Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.Aünstler und Kritiker. in keiner von beiden über den Dilettantismus hinaus. Pecht und Pietsch sind Der berufsmäßige Kunstschriftsteller hat doch nicht bloß die Aufgabe, über Aünstler und Kritiker. in keiner von beiden über den Dilettantismus hinaus. Pecht und Pietsch sind Der berufsmäßige Kunstschriftsteller hat doch nicht bloß die Aufgabe, über <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0046" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154929"/> <fw type="header" place="top"> Aünstler und Kritiker.</fw><lb/> <p xml:id="ID_99" prev="#ID_98"> in keiner von beiden über den Dilettantismus hinaus. Pecht und Pietsch sind<lb/> Beispiele für die erstere Kategorie, Maler Müller, Robert Neinick, Hugo von<lb/> Vlomberg und Arthur Fitger Beispiele für die zweite.</p><lb/> <p xml:id="ID_100" next="#ID_101"> Der berufsmäßige Kunstschriftsteller hat doch nicht bloß die Aufgabe, über<lb/> die Erzeugnisse der zeitgenössischen Kunst zu urteilen, sondern auch den Zusammen¬<lb/> hang der künstlerischen Thaten vergangener Jahrhunderte darzulegen. Er muß<lb/> zu diesem Zwecke ein umfangreiches Studienmaterial seiner Darstellung zu Grunde<lb/> legen, er muß Quelleuforschuugeu in Urkunden und Geschichtswerken anstellen,<lb/> er muß gründliche Sprachkenntnisse besitzen, er muß Philologe und Historiker<lb/> zugleich sein. Kann ein Künstler, d. h, ein wirklicher Künstler, dessen schöpfe¬<lb/> rische Kraft noch nicht verdorrt ist, solche Studien treiben, ohne seinen eigent¬<lb/> lichen Beruf zu vernachlässigen? Aus der Anschauung der Kunstwerke allein,<lb/> wie die Künstler glauben, lernt man den Gang der Kunstgeschichte nicht kennen.<lb/> Wer die Dresdner Galerie und die Akademie und die Kirchen Venedigs studirt<lb/> hat, ist noch lange kein Kenner Tizians. Dazu gehört vor allen Dingen das<lb/> Studium seiner Vorgänger und der Zeit, innerhalb welcher dieser Genius er¬<lb/> wachsen ist, und die Kenntnisse derselben können nur durch literarische Forschungen<lb/> erworben werden. Die Künstler verachten freilich solche Studien als totes<lb/> Buchstabenwesen; ihnen ist das Kunstwerk allein der lebendige Quell der Er¬<lb/> kenntnis. Anders urteilt aber das große Publikum, zwischen welchen: und den<lb/> Künstlern zu vermitteln die Hauptaufgabe des Kunstschriststellers ist. Das<lb/> Publikum will nicht ausschließlich technische Gesichtspunkte berücksichtigt wissen,<lb/> auf welche es dem Künstler hauptsächlich, man darf beinahe sagen allein an¬<lb/> kommt. Das Publikum betrachtet die bildende Kunst nur als ein mit den<lb/> andern gleichberechtigtes Glied in der Kette der Offenbarungen des mensch¬<lb/> lichen Geistes. Der Kritiker, der ihm das Verständnis derselben vermittelt,<lb/> hat die Pflicht, die Musik, die Dichtkunst, die theatralische Kunst von demselben<lb/> allgemeinen ästhetischen Gesichtspunkte zu beurteilen wie die bildende Kunst.<lb/> Das Technische jeder Kunst kommt erst in zweiter Linie in Betracht und bildet<lb/> bei der Beurteilung insofern ein nur untergeordnetes Moment, als bei einem<lb/> Kunstwerke nicht der Werdeprozeß, sondern das Gewordene die Hauptsache ist.<lb/> Wenn wir das Technische in den Vordergrund rücken, kommen wir am Ende<lb/> zu dem Schluß, daß Theaterkritiken nur von Schauspielern geschrieben werden<lb/> dürfen, Rezensionen über Gedichte nur von Dichtern u. s. w. Denn was den:<lb/> Maler recht ist, ist den andern Künstlern billig! Man mache sich doch einmal<lb/> die Konsequenzen der von den Malern erhobenen Forderung klar. Der Bild¬<lb/> hauer wird dann auch nicht mehr den Maler als kompetenten Beurteiler seiner<lb/> Arbeiten anzuerkennen brauchen, sondern nur einen Bildhauer, und am Ende<lb/> würde statt eines einzelnen Laienkritikers eine ganze Kohorte von Fachkritikern<lb/> erwachsen, die vor lauter Fachkenntnissen das höchste Ziel der Kunst aus den<lb/> Augen verlieren würden. Dem Künstler würde am Ende mit diesen fachmän-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0046]
Aünstler und Kritiker.
