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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Der literarische verein in Stuttgart.

wollen, und mehr noch als in England vielleicht in Deutschland, wo bekanntlich
selbst der Reiche und Hochgestellte seine literarischen Bedürfnisse lieber mit Hilfe
von Leihbibliotheken befriedigt, als daß er sich selbst für einen mäßigen Preis
in den dauernden Besitz von Büchern setzte.

Der erste derartige deutsche Bibliophilenverein und noch heute der größte
und bedeutendste unter den Vereinen ähnlicher Tendenz in Deutschland ist der
Literarische Verein in Stuttgart. Im Jahre 1839 nach dem Vorbilde der
englischen und französischen Bibliophilenvcreine gegründet, besteht er noch jetzt
und erfreut sich der wachsenden Gunst und Anerkennung unter allen, die an der
Entwicklung unsrer literargeschichtlichen Studien Anteil nehmen. Trotz alledem
ist selbst in den Kreisen der Gebildeten nicht nur das Interesse an dem Vereine,
sondern auch die Kenntnis von seinen Bestrebungen verhältnismäßig gering. Begeg¬
nete es doch dem Verfasser dieser Zeilen vor kurzem, daß er einem Gymnasiallehrer
gegenüber, der noch dazu germanistische Studien getrieben und die Prüfung in
denselben nicht unrühmlich bestanden hatte, von dem Literarischen Vereine als
von etwas ganz Unbekannten sprach. Es mag deshalb wohl verlohnen, auch
an dieser Stelle einmal die Bedeutung desselben hervorzuheben und einen Über¬
blick über seine hauptsächlichsten Leistungen zu versuchen. Wesentlich erleichtert
wird uns diese Aufgabe durch ein Schriftchen, welches Adalbert von Keller,
der kürzlich verstorbene langjährige Präsident des Vereins, über "die Ent¬
stehung und den Fortgang des Literarischen Vereins" herausgegeben hat
(Tübingen, 1832).*)

Wie seine ausländischen Vorbilder, wurde der Literarische Verein gegründet,
um ältere Geschichtswerke und Dichtungen in der Weise herauszugeben, daß die
gedruckten Exemplare nicht in den Buchhandel gebracht, sondern lediglich zur
Verteilung an'die Mitglieder des Vereins bestimmt werden sollten. Man faßte zu
diesem Zwecke in erster Linie "teils handschriftliche, teils ältere, schon gedruckte,
aber bereits aus dem Buchhandel verschwundene und sehr selten gewordene
Werke ins Auge, welche dem germanischen oder romanischen Sprachgebiete an¬
gehören und ein allgemeines Interesse darbieten, also vorzugsweise Schriften
geschichtlichen und poetischen Inhalts."

Diese Ausdehnung auf überaus umfangreiche Gebiete schien schon darum
geboten, um den einzelnen Mitgliedern, deren Interessenkreis natürlich ein sehr
verschiedner sein muß, die Aussicht zu gewähren, unter vielen für sie wenig
wertvollen Gaben auch mancherlei Begehrenswertes zu erlangen. In der That
aber hat es sich so gefügt, daß Werke aus dem Gebiete der deutschen Sprache



") Auf Grund von Kellers Bericht hat Reinhold Bechstein in der (Augsburger) All¬
gemeinen Zeitung, 1882, Beilage Ur. 169 und 190 einen Artikel über den Literarischeu Verein
und seine Publikationen veröffentlicht, mit dem sich unsre Darstellung, da wir denselben Quellen
folgen, mannichfach berührt.
Der literarische verein in Stuttgart.

wollen, und mehr noch als in England vielleicht in Deutschland, wo bekanntlich
selbst der Reiche und Hochgestellte seine literarischen Bedürfnisse lieber mit Hilfe
von Leihbibliotheken befriedigt, als daß er sich selbst für einen mäßigen Preis
in den dauernden Besitz von Büchern setzte.

Der erste derartige deutsche Bibliophilenverein und noch heute der größte
und bedeutendste unter den Vereinen ähnlicher Tendenz in Deutschland ist der
Literarische Verein in Stuttgart. Im Jahre 1839 nach dem Vorbilde der
englischen und französischen Bibliophilenvcreine gegründet, besteht er noch jetzt
und erfreut sich der wachsenden Gunst und Anerkennung unter allen, die an der
Entwicklung unsrer literargeschichtlichen Studien Anteil nehmen. Trotz alledem
ist selbst in den Kreisen der Gebildeten nicht nur das Interesse an dem Vereine,
sondern auch die Kenntnis von seinen Bestrebungen verhältnismäßig gering. Begeg¬
nete es doch dem Verfasser dieser Zeilen vor kurzem, daß er einem Gymnasiallehrer
gegenüber, der noch dazu germanistische Studien getrieben und die Prüfung in
denselben nicht unrühmlich bestanden hatte, von dem Literarischen Vereine als
von etwas ganz Unbekannten sprach. Es mag deshalb wohl verlohnen, auch
an dieser Stelle einmal die Bedeutung desselben hervorzuheben und einen Über¬
blick über seine hauptsächlichsten Leistungen zu versuchen. Wesentlich erleichtert
wird uns diese Aufgabe durch ein Schriftchen, welches Adalbert von Keller,
der kürzlich verstorbene langjährige Präsident des Vereins, über „die Ent¬
stehung und den Fortgang des Literarischen Vereins" herausgegeben hat
(Tübingen, 1832).*)

Wie seine ausländischen Vorbilder, wurde der Literarische Verein gegründet,
um ältere Geschichtswerke und Dichtungen in der Weise herauszugeben, daß die
gedruckten Exemplare nicht in den Buchhandel gebracht, sondern lediglich zur
Verteilung an'die Mitglieder des Vereins bestimmt werden sollten. Man faßte zu
diesem Zwecke in erster Linie „teils handschriftliche, teils ältere, schon gedruckte,
aber bereits aus dem Buchhandel verschwundene und sehr selten gewordene
Werke ins Auge, welche dem germanischen oder romanischen Sprachgebiete an¬
gehören und ein allgemeines Interesse darbieten, also vorzugsweise Schriften
geschichtlichen und poetischen Inhalts."

Diese Ausdehnung auf überaus umfangreiche Gebiete schien schon darum
geboten, um den einzelnen Mitgliedern, deren Interessenkreis natürlich ein sehr
verschiedner sein muß, die Aussicht zu gewähren, unter vielen für sie wenig
wertvollen Gaben auch mancherlei Begehrenswertes zu erlangen. In der That
aber hat es sich so gefügt, daß Werke aus dem Gebiete der deutschen Sprache



") Auf Grund von Kellers Bericht hat Reinhold Bechstein in der (Augsburger) All¬
gemeinen Zeitung, 1882, Beilage Ur. 169 und 190 einen Artikel über den Literarischeu Verein
und seine Publikationen veröffentlicht, mit dem sich unsre Darstellung, da wir denselben Quellen
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[0560] Der literarische verein in Stuttgart. wollen, und mehr noch als in England vielleicht in Deutschland, wo bekanntlich selbst der Reiche und Hochgestellte seine literarischen Bedürfnisse lieber mit Hilfe von Leihbibliotheken befriedigt, als daß er sich selbst für einen mäßigen Preis in den dauernden Besitz von Büchern setzte. Der erste derartige deutsche Bibliophilenverein und noch heute der größte und bedeutendste unter den Vereinen ähnlicher Tendenz in Deutschland ist der Literarische Verein in Stuttgart. Im Jahre 1839 nach dem Vorbilde der englischen und französischen Bibliophilenvcreine gegründet, besteht er noch jetzt und erfreut sich der wachsenden Gunst und Anerkennung unter allen, die an der Entwicklung unsrer literargeschichtlichen Studien Anteil nehmen. Trotz alledem ist selbst in den Kreisen der Gebildeten nicht nur das Interesse an dem Vereine, sondern auch die Kenntnis von seinen Bestrebungen verhältnismäßig gering. Begeg¬ nete es doch dem Verfasser dieser Zeilen vor kurzem, daß er einem Gymnasiallehrer gegenüber, der noch dazu germanistische Studien getrieben und die Prüfung in denselben nicht unrühmlich bestanden hatte, von dem Literarischen Vereine als von etwas ganz Unbekannten sprach. Es mag deshalb wohl verlohnen, auch an dieser Stelle einmal die Bedeutung desselben hervorzuheben und einen Über¬ blick über seine hauptsächlichsten Leistungen zu versuchen. Wesentlich erleichtert wird uns diese Aufgabe durch ein Schriftchen, welches Adalbert von Keller, der kürzlich verstorbene langjährige Präsident des Vereins, über „die Ent¬ stehung und den Fortgang des Literarischen Vereins" herausgegeben hat (Tübingen, 1832).*) Wie seine ausländischen Vorbilder, wurde der Literarische Verein gegründet, um ältere Geschichtswerke und Dichtungen in der Weise herauszugeben, daß die gedruckten Exemplare nicht in den Buchhandel gebracht, sondern lediglich zur Verteilung an'die Mitglieder des Vereins bestimmt werden sollten. Man faßte zu diesem Zwecke in erster Linie „teils handschriftliche, teils ältere, schon gedruckte, aber bereits aus dem Buchhandel verschwundene und sehr selten gewordene Werke ins Auge, welche dem germanischen oder romanischen Sprachgebiete an¬ gehören und ein allgemeines Interesse darbieten, also vorzugsweise Schriften geschichtlichen und poetischen Inhalts." Diese Ausdehnung auf überaus umfangreiche Gebiete schien schon darum geboten, um den einzelnen Mitgliedern, deren Interessenkreis natürlich ein sehr verschiedner sein muß, die Aussicht zu gewähren, unter vielen für sie wenig wertvollen Gaben auch mancherlei Begehrenswertes zu erlangen. In der That aber hat es sich so gefügt, daß Werke aus dem Gebiete der deutschen Sprache ") Auf Grund von Kellers Bericht hat Reinhold Bechstein in der (Augsburger) All¬ gemeinen Zeitung, 1882, Beilage Ur. 169 und 190 einen Artikel über den Literarischeu Verein und seine Publikationen veröffentlicht, mit dem sich unsre Darstellung, da wir denselben Quellen folgen, mannichfach berührt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/560>, abgerufen am 26.08.2024.