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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die Miiustcrklisis in England.

kennen selbst Blätter der ihm feindlichen Partei bereitwillig und mit Wärme
mi, "Nach unserm Urteile, sagt der Dach? tete^M, hat Herr Gladstone
niemals mit mehr Erfolg die trefflichen Eigenschaften entwickelt, die ihn berühmt
und mächtig werden ließen. Er hat in vergangnen Tagen bessere Gelegenheiten
zur Bekundung seines rednerischen Talentes gehabt, eine mehr überzeugte Zu¬
hörerschaft in und außer dem Hanse, und Thatsachen und Ereignisse, die sich
leichter zu Belegen und Beweisen verwenden ließen. Aber niemals vorher sah
>nan deutlicher ausgeprägt, wie eine reiche Erfahrung sich mit großer geistiger
Begabung vereinigen kann, sodaß der Akt des Sprechens und der feine leise
Gang der Gedanken sich wie die Doppelflöte eines altgriechischen Musikers zu
einer einzigen stannenerweckenden und rührenden Weise verschmelzen, die von
einer Befähigung modulirt wird, für welche wir keine Regel und leine Erklärung
wissen. Ehrwürdig unter der Wucht seiner vierundsiebzig Jahre, die er doch
mit dem Mut und Selbstvertrauen des mittlern Mannesalters trägt, trat der
Premier seinen Anklägern als die einflußreiche Gestalt der Ära der Königin
Viktoria entgegen, von der er inmitten politischer Arbeit jede Session und jedes
historisch wichtige Ereignis gesehen hat. Der beredte Greis vom letzten Dienstag,
dessen wohltönende Rede, kaum jemals in ihrem Klang und Einfluß von der
unaufhörlichen parlamentarischen Arbeit während eines halben Jahrhunderts
berührt, seine Zuhörer so tief bewegte, zeigt dem Hause und dem Lande eine
solche Verbindung gereifter Weisheit mit dem noch nnerloschenen Feuer des
Genies, daß wir bei nüchternster Betrachtung uns in der britischen Geschichte
vergeblich nach einem majestätischem Beispiele einer Fülle geistiger Kräfte um¬
sehen, wie sie das Alter dem Charakter und der intellektuellen Befähigung hier
hinzufügte."

Überzeugt freilich wurde kein Zuhörer; denn der große Redner war viel¬
leicht selbst nicht zu andrer Meinung bekehrt, und was zum Herzen gehen soll,
muß vom Herzen kommen. Die Verteidigung würde, wenn stärkere Gegner ihn
bekämpft hätten, ihn ernsteren Anklagen ausgesetzt haben als denen, welche das
Tadelsvotum enthält. Man kann den Gang der Politik Gladstones nicht ver¬
folgen, ohne gewahr zu werden, daß Ägypten für ihn von Anfang an bis jetzt
eine Verdrießlichkeit und eine Last gewesen ist. Ungeduldig von Natur und
gewohnt, alles als Störung zu betrachten und zu behandeln, was ihn von der
innern Politik abzieht, hat er immer eine besondre Abneigung vor den orien¬
talischen Angelegenheiten und der fremdländischen Atmosphäre, welche dieselbe
umgiebt, empfunden. So tadelte er denn auch in seiner Rede, daß die Regierung
Beaconsfields seinem Ministerium die Erbschaft des ägyptischen Problems hinter¬
lassen habe, wogegen ein Staatsmann vom Gepräge Bismarcks oder Palmerstons
sich vielmehr gefreut haben würde, im Besitz der beherrschenden Stellung zu
sein, die in dem Ankauf des größten Teils der Suezkanal-Aktien und der
Aussicht auf Beseitigung der Doppclkontrole von seinem Vorgänger geschaffen


Die Miiustcrklisis in England.

kennen selbst Blätter der ihm feindlichen Partei bereitwillig und mit Wärme
mi, „Nach unserm Urteile, sagt der Dach? tete^M, hat Herr Gladstone
niemals mit mehr Erfolg die trefflichen Eigenschaften entwickelt, die ihn berühmt
und mächtig werden ließen. Er hat in vergangnen Tagen bessere Gelegenheiten
zur Bekundung seines rednerischen Talentes gehabt, eine mehr überzeugte Zu¬
hörerschaft in und außer dem Hanse, und Thatsachen und Ereignisse, die sich
leichter zu Belegen und Beweisen verwenden ließen. Aber niemals vorher sah
>nan deutlicher ausgeprägt, wie eine reiche Erfahrung sich mit großer geistiger
Begabung vereinigen kann, sodaß der Akt des Sprechens und der feine leise
Gang der Gedanken sich wie die Doppelflöte eines altgriechischen Musikers zu
einer einzigen stannenerweckenden und rührenden Weise verschmelzen, die von
einer Befähigung modulirt wird, für welche wir keine Regel und leine Erklärung
wissen. Ehrwürdig unter der Wucht seiner vierundsiebzig Jahre, die er doch
mit dem Mut und Selbstvertrauen des mittlern Mannesalters trägt, trat der
Premier seinen Anklägern als die einflußreiche Gestalt der Ära der Königin
Viktoria entgegen, von der er inmitten politischer Arbeit jede Session und jedes
historisch wichtige Ereignis gesehen hat. Der beredte Greis vom letzten Dienstag,
dessen wohltönende Rede, kaum jemals in ihrem Klang und Einfluß von der
unaufhörlichen parlamentarischen Arbeit während eines halben Jahrhunderts
berührt, seine Zuhörer so tief bewegte, zeigt dem Hause und dem Lande eine
solche Verbindung gereifter Weisheit mit dem noch nnerloschenen Feuer des
Genies, daß wir bei nüchternster Betrachtung uns in der britischen Geschichte
vergeblich nach einem majestätischem Beispiele einer Fülle geistiger Kräfte um¬
sehen, wie sie das Alter dem Charakter und der intellektuellen Befähigung hier
hinzufügte."

