Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der literarische verein in Stuttgart.

leugnende Treuherzigkeit, welche sich in diesen poetischen Erzeugnissen des deutschen
Bürgertums ausspricht, haben auch heute noch ein mehr als literarhistorisches
Interesse. Für die weitverbreitete Vorliebe unsrer Zeit sür alles sittengeschicht¬
liche bilden gerade die Fastnachtsspiele des 15. Jahrhunderts eine unerschöpfliche
Fundgrube. Eine wie wertvolle Sprachquclle endlich in diesen Fastnachts¬
spielen erschlossen ist, hat schon Jakob Grimm fast auf jedem Blatte des deutschen
Wörterbuchs dargethan.

Das eben Gesagte gilt aber in gleichem, wenn nicht in noch höherm Maße
von den Dichtungen des Hans Sachs, von denen uns der Literarische Verein
nun schon vierzehn Bände gebracht hat. "In Froschpfuhl all das Volk ver¬
bannt, das seineu Meister je verkannt," dieses strafende Wort, mit dem einst
Goethe sein Gedicht "Hans Sachsens poetische Sendung" schloß, hat seine
gute Wirkung gethan und verliert immer mehr an Geltung. Die hauptsäch¬
lichsten Dichtungen des poetischen Schuhmachers von Nürnberg sind uns ja in
verschiednen Ausgaben bekannt gemacht worden. Die umfassendste derselben ist
aber doch die, welche von Keller für den Literarischen Verein begonnen wurde
und jetzt von Edmund Goetze in Dresden weitergeführt wird. Keller beab¬
sichtigte zuerst nur einen Wiederabdruck der noch zu Hans Sachsens Lebzeiten
veranstalteten Nürnberger Quartausgnbc. Goetze jedoch, der bereits beim
zwölften Bande eine Reihe wertvoller Anmerkungen geliefert hatte, übernahm es seit
dem dreizehnten Bande, die erhaltenen Handschriften zum Vergleich heranzuziehen,
sodaß seitdem die Ausgabe wesentlich an wissenschaftlichem Wert gewonnen hat.*)
Etwa sechs Bände werden noch nötig sein, um alles das aufzunehmen, was in
der Nürnberger Quartausgabe enthalten ist. Es ist jedoch beabsichtigt, weiter¬
zugehen, indem noch eine Reihe von Bänden in Aussicht genommen ist, welche
das Gedruckte, aber in der Nürnberger Ausgabe nicht Enthaltene, sowie alles
bisher noch Ungedruckte umfassen sollen. Den Schluß dieser wahrhaft monu¬
mentalen Ausgabe wird eine aufs sorgfältigste vorbereitete Hans Sachs-Biblio-
graphie bilden, von der wir hoffen dürfen, daß sie das von Weller auf diesem
Gebiete Geleistete bei weitem übertreffen wird. Auf diese Weise wird das Bild
eines Dichters im hellsten Lichte wieder erstehen, den beschränkte Voreingenommen¬
heit lange Zeit über die Achsel ansehen zu dürfen glaubte. Freilich werden
bis zur Erreichung dieses Zieles noch Jahre angestrengten Fleißes und auf¬
opfernder Hingabe an den Gegenstand nötig sein.**)




*) Wie wünschenswert vom kritischen Standpunkte eine zweite Auflage der ersten Bände
>se, wird jeder zugestehen, der sich von dem großen Fortschritt, der durch die Vergleichung der
Handschrift erreicht worden ist, überzeugt hat.
**) Schneller dürfte ein andres Unternehmen zu Ende geführt werden, welches gleichfalls
der kundigen Hand Edmund Goetzes anvertraut ist. Wir meinen die Ausgabe der Fastnachts¬
spiele von Hans Sachs, welche Goetze für die von W. Braune in Gießen herausgegebenen
Neudrucke deutscher Literaturwerke des Is, und 17. Jahrhunderts übernommen
Der literarische verein in Stuttgart.