in keiner von beiden über den Dilettantismus hinaus. Pecht und Pietsch sind
Beispiele für die erstere Kategorie, Maler Müller, Robert Neinick, Hugo von
Vlomberg und Arthur Fitger Beispiele für die zweite.
Der berufsmäßige Kunstschriftsteller hat doch nicht bloß die Aufgabe, über
die Erzeugnisse der zeitgenössischen Kunst zu urteilen, sondern auch den Zusammen¬
hang der künstlerischen Thaten vergangener Jahrhunderte darzulegen. Er muß
zu diesem Zwecke ein umfangreiches Studienmaterial seiner Darstellung zu Grunde
legen, er muß Quelleuforschuugeu in Urkunden und Geschichtswerken anstellen,
er muß gründliche Sprachkenntnisse besitzen, er muß Philologe und Historiker
zugleich sein. Kann ein Künstler, d. h, ein wirklicher Künstler, dessen schöpfe¬
rische Kraft noch nicht verdorrt ist, solche Studien treiben, ohne seinen eigent¬
lichen Beruf zu vernachlässigen? Aus der Anschauung der Kunstwerke allein,
wie die Künstler glauben, lernt man den Gang der Kunstgeschichte nicht kennen.
Wer die Dresdner Galerie und die Akademie und die Kirchen Venedigs studirt
hat, ist noch lange kein Kenner Tizians. Dazu gehört vor allen Dingen das
Studium seiner Vorgänger und der Zeit, innerhalb welcher dieser Genius er¬
wachsen ist, und die Kenntnisse derselben können nur durch literarische Forschungen
erworben werden. Die Künstler verachten freilich solche Studien als totes
Buchstabenwesen; ihnen ist das Kunstwerk allein der lebendige Quell der Er¬
kenntnis. Anders urteilt aber das große Publikum, zwischen welchen: und den
Künstlern zu vermitteln die Hauptaufgabe des Kunstschriststellers ist. Das
Publikum will nicht ausschließlich technische Gesichtspunkte berücksichtigt wissen,
auf welche es dem Künstler hauptsächlich, man darf beinahe sagen allein an¬
kommt. Das Publikum betrachtet die bildende Kunst nur als ein mit den
andern gleichberechtigtes Glied in der Kette der Offenbarungen des mensch¬
lichen Geistes. Der Kritiker, der ihm das Verständnis derselben vermittelt,
hat die Pflicht, die Musik, die Dichtkunst, die theatralische Kunst von demselben
allgemeinen ästhetischen Gesichtspunkte zu beurteilen wie die bildende Kunst.
Das Technische jeder Kunst kommt erst in zweiter Linie in Betracht und bildet
bei der Beurteilung insofern ein nur untergeordnetes Moment, als bei einem
Kunstwerke nicht der Werdeprozeß, sondern das Gewordene die Hauptsache ist.
Wenn wir das Technische in den Vordergrund rücken, kommen wir am Ende
zu dem Schluß, daß Theaterkritiken nur von Schauspielern geschrieben werden
dürfen, Rezensionen über Gedichte nur von Dichtern u. s. w. Denn was den:
Maler recht ist, ist den andern Künstlern billig! Man mache sich doch einmal
die Konsequenzen der von den Malern erhobenen Forderung klar. Der Bild¬
hauer wird dann auch nicht mehr den Maler als kompetenten Beurteiler seiner
Arbeiten anzuerkennen brauchen, sondern nur einen Bildhauer, und am Ende
würde statt eines einzelnen Laienkritikers eine ganze Kohorte von Fachkritikern
erwachsen, die vor lauter Fachkenntnissen das höchste Ziel der Kunst aus den
Augen verlieren würden. Dem Künstler würde am Ende mit diesen fachmän-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |