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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Künstler und Kritiker.

Nischen Kritiken auch nicht mehr gedient sein als unter den jetzigen Verhältnissen.
Im Gegenteil. Man weiß, daß die bissigsten Kritiken diejenigen sind, welche
mündlich von Atelier zu Atelier getragen werden. Aber angenommen, daß der
Künstler eine bittere Wahrheit lieber von einem Kollegen hörte als von einem nicht¬
fachmännischen Kritiker, so wäre mit solchen Kritiken aus Künstlcrfedern nur ihm ge¬
dient, nicht aber auch dem Publikum. Und für das Publikum, welches in seiner
Majorität aus Nichtkünstlern besteht, sind doch in erster Linie die Kunstkritiken in
den öffentlichen Blättern bestimmt. Nur einem Künstler, welcher in der Fülle seines
Selbstbewußtseins glaubt, daß die Kunst der Mittelpunkt des Weltalls sei, kann
es einfallen, anzunehmen, daß die Kunstkritiken um seinetwillen geschrieben werden.
Ich glaube schwerlich, daß es heute noch wirklich einsichtige Kunstkritiker giebt,
welche vermeinen, durch ihre Kritiken die Künstler bessern zu wollen. Der
Kritiker ist nur seinem Publikum verantwortlich, welches sein Richter ist, nicht
dem einzelnen Künstler, welchem sein Urteil mißfällt, und deshalb war es nur
eine Überschätzung des Wertes der eignen Persönlichkeit, wenn ein Berliner
Künstler, indem er sich zugleich ohne Auftrag zum Vertreter der gesamten
Künstlerschaft aufwarf, einen Berliner Kritiker zur Rechenschaft forderte, weil
derselbe im Gegensatze zu Quidam darauf hinwies, wie außerordentlich viel den
Künstlern an dem Wohlwollen der Kritik gelegen ist, und wie sie bestrebt sind,
dieses Wohlwollen sich durch Höflichkeit zu erhalte". Herr von Werner, der
Verfasser dieses Schreibens, malt sich nur schwärzer, als er selbst ist, wenn er
sich über den Verdacht einer solchen Höflichkeit erhaben hinstellt. Auch er, der
heute so geringschätzig von der Kritik urteilt, wird, so vermute ich, einmal
eine schwache Stunde gehabt haben, in welcher er sich für eine wohlwollende
Besprechung seiner Persönlichkeit bedankt hat. Freilich mag er selber Ursache
dazu gehabt habe"; aber daran ist die Kritik vielleicht weniger Schuld als er
selbst. Auch über seine Kongreßbilder haben die Münchner Kritiker so böse Dinge
gesagt, daß man sie garnicht wiederholen mag, und daher finde ich es durchaus
natürlich, daß er einmal die Gelegenheit ergriffen hat, den Kritikern auch seinerseits
gehörig seine Meinung zu sagen, wobei die letztern zu ihrer Genugthuung die
Beobachtung gemacht haben, daß sein schriftstellerischer Stil sich durch dieselbe
Derbheit und Grobknochigkeit auszeichnet wie sein malerischer. Nur ist es
etwas befremdlich, daß der Direktor der Berliner Kunstakademie sich als Vertreter
der Berliner Künstler aufwirft. Es wäre natürlich, wenn er sich als Vertreter
der unter seiner Leitung stehenden Akademie geriren. Ob aber anch die er¬
wachsenen alten Leute unter den Berliner Künstlern seiner Vormundschaft be¬
dürfen, ist doch fraglich, und wenn es der Fall wäre, so würde dieser Umstand
auf die letztern kein günstiges Licht werfen.

Am Ende wird auch dieser Sturm im Glase Wasser vorübergehen, ohne
daß die Frage nach der Berechtigung der Kunstkritik gelöst werden wird. Mir
kam es hier nicht darauf um, die Künstler, die ja oft genug triftige Gründe


Künstler und Kritiker.

Nischen Kritiken auch nicht mehr gedient sein als unter den jetzigen Verhältnissen.
Im Gegenteil. Man weiß, daß die bissigsten Kritiken diejenigen sind, welche
mündlich von Atelier zu Atelier getragen werden. Aber angenommen, daß der
Künstler eine bittere Wahrheit lieber von einem Kollegen hörte als von einem nicht¬
fachmännischen Kritiker, so wäre mit solchen Kritiken aus Künstlcrfedern nur ihm ge¬
dient, nicht aber auch dem Publikum. Und für das Publikum, welches in seiner
Majorität aus Nichtkünstlern besteht, sind doch in erster Linie die Kunstkritiken in
den öffentlichen Blättern bestimmt. Nur einem Künstler, welcher in der Fülle seines
Selbstbewußtseins glaubt, daß die Kunst der Mittelpunkt des Weltalls sei, kann
es einfallen, anzunehmen, daß die Kunstkritiken um seinetwillen geschrieben werden.
Ich glaube schwerlich, daß es heute noch wirklich einsichtige Kunstkritiker giebt,
welche vermeinen, durch ihre Kritiken die Künstler bessern zu wollen. Der
Kritiker ist nur seinem Publikum verantwortlich, welches sein Richter ist, nicht
dem einzelnen Künstler, welchem sein Urteil mißfällt, und deshalb war es nur
eine Überschätzung des Wertes der eignen Persönlichkeit, wenn ein Berliner
Künstler, indem er sich zugleich ohne Auftrag zum Vertreter der gesamten
Künstlerschaft aufwarf, einen Berliner Kritiker zur Rechenschaft forderte, weil
derselbe im Gegensatze zu Quidam darauf hinwies, wie außerordentlich viel den
Künstlern an dem Wohlwollen der Kritik gelegen ist, und wie sie bestrebt sind,
dieses Wohlwollen sich durch Höflichkeit zu erhalte». Herr von Werner, der
Verfasser dieses Schreibens, malt sich nur schwärzer, als er selbst ist, wenn er
sich über den Verdacht einer solchen Höflichkeit erhaben hinstellt. Auch er, der
heute so geringschätzig von der Kritik urteilt, wird, so vermute ich, einmal
eine schwache Stunde gehabt haben, in welcher er sich für eine wohlwollende
Besprechung seiner Persönlichkeit bedankt hat. Freilich mag er selber Ursache
dazu gehabt habe»; aber daran ist die Kritik vielleicht weniger Schuld als er
selbst. Auch über seine Kongreßbilder haben die Münchner Kritiker so böse Dinge
gesagt, daß man sie garnicht wiederholen mag, und daher finde ich es durchaus
natürlich, daß er einmal die Gelegenheit ergriffen hat, den Kritikern auch seinerseits
gehörig seine Meinung zu sagen, wobei die letztern zu ihrer Genugthuung die
Beobachtung gemacht haben, daß sein schriftstellerischer Stil sich durch dieselbe
Derbheit und Grobknochigkeit auszeichnet wie sein malerischer. Nur ist es
etwas befremdlich, daß der Direktor der Berliner Kunstakademie sich als Vertreter
der Berliner Künstler aufwirft. Es wäre natürlich, wenn er sich als Vertreter
der unter seiner Leitung stehenden Akademie geriren. Ob aber anch die er¬
wachsenen alten Leute unter den Berliner Künstlern seiner Vormundschaft be¬
dürfen, ist doch fraglich, und wenn es der Fall wäre, so würde dieser Umstand
auf die letztern kein günstiges Licht werfen.

