, mit welcher Schwierigkeit der Historiker der deutschen Bauernunruhen
bei der Zerstreutheit des massenhaft noch vorhandnen Materials zu kämpfen
hat, und zugleich die Gefahr im Auge hat, die demselben bei den mangelhaften
Zuständen der meisten städtischen Archive noch hentzutage droht, wird Bau¬
mann für seine mühevolle und sorgsame Arbeit gewiß volle Anerkennung


Der Literarische verein in Stuttgart.

manu hat diese selbst unter dem Titel Das Zeitbuch des Eile von Repgow
für den Literarischen Verein herausgegeben, leider in so wenig kritischer Weise,
daß eine neue Ausgabe dringend geboten erschien, die denn auch von L. Weiland
für die neue Serie der Nonuinentg, Llörwaniitö niswrioa, welche unter dem
Titel „Deutsche Chroniken" erscheint, in mustergiltiger Weise besorgt worden ist.

Der heute mit unheimlichem Eifer gepflegte Gegensatz deutschen und
tschechischen Wesens, welcher sich selbst bis auf das scheinbar neutrale Gebiet
der Wissenschaft erstreckt, hat seine Anfänge bereits in der Zeit, wo König
Ottokar in Böhmen einen gewaltigen politischen Aufschwung herbeigeführt hatte.
Seine dominirende Stellung diente jedoch nur dazu, die innern Gegensätze zu
verschärfen, und ganz natürlich übertrug sich der Widerstreit der deutschen und
national böhmischen Interessen auch auf die Geschichtschreibung. Am auf¬
fallendsten zeigt diese Erscheinung das Nennwert eines tschechischen Ritters, das
uuter dem Namen Dalimils bekannt ist, von dem Hanka eine alte gereimte
deutsche Übersetzung für den Literarischen Verein veröffentlichte. Während aber
das böhmische Reimwerk als ein Vorläufer der hussitischen Bewegung nach ihrer
nationalen Seite hin erscheint, unterdrückt der deutsche „Dalimil" die Invektiven,
welche der böhmische gegen die deutsche Nation häuft, und stellt der tendenziösen
böhmischen Bearbeitung eine ebenso entschieden deutsch gefärbte entgegen.

Ähnliches läßt sich von einer andern Reimchronik sagen, welche gleichfalls
energisch den deutschen Standpunkt hervorkehrt und eben deshalb neben ihrem
historischen Werte auch ein in hohem Grade politisches Interesse besitzt. Wir
meinen die Livländische Reimchronik, welche Pfeiffer nach Bergmanns
sehr selten gewordner Ausgabe und unter Benutzung der Heidelberger Hand¬
schrift wieder abdrucken ließ. Pfeiffer beabsichtigte keine kritische Ausgabe, ihm
war es zunächst nur darum zu thun, das fast unerreichbare Werk wieder zu¬
gänglich zu machen. Später hat Leo Meyer nochmals eine neue, allen An¬
forderungen entsprechende Ausgabe desselben veranstaltet.

Die bisher besprochenen geschichtlichen Publikationen gehören dem 14. Jahr¬
hundert an. Aus dem 16. Jahrhundert begnügen wir uns damit, die von Franz
Ludwig Baumann veröffentlichten Quellen zur Geschichte des Bauern¬
krieges in Oberschwaben zu erwähnen. Demselben sorgsamen Forscher,
einem Schüler des Professors Cornelius in München, dessen Lehrthätigkeit
gerade für die Bearbeitung der Reformationszeit manche fruchtbringende An¬
regung gegeben hat, verdanken wir auch noch die Sammlung der Quellen zur
Geschichte des Bauernkrieges aus Rotenburg an der Tauber. Wer
da weiß, mit welcher Schwierigkeit der Historiker der deutschen Bauernunruhen
bei der Zerstreutheit des massenhaft noch vorhandnen Materials zu kämpfen
hat, und zugleich die Gefahr im Auge hat, die demselben bei den mangelhaften
Zuständen der meisten städtischen Archive noch hentzutage droht, wird Bau¬
mann für seine mühevolle und sorgsame Arbeit gewiß volle Anerkennung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/568>, abgerufen am 27.08.2024.