leugnende Treuherzigkeit, welche sich in diesen poetischen Erzeugnissen des deutschen
Bürgertums ausspricht, haben auch heute noch ein mehr als literarhistorisches
Interesse. Für die weitverbreitete Vorliebe unsrer Zeit sür alles sittengeschicht¬
liche bilden gerade die Fastnachtsspiele des 15. Jahrhunderts eine unerschöpfliche
Fundgrube. Eine wie wertvolle Sprachquclle endlich in diesen Fastnachts¬
spielen erschlossen ist, hat schon Jakob Grimm fast auf jedem Blatte des deutschen
Wörterbuchs dargethan.

Das eben Gesagte gilt aber in gleichem, wenn nicht in noch höherm Maße
von den Dichtungen des Hans Sachs, von denen uns der Literarische Verein
nun schon vierzehn Bände gebracht hat. „In Froschpfuhl all das Volk ver¬
bannt, das seineu Meister je verkannt," dieses strafende Wort, mit dem einst
Goethe sein Gedicht „Hans Sachsens poetische Sendung" schloß, hat seine
gute Wirkung gethan und verliert immer mehr an Geltung. Die hauptsäch¬
lichsten Dichtungen des poetischen Schuhmachers von Nürnberg sind uns ja in
verschiednen Ausgaben bekannt gemacht worden. Die umfassendste derselben ist
aber doch die, welche von Keller für den Literarischen Verein begonnen wurde
und jetzt von Edmund Goetze in Dresden weitergeführt wird. Keller beab¬
sichtigte zuerst nur einen Wiederabdruck der noch zu Hans Sachsens Lebzeiten
veranstalteten Nürnberger Quartausgnbc. Goetze jedoch, der bereits beim
zwölften Bande eine Reihe wertvoller Anmerkungen geliefert hatte, übernahm es seit
dem dreizehnten Bande, die erhaltenen Handschriften zum Vergleich heranzuziehen,
sodaß seitdem die Ausgabe wesentlich an wissenschaftlichem Wert gewonnen hat.*)
Etwa sechs Bände werden noch nötig sein, um alles das aufzunehmen, was in
der Nürnberger Quartausgabe enthalten ist. Es ist jedoch beabsichtigt, weiter¬
zugehen, indem noch eine Reihe von Bänden in Aussicht genommen ist, welche
das Gedruckte, aber in der Nürnberger Ausgabe nicht Enthaltene, sowie alles
bisher noch Ungedruckte umfassen sollen. Den Schluß dieser wahrhaft monu¬
mentalen Ausgabe wird eine aufs sorgfältigste vorbereitete Hans Sachs-Biblio-
graphie bilden, von der wir hoffen dürfen, daß sie das von Weller auf diesem
Gebiete Geleistete bei weitem übertreffen wird. Auf diese Weise wird das Bild
eines Dichters im hellsten Lichte wieder erstehen, den beschränkte Voreingenommen¬
heit lange Zeit über die Achsel ansehen zu dürfen glaubte. Freilich werden
bis zur Erreichung dieses Zieles noch Jahre angestrengten Fleißes und auf¬
opfernder Hingabe an den Gegenstand nötig sein.**)




*) Wie wünschenswert vom kritischen Standpunkte eine zweite Auflage der ersten Bände
>se, wird jeder zugestehen, der sich von dem großen Fortschritt, der durch die Vergleichung der
Handschrift erreicht worden ist, überzeugt hat.