Am Ende wird auch dieser Sturm im Glase Wasser vorübergehen, ohne
daß die Frage nach der Berechtigung der Kunstkritik gelöst werden wird. Mir
kam es hier nicht darauf um, die Künstler, die ja oft genug triftige Gründe


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[0047] Künstler und Kritiker. Nischen Kritiken auch nicht mehr gedient sein als unter den jetzigen Verhältnissen. Im Gegenteil. Man weiß, daß die bissigsten Kritiken diejenigen sind, welche mündlich von Atelier zu Atelier getragen werden. Aber angenommen, daß der Künstler eine bittere Wahrheit lieber von einem Kollegen hörte als von einem nicht¬ fachmännischen Kritiker, so wäre mit solchen Kritiken aus Künstlcrfedern nur ihm ge¬ dient, nicht aber auch dem Publikum. Und für das Publikum, welches in seiner Majorität aus Nichtkünstlern besteht, sind doch in erster Linie die Kunstkritiken in den öffentlichen Blättern bestimmt. Nur einem Künstler, welcher in der Fülle seines Selbstbewußtseins glaubt, daß die Kunst der Mittelpunkt des Weltalls sei, kann es einfallen, anzunehmen, daß die Kunstkritiken um seinetwillen geschrieben werden. Ich glaube schwerlich, daß es heute noch wirklich einsichtige Kunstkritiker giebt, welche vermeinen, durch ihre Kritiken die Künstler bessern zu wollen. Der Kritiker ist nur seinem Publikum verantwortlich, welches sein Richter ist, nicht dem einzelnen Künstler, welchem sein Urteil mißfällt, und deshalb war es nur eine Überschätzung des Wertes der eignen Persönlichkeit, wenn ein Berliner Künstler, indem er sich zugleich ohne Auftrag zum Vertreter der gesamten Künstlerschaft aufwarf, einen Berliner Kritiker zur Rechenschaft forderte, weil derselbe im Gegensatze zu Quidam darauf hinwies, wie außerordentlich viel den Künstlern an dem Wohlwollen der Kritik gelegen ist, und wie sie bestrebt sind, dieses Wohlwollen sich durch Höflichkeit zu erhalte». Herr von Werner, der Verfasser dieses Schreibens, malt sich nur schwärzer, als er selbst ist, wenn er sich über den Verdacht einer solchen Höflichkeit erhaben hinstellt. Auch er, der heute so geringschätzig von der Kritik urteilt, wird, so vermute ich, einmal eine schwache Stunde gehabt haben, in welcher er sich für eine wohlwollende Besprechung seiner Persönlichkeit bedankt hat. Freilich mag er selber Ursache dazu gehabt habe»; aber daran ist die Kritik vielleicht weniger Schuld als er selbst. Auch über seine Kongreßbilder haben die Münchner Kritiker so böse Dinge gesagt, daß man sie garnicht wiederholen mag, und daher finde ich es durchaus natürlich, daß er einmal die Gelegenheit ergriffen hat, den Kritikern auch seinerseits gehörig seine Meinung zu sagen, wobei die letztern zu ihrer Genugthuung die Beobachtung gemacht haben, daß sein schriftstellerischer Stil sich durch dieselbe Derbheit und Grobknochigkeit auszeichnet wie sein malerischer. Nur ist es etwas befremdlich, daß der Direktor der Berliner Kunstakademie sich als Vertreter der Berliner Künstler aufwirft. Es wäre natürlich, wenn er sich als Vertreter der unter seiner Leitung stehenden Akademie geriren. Ob aber anch die er¬ wachsenen alten Leute unter den Berliner Künstlern seiner Vormundschaft be¬ dürfen, ist doch fraglich, und wenn es der Fall wäre, so würde dieser Umstand auf die letztern kein günstiges Licht werfen. Am Ende wird auch dieser Sturm im Glase Wasser vorübergehen, ohne daß die Frage nach der Berechtigung der Kunstkritik gelöst werden wird. Mir kam es hier nicht darauf um, die Künstler, die ja oft genug triftige Gründe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/47>, abgerufen am 30.06.2024.