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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Vor Literarische verein in Stuttgart.

verdanken wir außer einer Ausgabe von Steinhöwels Äsop einen Wieder¬
abdruck der köstlichen Schwanksammlung des Franziskaners Johannes Pauli,
welche unter dem Titel Schimpf und Ernst bekannt ist. Noch umfangreicher ist
Hans Wilhelm Kirchhofs Wendunmuth, eine Sammlung, in der gewisser¬
maßen die ganze umlaufende Masse von Fabeln, Schwanken und Geschichten eine
endgiltige Kodifizirung erfuhr. Oesterley besorgte auch von diesem Werke einen
vier Bände umfassenden kritischen Neudruck und fügte in einem fünften Bande,
nicht ohne Karl Goedekes wesentliche Beihilfe, einen sorgsam gearbeiteten
Nachweis über die Quellen Kirchhofs und seiner Genossen hinzu. Leider fehlen
uns die Mittelglieder zwischen Pauli und Kirchhof, so Heinrich Bebel, der
Tübinger Humanist, dessen drei Bücher Mestms trotz der großen Anzahl alter
Drucke, die auf uns gekommen sind, doch einmal eine mit allen Mitteln philo¬
logischer Kunst ins Werk gesetzte Ausgabe verdienten. Auch an das italienische
Vorbild Bebels, an Poggio, sollte eine derartige Arbeit über kurz oder lang
einmal gewendet werden. Zu den größten literarischen Seltenheiten gehören die
"Gartengesellschaft" des Stadtschreibers zu Maursmünster, Jakob Frey, der
"Wegkürzer" des Martinus Montanus von Straßburg und des Leipzigers
Valentin Schumann "Nachtbüchlein." Wer wird den Verein und dadurch alle
in diesen Dingen Forschenden mit der Herausgabe dieser Schwanksammlungen er¬
freuen? Daß Michael Lind(e)mers "Katzipori," schon längst in Aussicht gestellt,
unter den demnächst zu erwartenden Bänden sich befinde, wollen wir wünschen.

Nahe verwandt mit den ebengenannten Werken ist die Zimmerische
Chronik, die Keller unter den geschichtlichen Werken ausführt, die aber wegen
einer Fülle launiger und ernster Erzählungen auch im Zusammenhang mit den
Novellen und Schwanksammlungen genannt werden kann. Sie wurde von
K. A. Barack, dem verdienten Oberbibliothekar an der Universitätsbibliothek
zu Straßburg, zuerst für den Literarischeu Verein herausgegeben, ist dann aber
auch in zweiter, höchst splendid ausgestatteter Auflage durch den Buchhandel zur
Verbreitung gelangt.

Unter den von dem Literarischen Verein publizirten dramatischen Dichtungen
verdienen die Fastnachtsspiele aus dem 15. Jahrhundert eine besonders
lobende Hervorhebung. Mit ihrer Herausgabe hat Keller für die deutsche
Literaturgeschichte ein fast noch unbetreteues Gebiet zum erstenmale eröffnet.
Mit Recht erfreuen sich gerade diese Bände einer überaus fleißigen Benutzung
von feiten des Publikums: die auf Bibliotheken darnach Verlangenden müssen
in der Regel geraume Zeit warten, bis sie ihnen zur Verfügung gestellt werden
können.*) Der treffliche Humor und die bei aller Derbheit doch nie sich ver-



*) Ist es nicht sträflicher Leichtsinn, die Stuttgarter Bereinspublikationen überhaupt
auszuleihen? Ausleihbar ist doch nur das, was im Falle des Verlustes ohne große Mühen
D. Red. und Opfer wieder beschafft werden kann.
Vor Literarische verein in Stuttgart.

verdanken wir außer einer Ausgabe von Steinhöwels Äsop einen Wieder¬
abdruck der köstlichen Schwanksammlung des Franziskaners Johannes Pauli,
welche unter dem Titel Schimpf und Ernst bekannt ist. Noch umfangreicher ist
Hans Wilhelm Kirchhofs Wendunmuth, eine Sammlung, in der gewisser¬
maßen die ganze umlaufende Masse von Fabeln, Schwanken und Geschichten eine
endgiltige Kodifizirung erfuhr. Oesterley besorgte auch von diesem Werke einen
vier Bände umfassenden kritischen Neudruck und fügte in einem fünften Bande,
nicht ohne Karl Goedekes wesentliche Beihilfe, einen sorgsam gearbeiteten
Nachweis über die Quellen Kirchhofs und seiner Genossen hinzu. Leider fehlen
uns die Mittelglieder zwischen Pauli und Kirchhof, so Heinrich Bebel, der
Tübinger Humanist, dessen drei Bücher Mestms trotz der großen Anzahl alter
Drucke, die auf uns gekommen sind, doch einmal eine mit allen Mitteln philo¬
logischer Kunst ins Werk gesetzte Ausgabe verdienten. Auch an das italienische
Vorbild Bebels, an Poggio, sollte eine derartige Arbeit über kurz oder lang
einmal gewendet werden. Zu den größten literarischen Seltenheiten gehören die
„Gartengesellschaft" des Stadtschreibers zu Maursmünster, Jakob Frey, der
„Wegkürzer" des Martinus Montanus von Straßburg und des Leipzigers
Valentin Schumann „Nachtbüchlein." Wer wird den Verein und dadurch alle
in diesen Dingen Forschenden mit der Herausgabe dieser Schwanksammlungen er¬
freuen? Daß Michael Lind(e)mers „Katzipori," schon längst in Aussicht gestellt,
unter den demnächst zu erwartenden Bänden sich befinde, wollen wir wünschen.