**) Schneller dürfte ein andres Unternehmen zu Ende geführt werden, welches gleichfalls
der kundigen Hand Edmund Goetzes anvertraut ist. Wir meinen die Ausgabe der Fastnachts¬
spiele von Hans Sachs, welche Goetze für die von W. Braune in Gießen herausgegebenen
Neudrucke deutscher Literaturwerke des Is, und 17. Jahrhunderts übernommen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0565" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155448"/>
          <fw type="header" place="top"> Der literarische verein in Stuttgart.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2270" prev="#ID_2269"> leugnende Treuherzigkeit, welche sich in diesen poetischen Erzeugnissen des deutschen<lb/>
Bürgertums ausspricht, haben auch heute noch ein mehr als literarhistorisches<lb/>
Interesse. Für die weitverbreitete Vorliebe unsrer Zeit sür alles sittengeschicht¬<lb/>
liche bilden gerade die Fastnachtsspiele des 15. Jahrhunderts eine unerschöpfliche<lb/>
Fundgrube. Eine wie wertvolle Sprachquclle endlich in diesen Fastnachts¬<lb/>
spielen erschlossen ist, hat schon Jakob Grimm fast auf jedem Blatte des deutschen<lb/>
Wörterbuchs dargethan.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2271"> Das eben Gesagte gilt aber in gleichem, wenn nicht in noch höherm Maße<lb/>
von den Dichtungen des Hans Sachs, von denen uns der Literarische Verein<lb/>
nun schon vierzehn Bände gebracht hat. &#x201E;In Froschpfuhl all das Volk ver¬<lb/>
bannt, das seineu Meister je verkannt," dieses strafende Wort, mit dem einst<lb/>
Goethe sein Gedicht &#x201E;Hans Sachsens poetische Sendung" schloß, hat seine<lb/>
gute Wirkung gethan und verliert immer mehr an Geltung. Die hauptsäch¬<lb/>
lichsten Dichtungen des poetischen Schuhmachers von Nürnberg sind uns ja in<lb/>
verschiednen Ausgaben bekannt gemacht worden. Die umfassendste derselben ist<lb/>
aber doch die, welche von Keller für den Literarischen Verein begonnen wurde<lb/>
und jetzt von Edmund Goetze in Dresden weitergeführt wird. Keller beab¬<lb/>
sichtigte zuerst nur einen Wiederabdruck der noch zu Hans Sachsens Lebzeiten<lb/>
veranstalteten Nürnberger Quartausgnbc. Goetze jedoch, der bereits beim<lb/>
zwölften Bande eine Reihe wertvoller Anmerkungen geliefert hatte, übernahm es seit<lb/>
dem dreizehnten Bande, die erhaltenen Handschriften zum Vergleich heranzuziehen,<lb/>
sodaß seitdem die Ausgabe wesentlich an wissenschaftlichem Wert gewonnen hat.*)<lb/>
Etwa sechs Bände werden noch nötig sein, um alles das aufzunehmen, was in<lb/>
der Nürnberger Quartausgabe enthalten ist. Es ist jedoch beabsichtigt, weiter¬<lb/>
zugehen, indem noch eine Reihe von Bänden in Aussicht genommen ist, welche<lb/>
das Gedruckte, aber in der Nürnberger Ausgabe nicht Enthaltene, sowie alles<lb/>
bisher noch Ungedruckte umfassen sollen. Den Schluß dieser wahrhaft monu¬<lb/>
mentalen Ausgabe wird eine aufs sorgfältigste vorbereitete Hans Sachs-Biblio-<lb/>
graphie bilden, von der wir hoffen dürfen, daß sie das von Weller auf diesem<lb/>
Gebiete Geleistete bei weitem übertreffen wird. Auf diese Weise wird das Bild<lb/>
eines Dichters im hellsten Lichte wieder erstehen, den beschränkte Voreingenommen¬<lb/>
heit lange Zeit über die Achsel ansehen zu dürfen glaubte. Freilich werden<lb/>
bis zur Erreichung dieses Zieles noch Jahre angestrengten Fleißes und auf¬<lb/>
opfernder Hingabe an den Gegenstand nötig sein.**)</p><lb/>
          <note xml:id="FID_48" place="foot"> *) Wie wünschenswert vom kritischen Standpunkte eine zweite Auflage der ersten Bände<lb/>
&gt;se, wird jeder zugestehen, der sich von dem großen Fortschritt, der durch die Vergleichung der<lb/>
