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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die lNinisterknsls in England.

ein Trost, daß es vor kurzem neu angestrichen oder mit ein paar neuen Thür¬
klinke" nud Fensterkrenzcu versehen worden ist? Wenn hundertmal wichtigere
Dinge vernachlässigt worden sind, sollen wir uns mit solchen Kleinigkeiten
darüber beruhigen lassen? Ich für meinen Teil finde in de" letzter" nur die
stärkste n"d deutlichste Ausprägung der Unfähigkeit, Blindheit und Unaufrichtig-
keit der jetzigen Regierung Ihrer Majestät, und es kommt mir wie Hohn vor,
wenn der Herr Minister uns von der Befriedigung spricht, mit der ihn die bis
zum November vorigen Jahres in Ägypten gemachten Fortschritte erfüllen. Die
liberalen Herren können nichts in der auswärtigen Politik, sie ordnen sie der
innern, der Förderung ihrer angeblichen Reformen unter, sie haben kein Herz
für die Interessen Englands außerhalb seiner Grenzen, es geht ihnen wie ihren
Gesinnungsgenossen in andern Ministerien und Parlamenten, z, B. in den Mi¬
nisterien der neuen Ära und in dem Landtage der Konfliktszeit in Preußen.
Es wird ihnen immer so gehen, und so sind unsre wichtigsten Interessen bei
ihnen schlecht aufgehoben, und es ist unsre Pflicht, hier Wandel zu schaffen und
Männer ans Ruder zu stellen, welche diese Interesse" erkennen und ohne Wanken
wahrnehmen.

So etwa würde Herr Gladstone gesprochen haben, wenn er auf den Bänken
der Opposition gesessen hätte, als die ägyptische Frage im Unterhause zur
Sprache kam. Es ist ein Glück für die liberale Seite, daß sie zur Führer
einen solchen Redner hat, während die Gegenpartei zu Wortführern schwächere
Charaktere hat, die mehr mit akademischen als praktischen Reden kämpfen. Das
Kabinet, welches von Gladstone in jener Frage angegriffen worden wäre, würde
unausbleiblich zum Rücktritte genötigt worden sein. Nehmen wir an, daß
dieselbe Reihe von unglücklichen Ereignissen, die Aufeinanderfolge von Nieder¬
lagen, die mit den Namen Hicks, Moncrieff, Baker und Tewfik Bey bezeichnet
ist, und dieselbe Situation wie die heutige vorlagen, so würde eine einzige
feurige und schonungslose Rede von den Lippen jenes Meisters in der Dialektik
hingereicht haben, das angeschuldigte Kabinet zum Falle zu bringen, weil das
politische Gewissen des ganzen Landes seiner Beredsamkeit Beifall gezollt haben,
und die Wahrheit, die jetzt halb verhüllt bleibt, unwiderlegbar zu Tage getreten
sein würde. Wie die Dinge jedoch thatsächlich liegen, wird die Redekunst Glad-
stones wahrscheinlich zu einem Siege de? Ministeriums führen.

Dabei ist aber eins zu beachten. Nicht allein die Eigenschaft des großen Rhe-
tors ist es, welche Gladstone wahrscheinlich im Amte erhalten wird, sondern der
Umstand, daß im Unterhause viele Liberale sitzen, denen die Verwirklichung der
vom Premier beabsichtigten Wahlreform mehr wert ist als die Interessen, welche
für England in Ägypten auf dem Spiele stehen. Würden Gladstone und seine
Amtsgenossen vom Staatsruder verdrängt, so würde die liberale Partei, die in
der Osterwoche des Jahres 1880 durch Neuwahlen die Oberhand im Parlament
erlangte, für die nächste Zeit alle Aussicht darauf verlieren, jene Reform, die


Die lNinisterknsls in England.

ein Trost, daß es vor kurzem neu angestrichen oder mit ein paar neuen Thür¬
klinke» nud Fensterkrenzcu versehen worden ist? Wenn hundertmal wichtigere
Dinge vernachlässigt worden sind, sollen wir uns mit solchen Kleinigkeiten
darüber beruhigen lassen? Ich für meinen Teil finde in de» letzter» nur die
stärkste n»d deutlichste Ausprägung der Unfähigkeit, Blindheit und Unaufrichtig-
keit der jetzigen Regierung Ihrer Majestät, und es kommt mir wie Hohn vor,
wenn der Herr Minister uns von der Befriedigung spricht, mit der ihn die bis
zum November vorigen Jahres in Ägypten gemachten Fortschritte erfüllen. Die
liberalen Herren können nichts in der auswärtigen Politik, sie ordnen sie der
innern, der Förderung ihrer angeblichen Reformen unter, sie haben kein Herz
für die Interessen Englands außerhalb seiner Grenzen, es geht ihnen wie ihren
Gesinnungsgenossen in andern Ministerien und Parlamenten, z, B. in den Mi¬
nisterien der neuen Ära und in dem Landtage der Konfliktszeit in Preußen.
Es wird ihnen immer so gehen, und so sind unsre wichtigsten Interessen bei
ihnen schlecht aufgehoben, und es ist unsre Pflicht, hier Wandel zu schaffen und
Männer ans Ruder zu stellen, welche diese Interesse» erkennen und ohne Wanken
wahrnehmen.

