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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Künstler und Kritiker.

Diplomatie etwa aus der Perspektive eines Portiers dargestellt sind, als ein
rühmliches Werk preisen konnte, Ludwig Pietsch dagegen ist ein Kritiker, der einen
ungleich universelleren Standpunkt einnimmt. Auch er ist durch seine Lebensbe¬
ziehungen mit den Berliner Kiinstlcrn ans das innigste verwachsen. Das macht
ihn aber keineswegs blind gegen die Leistungen auswärtiger Künstler und fremder
Nationen. Im Gegenteil. Er ist vielmehr der am meisten internationale oder
kosmopolitische Kritiker, der überhaupt auf der Welt existirt. Er gehört zu
jener vierten Kategorie von Kunftrichtern, die wir oben charakterisirt haben. Es
giebt kaum ein antikes oder modernes Kunstwerk auf der Welt, an welchem er
mit einem wahrhaft bewunderungswürdigen Talent nicht wenigstens eine lobens¬
werte Seite herausfände. Dieses ihm zur zweiten Natur gewordene Wohl¬
wollen hat zum großen Teil seine außerordentliche Beliebtheit in der Künstler-
welt begründet. Er thut niemandem wehe, und man muß schon ein sehr scharfes
Auge haben, um in seinen Rezensionen die kleinen Bosheiten zu entdecken, welche
wie Eidechsen durch das üppig aufschießende Gras des Wohlgefallens
huschen. Man muß aber stockbliud sein, wenn man Ludwig Pietsch, den vor¬
nehmen, durch und durch gebildeten, stilgewandten und geschmackvollen Schrift¬
steller, mit Friedrich Pecht in eine Linie stellt, wie es oft genug unter unsern
Künstlern geschieht. Niemand mag das bittere Unrecht, welches ihm dadurch
angethan wird, schwerer empfinden als Ludwig Pietsch. Aber er ist bereits
in einem Alter angelangt, in welchem ihm die Resignation keine Selbstüber¬
windung kostet und das Gleichgewicht der Seele ihm zu einem sichern Panzer
geworden ist.

Was in der Tagespresse zum Vorschein kommt, besteht und vergeht mit
dem Zeitungsblatt. Pecht leidet aber unter der Unklugheit, feine Zeitungs¬
artikel ab und zu noch einmal in Buchform erscheinen zu lassen, ohne daß er
sich die Mühe giebt, sie für diesen Zweck zuzurichten. Kann selbst dem flüchtigsten
Leser die Unbeholfenheit seines Ausdrucks, der Mangel an literarischem Schliff
und die Oberflächlichkeit seiner Kenntnisse verborgen bleiben? Ein Maler, der
so zeichnet und malt, wie Pecht schreibt, würde unter seinen Fachgenossen nur
Hohn und Spott ernten. Ebenso dürfen die Literaten fordern, daß jemand,
der sich unter sie mischt, anch mit den Anfangsgründen des literarischen Hand¬
werks vertraut sei. Und damit kommen wir zu dem entscheidenden Pnnkte, welcher
die Meinung der Künstler, daß nur einer ihresgleichen über ihre Arbeit zu
urteilen berechtigt sei und befähigt sein könne, hinfällig macht. Der litera¬
rische Beruf erfordert ebensogut eine Vorbildung, eine strenge Schulung wie
jeder andre. Wie die Fähigkeit zum Zeichnen, ist auch die Fähigkeit zum
Schreiben eine Mitgift der Natur, die ausgebildet sein will. Eine solche Aus¬
bildung erfordert aber den ganzen Man", und wer dennoch, wenn ihm die Natur
beide Fähigkeiten verliehen hat, beide auszubilden versucht, der giebt gewöhnlich
zu einem gewissen Zeitpunkte die Übung in einer von beiden auf, oder er kommt


Künstler und Kritiker.

Diplomatie etwa aus der Perspektive eines Portiers dargestellt sind, als ein
rühmliches Werk preisen konnte, Ludwig Pietsch dagegen ist ein Kritiker, der einen
ungleich universelleren Standpunkt einnimmt. Auch er ist durch seine Lebensbe¬
ziehungen mit den Berliner Kiinstlcrn ans das innigste verwachsen. Das macht
ihn aber keineswegs blind gegen die Leistungen auswärtiger Künstler und fremder
Nationen. Im Gegenteil. Er ist vielmehr der am meisten internationale oder
kosmopolitische Kritiker, der überhaupt auf der Welt existirt. Er gehört zu
jener vierten Kategorie von Kunftrichtern, die wir oben charakterisirt haben. Es
giebt kaum ein antikes oder modernes Kunstwerk auf der Welt, an welchem er
mit einem wahrhaft bewunderungswürdigen Talent nicht wenigstens eine lobens¬
werte Seite herausfände. Dieses ihm zur zweiten Natur gewordene Wohl¬
wollen hat zum großen Teil seine außerordentliche Beliebtheit in der Künstler-
welt begründet. Er thut niemandem wehe, und man muß schon ein sehr scharfes
Auge haben, um in seinen Rezensionen die kleinen Bosheiten zu entdecken, welche
wie Eidechsen durch das üppig aufschießende Gras des Wohlgefallens
huschen. Man muß aber stockbliud sein, wenn man Ludwig Pietsch, den vor¬
nehmen, durch und durch gebildeten, stilgewandten und geschmackvollen Schrift¬
steller, mit Friedrich Pecht in eine Linie stellt, wie es oft genug unter unsern
Künstlern geschieht. Niemand mag das bittere Unrecht, welches ihm dadurch
angethan wird, schwerer empfinden als Ludwig Pietsch. Aber er ist bereits
in einem Alter angelangt, in welchem ihm die Resignation keine Selbstüber¬
windung kostet und das Gleichgewicht der Seele ihm zu einem sichern Panzer
geworden ist.

Was in der Tagespresse zum Vorschein kommt, besteht und vergeht mit
dem Zeitungsblatt. Pecht leidet aber unter der Unklugheit, feine Zeitungs¬
artikel ab und zu noch einmal in Buchform erscheinen zu lassen, ohne daß er
sich die Mühe giebt, sie für diesen Zweck zuzurichten. Kann selbst dem flüchtigsten
Leser die Unbeholfenheit seines Ausdrucks, der Mangel an literarischem Schliff
und die Oberflächlichkeit seiner Kenntnisse verborgen bleiben? Ein Maler, der
so zeichnet und malt, wie Pecht schreibt, würde unter seinen Fachgenossen nur
Hohn und Spott ernten. Ebenso dürfen die Literaten fordern, daß jemand,
der sich unter sie mischt, anch mit den Anfangsgründen des literarischen Hand¬
werks vertraut sei. Und damit kommen wir zu dem entscheidenden Pnnkte, welcher
die Meinung der Künstler, daß nur einer ihresgleichen über ihre Arbeit zu
urteilen berechtigt sei und befähigt sein könne, hinfällig macht. Der litera¬
rische Beruf erfordert ebensogut eine Vorbildung, eine strenge Schulung wie
jeder andre. Wie die Fähigkeit zum Zeichnen, ist auch die Fähigkeit zum
Schreiben eine Mitgift der Natur, die ausgebildet sein will. Eine solche Aus¬
bildung erfordert aber den ganzen Man», und wer dennoch, wenn ihm die Natur
beide Fähigkeiten verliehen hat, beide auszubilden versucht, der giebt gewöhnlich
zu einem gewissen Zeitpunkte die Übung in einer von beiden auf, oder er kommt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/45>, abgerufen am 07.01.2025.