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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Der Literarische verein in Stuttgart,

unsers ganzen modernen Klubwesens, ist auch die Heimat der Bibliophilengesell-
schaften und des Sports in literarischer Beziehung.

Zweierlei Momente erklären diese allbekannte Thatsache leicht. Einmal
liest der Engländer mit besondrer Vorliebe und Ausdauer und wünscht als ein
Mann, der die Unabhängigkeit liebt, auch das zu besitzen, was er liest. Dann
über liegt ihm nichts so nahe, als sich bei möglichst großer Freiheit der Be¬
wegung, die ihm über alles geht, doch streng in einem geschlossenen Kreise von
gleichartigen Individuen abzusondern,*) Diesem nationalen Charakterzüge des
Engländers entstammt seine Vorliebe und Befähigung zum Klublebcn, das sich
gar bald vom politischen Gebiete auch auf das literarische ausdehnte. So ent¬
standen jene zahlreichen englischen Bibliophilengcsellschaften, deren Grundzug
immer der ist, die von ihnen veranstalteten Veröffentlichungen auf die Zahl der
Mitglieder zu beschränken und damit ein Buch zu einer Seltenheit zu stempeln.
Je geringer die Zahl der Mitglieder eines solchen literarischen Vereins ist, desto
größer die Seltenheit der von ihm ausgehenden Publikationen. So zählte z, B.
der Roxburghe Klub, der im Jahre 1812 zu London ins Leben trat, statuten¬
gemäß anfänglich nur 31 Mitglieder und nahm noch im Jahre 1864 nicht mehr
als 40 auf. Eine größere Mitgliederzahl ließ der Baunatyne Klub, 1823 in
Edinburgh gegründet, zu, aber auch hier darf die Zahl von hundert Mitgliedern
nicht überschritten werden. Dasselbe gilt fast von allen derartigen englischen
Gesellschaften.

Es liegt auf der Hand, wie sehr eine solche Beschränkung ans eine be¬
stimmte Anzahl von Mitgliedern den Charakter des Sportmäßigen trägt, mit
dem die Wissenschaft nichts zu thun hat. Dennoch kann der Nutzen, welchen
diese englischen Bibliophilengesellschaften gebracht haben, nicht hoch genug an¬
geschlagen werden, Ist doch unter allen Narrheiten die Narrheit für Bücher
gewiß die edelste, da sie in irgendeiner Weise doch dnrch ihren Gegenstand dem
Großen und Ganzen zu Gute kommt. Auch haben selbst jene englischen Sonder¬
linge gelegentlich sich bewogen gefühlt, einzelne ihrer Veröffentlichungen durch den
Buchhandel jedem Kauflustigen zugänglich zu machen, während andre Gesell¬
schaften, namentlich in neuerer Zeit, es sich angelegen sein lassen, den Kreis ihrer
Mitglieder möglichst auszudehnen.

Es konnte nicht fehlen, daß man auch in Deutschland die trotz ihrer
Schrullenhastigkeit so verdienstvollen englischen Bibliophilengcsellschaften heimisch
M machen suchte. Sie empfehlen sich ja in allen denjenigen Fällen, wo die
Mittel und die Wagelust der Buchhändler für ein großartiges literarisches
Unternehmen, das nur mit pekuniären Opfern durchzuführen ist, nicht ausreichen



") Bergl. L, von Ompteda, Aus England. Neue Bilder. Berlin, 1882, wo S. 96 fig.
eine ansprechende Schilderung des englischen Klublebens gegeben wird, die leider die literarischen
Klubs nicht mit umfaßt.
Der Literarische verein in Stuttgart,

unsers ganzen modernen Klubwesens, ist auch die Heimat der Bibliophilengesell-
schaften und des Sports in literarischer Beziehung.

Zweierlei Momente erklären diese allbekannte Thatsache leicht. Einmal
liest der Engländer mit besondrer Vorliebe und Ausdauer und wünscht als ein
Mann, der die Unabhängigkeit liebt, auch das zu besitzen, was er liest. Dann
über liegt ihm nichts so nahe, als sich bei möglichst großer Freiheit der Be¬
wegung, die ihm über alles geht, doch streng in einem geschlossenen Kreise von
gleichartigen Individuen abzusondern,*) Diesem nationalen Charakterzüge des
Engländers entstammt seine Vorliebe und Befähigung zum Klublebcn, das sich
gar bald vom politischen Gebiete auch auf das literarische ausdehnte. So ent¬
standen jene zahlreichen englischen Bibliophilengcsellschaften, deren Grundzug
immer der ist, die von ihnen veranstalteten Veröffentlichungen auf die Zahl der
Mitglieder zu beschränken und damit ein Buch zu einer Seltenheit zu stempeln.
Je geringer die Zahl der Mitglieder eines solchen literarischen Vereins ist, desto
größer die Seltenheit der von ihm ausgehenden Publikationen. So zählte z, B.
der Roxburghe Klub, der im Jahre 1812 zu London ins Leben trat, statuten¬
gemäß anfänglich nur 31 Mitglieder und nahm noch im Jahre 1864 nicht mehr
als 40 auf. Eine größere Mitgliederzahl ließ der Baunatyne Klub, 1823 in
Edinburgh gegründet, zu, aber auch hier darf die Zahl von hundert Mitgliedern
nicht überschritten werden. Dasselbe gilt fast von allen derartigen englischen
Gesellschaften.

Es liegt auf der Hand, wie sehr eine solche Beschränkung ans eine be¬
stimmte Anzahl von Mitgliedern den Charakter des Sportmäßigen trägt, mit
dem die Wissenschaft nichts zu thun hat. Dennoch kann der Nutzen, welchen
diese englischen Bibliophilengesellschaften gebracht haben, nicht hoch genug an¬
geschlagen werden, Ist doch unter allen Narrheiten die Narrheit für Bücher
gewiß die edelste, da sie in irgendeiner Weise doch dnrch ihren Gegenstand dem
Großen und Ganzen zu Gute kommt. Auch haben selbst jene englischen Sonder¬
linge gelegentlich sich bewogen gefühlt, einzelne ihrer Veröffentlichungen durch den
Buchhandel jedem Kauflustigen zugänglich zu machen, während andre Gesell¬
schaften, namentlich in neuerer Zeit, es sich angelegen sein lassen, den Kreis ihrer
Mitglieder möglichst auszudehnen.

Es konnte nicht fehlen, daß man auch in Deutschland die trotz ihrer
Schrullenhastigkeit so verdienstvollen englischen Bibliophilengcsellschaften heimisch
M machen suchte. Sie empfehlen sich ja in allen denjenigen Fällen, wo die
Mittel und die Wagelust der Buchhändler für ein großartiges literarisches
Unternehmen, das nur mit pekuniären Opfern durchzuführen ist, nicht ausreichen



") Bergl. L, von Ompteda, Aus England. Neue Bilder. Berlin, 1882, wo S. 96 fig.
eine ansprechende Schilderung des englischen Klublebens gegeben wird, die leider die literarischen
Klubs nicht mit umfaßt.
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[0559] Der Literarische verein in Stuttgart, unsers ganzen modernen Klubwesens, ist auch die Heimat der Bibliophilengesell- schaften und des Sports in literarischer Beziehung. Zweierlei Momente erklären diese allbekannte Thatsache leicht. Einmal liest der Engländer mit besondrer Vorliebe und Ausdauer und wünscht als ein Mann, der die Unabhängigkeit liebt, auch das zu besitzen, was er liest. Dann über liegt ihm nichts so nahe, als sich bei möglichst großer Freiheit der Be¬ wegung, die ihm über alles geht, doch streng in einem geschlossenen Kreise von gleichartigen Individuen abzusondern,*) Diesem nationalen Charakterzüge des Engländers entstammt seine Vorliebe und Befähigung zum Klublebcn, das sich gar bald vom politischen Gebiete auch auf das literarische ausdehnte. So ent¬ standen jene zahlreichen englischen Bibliophilengcsellschaften, deren Grundzug immer der ist, die von ihnen veranstalteten Veröffentlichungen auf die Zahl der Mitglieder zu beschränken und damit ein Buch zu einer Seltenheit zu stempeln. Je geringer die Zahl der Mitglieder eines solchen literarischen Vereins ist, desto größer die Seltenheit der von ihm ausgehenden Publikationen. So zählte z, B. der Roxburghe Klub, der im Jahre 1812 zu London ins Leben trat, statuten¬ gemäß anfänglich nur 31 Mitglieder und nahm noch im Jahre 1864 nicht mehr als 40 auf. Eine größere Mitgliederzahl ließ der Baunatyne Klub, 1823 in Edinburgh gegründet, zu, aber auch hier darf die Zahl von hundert Mitgliedern nicht überschritten werden. Dasselbe gilt fast von allen derartigen englischen Gesellschaften. Es liegt auf der Hand, wie sehr eine solche Beschränkung ans eine be¬ stimmte Anzahl von Mitgliedern den Charakter des Sportmäßigen trägt, mit dem die Wissenschaft nichts zu thun hat. Dennoch kann der Nutzen, welchen diese englischen Bibliophilengesellschaften gebracht haben, nicht hoch genug an¬ geschlagen werden, Ist doch unter allen Narrheiten die Narrheit für Bücher gewiß die edelste, da sie in irgendeiner Weise doch dnrch ihren Gegenstand dem Großen und Ganzen zu Gute kommt. Auch haben selbst jene englischen Sonder¬ linge gelegentlich sich bewogen gefühlt, einzelne ihrer Veröffentlichungen durch den Buchhandel jedem Kauflustigen zugänglich zu machen, während andre Gesell¬ schaften, namentlich in neuerer Zeit, es sich angelegen sein lassen, den Kreis ihrer Mitglieder möglichst auszudehnen. Es konnte nicht fehlen, daß man auch in Deutschland die trotz ihrer Schrullenhastigkeit so verdienstvollen englischen Bibliophilengcsellschaften heimisch M machen suchte. Sie empfehlen sich ja in allen denjenigen Fällen, wo die Mittel und die Wagelust der Buchhändler für ein großartiges literarisches Unternehmen, das nur mit pekuniären Opfern durchzuführen ist, nicht ausreichen ") Bergl. L, von Ompteda, Aus England. Neue Bilder. Berlin, 1882, wo S. 96 fig. eine ansprechende Schilderung des englischen Klublebens gegeben wird, die leider die literarischen Klubs nicht mit umfaßt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/559>, abgerufen am 26.08.2024.