Nahe verwandt mit den ebengenannten Werken ist die Zimmerische
Chronik, die Keller unter den geschichtlichen Werken ausführt, die aber wegen
einer Fülle launiger und ernster Erzählungen auch im Zusammenhang mit den
Novellen und Schwanksammlungen genannt werden kann. Sie wurde von
K. A. Barack, dem verdienten Oberbibliothekar an der Universitätsbibliothek
zu Straßburg, zuerst für den Literarischeu Verein herausgegeben, ist dann aber
auch in zweiter, höchst splendid ausgestatteter Auflage durch den Buchhandel zur
Verbreitung gelangt.

Unter den von dem Literarischen Verein publizirten dramatischen Dichtungen
verdienen die Fastnachtsspiele aus dem 15. Jahrhundert eine besonders
lobende Hervorhebung. Mit ihrer Herausgabe hat Keller für die deutsche
Literaturgeschichte ein fast noch unbetreteues Gebiet zum erstenmale eröffnet.
Mit Recht erfreuen sich gerade diese Bände einer überaus fleißigen Benutzung
von feiten des Publikums: die auf Bibliotheken darnach Verlangenden müssen
in der Regel geraume Zeit warten, bis sie ihnen zur Verfügung gestellt werden
können.*) Der treffliche Humor und die bei aller Derbheit doch nie sich ver-



*) Ist es nicht sträflicher Leichtsinn, die Stuttgarter Bereinspublikationen überhaupt
auszuleihen? Ausleihbar ist doch nur das, was im Falle des Verlustes ohne große Mühen
D. Red. und Opfer wieder beschafft werden kann.
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[0564] Vor Literarische verein in Stuttgart. verdanken wir außer einer Ausgabe von Steinhöwels Äsop einen Wieder¬ abdruck der köstlichen Schwanksammlung des Franziskaners Johannes Pauli, welche unter dem Titel Schimpf und Ernst bekannt ist. Noch umfangreicher ist Hans Wilhelm Kirchhofs Wendunmuth, eine Sammlung, in der gewisser¬ maßen die ganze umlaufende Masse von Fabeln, Schwanken und Geschichten eine endgiltige Kodifizirung erfuhr. Oesterley besorgte auch von diesem Werke einen vier Bände umfassenden kritischen Neudruck und fügte in einem fünften Bande, nicht ohne Karl Goedekes wesentliche Beihilfe, einen sorgsam gearbeiteten Nachweis über die Quellen Kirchhofs und seiner Genossen hinzu. Leider fehlen uns die Mittelglieder zwischen Pauli und Kirchhof, so Heinrich Bebel, der Tübinger Humanist, dessen drei Bücher Mestms trotz der großen Anzahl alter Drucke, die auf uns gekommen sind, doch einmal eine mit allen Mitteln philo¬ logischer Kunst ins Werk gesetzte Ausgabe verdienten. Auch an das italienische Vorbild Bebels, an Poggio, sollte eine derartige Arbeit über kurz oder lang einmal gewendet werden. Zu den größten literarischen Seltenheiten gehören die „Gartengesellschaft" des Stadtschreibers zu Maursmünster, Jakob Frey, der „Wegkürzer" des Martinus Montanus von Straßburg und des Leipzigers Valentin Schumann „Nachtbüchlein." Wer wird den Verein und dadurch alle in diesen Dingen Forschenden mit der Herausgabe dieser Schwanksammlungen er¬ freuen? Daß Michael Lind(e)mers „Katzipori," schon längst in Aussicht gestellt, unter den demnächst zu erwartenden Bänden sich befinde, wollen wir wünschen. Nahe verwandt mit den ebengenannten Werken ist die Zimmerische Chronik, die Keller unter den geschichtlichen Werken ausführt, die aber wegen einer Fülle launiger und ernster Erzählungen auch im Zusammenhang mit den Novellen und Schwanksammlungen genannt werden kann. Sie wurde von K. A. Barack, dem verdienten Oberbibliothekar an der Universitätsbibliothek zu Straßburg, zuerst für den Literarischeu Verein herausgegeben, ist dann aber auch in zweiter, höchst splendid ausgestatteter Auflage durch den Buchhandel zur Verbreitung gelangt. Unter den von dem Literarischen Verein publizirten dramatischen Dichtungen verdienen die Fastnachtsspiele aus dem 15. Jahrhundert eine besonders lobende Hervorhebung. Mit ihrer Herausgabe hat Keller für die deutsche Literaturgeschichte ein fast noch unbetreteues Gebiet zum erstenmale eröffnet. Mit Recht erfreuen sich gerade diese Bände einer überaus fleißigen Benutzung von feiten des Publikums: die auf Bibliotheken darnach Verlangenden müssen in der Regel geraume Zeit warten, bis sie ihnen zur Verfügung gestellt werden können.*) Der treffliche Humor und die bei aller Derbheit doch nie sich ver- *) Ist es nicht sträflicher Leichtsinn, die Stuttgarter Bereinspublikationen überhaupt auszuleihen? Ausleihbar ist doch nur das, was im Falle des Verlustes ohne große Mühen D. Red. und Opfer wieder beschafft werden kann.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/564>, abgerufen am 26.08.2024.