Handschrift erreicht worden ist, überzeugt hat.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_49" place="foot" next="#FID_50"> **) Schneller dürfte ein andres Unternehmen zu Ende geführt werden, welches gleichfalls<lb/>
der kundigen Hand Edmund Goetzes anvertraut ist. Wir meinen die Ausgabe der Fastnachts¬<lb/>
spiele von Hans Sachs, welche Goetze für die von W. Braune in Gießen herausgegebenen<lb/>
Neudrucke deutscher Literaturwerke des Is, und 17. Jahrhunderts übernommen</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0565] Der literarische verein in Stuttgart. leugnende Treuherzigkeit, welche sich in diesen poetischen Erzeugnissen des deutschen Bürgertums ausspricht, haben auch heute noch ein mehr als literarhistorisches Interesse. Für die weitverbreitete Vorliebe unsrer Zeit sür alles sittengeschicht¬ liche bilden gerade die Fastnachtsspiele des 15. Jahrhunderts eine unerschöpfliche Fundgrube. Eine wie wertvolle Sprachquclle endlich in diesen Fastnachts¬ spielen erschlossen ist, hat schon Jakob Grimm fast auf jedem Blatte des deutschen Wörterbuchs dargethan. Das eben Gesagte gilt aber in gleichem, wenn nicht in noch höherm Maße von den Dichtungen des Hans Sachs, von denen uns der Literarische Verein nun schon vierzehn Bände gebracht hat. „In Froschpfuhl all das Volk ver¬ bannt, das seineu Meister je verkannt," dieses strafende Wort, mit dem einst Goethe sein Gedicht „Hans Sachsens poetische Sendung" schloß, hat seine gute Wirkung gethan und verliert immer mehr an Geltung. Die hauptsäch¬ lichsten Dichtungen des poetischen Schuhmachers von Nürnberg sind uns ja in verschiednen Ausgaben bekannt gemacht worden. Die umfassendste derselben ist aber doch die, welche von Keller für den Literarischen Verein begonnen wurde und jetzt von Edmund Goetze in Dresden weitergeführt wird. Keller beab¬ sichtigte zuerst nur einen Wiederabdruck der noch zu Hans Sachsens Lebzeiten veranstalteten Nürnberger Quartausgnbc. Goetze jedoch, der bereits beim zwölften Bande eine Reihe wertvoller Anmerkungen geliefert hatte, übernahm es seit dem dreizehnten Bande, die erhaltenen Handschriften zum Vergleich heranzuziehen, sodaß seitdem die Ausgabe wesentlich an wissenschaftlichem Wert gewonnen hat.*) Etwa sechs Bände werden noch nötig sein, um alles das aufzunehmen, was in der Nürnberger Quartausgabe enthalten ist. Es ist jedoch beabsichtigt, weiter¬ zugehen, indem noch eine Reihe von Bänden in Aussicht genommen ist, welche das Gedruckte, aber in der Nürnberger Ausgabe nicht Enthaltene, sowie alles bisher noch Ungedruckte umfassen sollen. Den Schluß dieser wahrhaft monu¬ mentalen Ausgabe wird eine aufs sorgfältigste vorbereitete Hans Sachs-Biblio- graphie bilden, von der wir hoffen dürfen, daß sie das von Weller auf diesem Gebiete Geleistete bei weitem übertreffen wird. Auf diese Weise wird das Bild eines Dichters im hellsten Lichte wieder erstehen, den beschränkte Voreingenommen¬ heit lange Zeit über die Achsel ansehen zu dürfen glaubte. Freilich werden bis zur Erreichung dieses Zieles noch Jahre angestrengten Fleißes und auf¬ opfernder Hingabe an den Gegenstand nötig sein.**) *) Wie wünschenswert vom kritischen Standpunkte eine zweite Auflage der ersten Bände >se, wird jeder zugestehen, der sich von dem großen Fortschritt, der durch die Vergleichung der Handschrift erreicht worden ist, überzeugt hat. **) Schneller dürfte ein andres Unternehmen zu Ende geführt werden, welches gleichfalls der kundigen Hand Edmund Goetzes anvertraut ist. Wir meinen die Ausgabe der Fastnachts¬ spiele von Hans Sachs, welche Goetze für die von W. Braune in Gießen herausgegebenen Neudrucke deutscher Literaturwerke des Is, und 17. Jahrhunderts übernommen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/565
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/565>, abgerufen am 26.08.2024.