So etwa würde Herr Gladstone gesprochen haben, wenn er auf den Bänken
der Opposition gesessen hätte, als die ägyptische Frage im Unterhause zur
Sprache kam. Es ist ein Glück für die liberale Seite, daß sie zur Führer
einen solchen Redner hat, während die Gegenpartei zu Wortführern schwächere
Charaktere hat, die mehr mit akademischen als praktischen Reden kämpfen. Das
Kabinet, welches von Gladstone in jener Frage angegriffen worden wäre, würde
unausbleiblich zum Rücktritte genötigt worden sein. Nehmen wir an, daß
dieselbe Reihe von unglücklichen Ereignissen, die Aufeinanderfolge von Nieder¬
lagen, die mit den Namen Hicks, Moncrieff, Baker und Tewfik Bey bezeichnet
ist, und dieselbe Situation wie die heutige vorlagen, so würde eine einzige
feurige und schonungslose Rede von den Lippen jenes Meisters in der Dialektik
hingereicht haben, das angeschuldigte Kabinet zum Falle zu bringen, weil das
politische Gewissen des ganzen Landes seiner Beredsamkeit Beifall gezollt haben,
und die Wahrheit, die jetzt halb verhüllt bleibt, unwiderlegbar zu Tage getreten
sein würde. Wie die Dinge jedoch thatsächlich liegen, wird die Redekunst Glad-
stones wahrscheinlich zu einem Siege de? Ministeriums führen.

Dabei ist aber eins zu beachten. Nicht allein die Eigenschaft des großen Rhe-
tors ist es, welche Gladstone wahrscheinlich im Amte erhalten wird, sondern der
Umstand, daß im Unterhause viele Liberale sitzen, denen die Verwirklichung der
vom Premier beabsichtigten Wahlreform mehr wert ist als die Interessen, welche
für England in Ägypten auf dem Spiele stehen. Würden Gladstone und seine
Amtsgenossen vom Staatsruder verdrängt, so würde die liberale Partei, die in
der Osterwoche des Jahres 1880 durch Neuwahlen die Oberhand im Parlament
erlangte, für die nächste Zeit alle Aussicht darauf verlieren, jene Reform, die


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[0440] Die lNinisterknsls in England. ein Trost, daß es vor kurzem neu angestrichen oder mit ein paar neuen Thür¬ klinke» nud Fensterkrenzcu versehen worden ist? Wenn hundertmal wichtigere Dinge vernachlässigt worden sind, sollen wir uns mit solchen Kleinigkeiten darüber beruhigen lassen? Ich für meinen Teil finde in de» letzter» nur die stärkste n»d deutlichste Ausprägung der Unfähigkeit, Blindheit und Unaufrichtig- keit der jetzigen Regierung Ihrer Majestät, und es kommt mir wie Hohn vor, wenn der Herr Minister uns von der Befriedigung spricht, mit der ihn die bis zum November vorigen Jahres in Ägypten gemachten Fortschritte erfüllen. Die liberalen Herren können nichts in der auswärtigen Politik, sie ordnen sie der innern, der Förderung ihrer angeblichen Reformen unter, sie haben kein Herz für die Interessen Englands außerhalb seiner Grenzen, es geht ihnen wie ihren Gesinnungsgenossen in andern Ministerien und Parlamenten, z, B. in den Mi¬ nisterien der neuen Ära und in dem Landtage der Konfliktszeit in Preußen. Es wird ihnen immer so gehen, und so sind unsre wichtigsten Interessen bei ihnen schlecht aufgehoben, und es ist unsre Pflicht, hier Wandel zu schaffen und Männer ans Ruder zu stellen, welche diese Interesse» erkennen und ohne Wanken wahrnehmen. So etwa würde Herr Gladstone gesprochen haben, wenn er auf den Bänken der Opposition gesessen hätte, als die ägyptische Frage im Unterhause zur Sprache kam. Es ist ein Glück für die liberale Seite, daß sie zur Führer einen solchen Redner hat, während die Gegenpartei zu Wortführern schwächere Charaktere hat, die mehr mit akademischen als praktischen Reden kämpfen. Das Kabinet, welches von Gladstone in jener Frage angegriffen worden wäre, würde unausbleiblich zum Rücktritte genötigt worden sein. Nehmen wir an, daß dieselbe Reihe von unglücklichen Ereignissen, die Aufeinanderfolge von Nieder¬ lagen, die mit den Namen Hicks, Moncrieff, Baker und Tewfik Bey bezeichnet ist, und dieselbe Situation wie die heutige vorlagen, so würde eine einzige feurige und schonungslose Rede von den Lippen jenes Meisters in der Dialektik hingereicht haben, das angeschuldigte Kabinet zum Falle zu bringen, weil das politische Gewissen des ganzen Landes seiner Beredsamkeit Beifall gezollt haben, und die Wahrheit, die jetzt halb verhüllt bleibt, unwiderlegbar zu Tage getreten sein würde. Wie die Dinge jedoch thatsächlich liegen, wird die Redekunst Glad- stones wahrscheinlich zu einem Siege de? Ministeriums führen. Dabei ist aber eins zu beachten. Nicht allein die Eigenschaft des großen Rhe- tors ist es, welche Gladstone wahrscheinlich im Amte erhalten wird, sondern der Umstand, daß im Unterhause viele Liberale sitzen, denen die Verwirklichung der vom Premier beabsichtigten Wahlreform mehr wert ist als die Interessen, welche für England in Ägypten auf dem Spiele stehen. Würden Gladstone und seine Amtsgenossen vom Staatsruder verdrängt, so würde die liberale Partei, die in der Osterwoche des Jahres 1880 durch Neuwahlen die Oberhand im Parlament erlangte, für die nächste Zeit alle Aussicht darauf verlieren, jene Reform, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/440>, abgerufen am 04.07.2024.