Überzeugt freilich wurde kein Zuhörer; denn der große Redner war viel¬
leicht selbst nicht zu andrer Meinung bekehrt, und was zum Herzen gehen soll,
muß vom Herzen kommen. Die Verteidigung würde, wenn stärkere Gegner ihn
bekämpft hätten, ihn ernsteren Anklagen ausgesetzt haben als denen, welche das
Tadelsvotum enthält. Man kann den Gang der Politik Gladstones nicht ver¬
folgen, ohne gewahr zu werden, daß Ägypten für ihn von Anfang an bis jetzt
eine Verdrießlichkeit und eine Last gewesen ist. Ungeduldig von Natur und
gewohnt, alles als Störung zu betrachten und zu behandeln, was ihn von der
innern Politik abzieht, hat er immer eine besondre Abneigung vor den orien¬
talischen Angelegenheiten und der fremdländischen Atmosphäre, welche dieselbe
umgiebt, empfunden. So tadelte er denn auch in seiner Rede, daß die Regierung
Beaconsfields seinem Ministerium die Erbschaft des ägyptischen Problems hinter¬
lassen habe, wogegen ein Staatsmann vom Gepräge Bismarcks oder Palmerstons
sich vielmehr gefreut haben würde, im Besitz der beherrschenden Stellung zu
sein, die in dem Ankauf des größten Teils der Suezkanal-Aktien und der
Aussicht auf Beseitigung der Doppclkontrole von seinem Vorgänger geschaffen


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[0437] Die Miiustcrklisis in England. kennen selbst Blätter der ihm feindlichen Partei bereitwillig und mit Wärme mi, „Nach unserm Urteile, sagt der Dach? tete^M, hat Herr Gladstone niemals mit mehr Erfolg die trefflichen Eigenschaften entwickelt, die ihn berühmt und mächtig werden ließen. Er hat in vergangnen Tagen bessere Gelegenheiten zur Bekundung seines rednerischen Talentes gehabt, eine mehr überzeugte Zu¬ hörerschaft in und außer dem Hanse, und Thatsachen und Ereignisse, die sich leichter zu Belegen und Beweisen verwenden ließen. Aber niemals vorher sah >nan deutlicher ausgeprägt, wie eine reiche Erfahrung sich mit großer geistiger Begabung vereinigen kann, sodaß der Akt des Sprechens und der feine leise Gang der Gedanken sich wie die Doppelflöte eines altgriechischen Musikers zu einer einzigen stannenerweckenden und rührenden Weise verschmelzen, die von einer Befähigung modulirt wird, für welche wir keine Regel und leine Erklärung wissen. Ehrwürdig unter der Wucht seiner vierundsiebzig Jahre, die er doch mit dem Mut und Selbstvertrauen des mittlern Mannesalters trägt, trat der Premier seinen Anklägern als die einflußreiche Gestalt der Ära der Königin Viktoria entgegen, von der er inmitten politischer Arbeit jede Session und jedes historisch wichtige Ereignis gesehen hat. Der beredte Greis vom letzten Dienstag, dessen wohltönende Rede, kaum jemals in ihrem Klang und Einfluß von der unaufhörlichen parlamentarischen Arbeit während eines halben Jahrhunderts berührt, seine Zuhörer so tief bewegte, zeigt dem Hause und dem Lande eine solche Verbindung gereifter Weisheit mit dem noch nnerloschenen Feuer des Genies, daß wir bei nüchternster Betrachtung uns in der britischen Geschichte vergeblich nach einem majestätischem Beispiele einer Fülle geistiger Kräfte um¬ sehen, wie sie das Alter dem Charakter und der intellektuellen Befähigung hier hinzufügte." Überzeugt freilich wurde kein Zuhörer; denn der große Redner war viel¬ leicht selbst nicht zu andrer Meinung bekehrt, und was zum Herzen gehen soll, muß vom Herzen kommen. Die Verteidigung würde, wenn stärkere Gegner ihn bekämpft hätten, ihn ernsteren Anklagen ausgesetzt haben als denen, welche das Tadelsvotum enthält. Man kann den Gang der Politik Gladstones nicht ver¬ folgen, ohne gewahr zu werden, daß Ägypten für ihn von Anfang an bis jetzt eine Verdrießlichkeit und eine Last gewesen ist. Ungeduldig von Natur und gewohnt, alles als Störung zu betrachten und zu behandeln, was ihn von der innern Politik abzieht, hat er immer eine besondre Abneigung vor den orien¬ talischen Angelegenheiten und der fremdländischen Atmosphäre, welche dieselbe umgiebt, empfunden. So tadelte er denn auch in seiner Rede, daß die Regierung Beaconsfields seinem Ministerium die Erbschaft des ägyptischen Problems hinter¬ lassen habe, wogegen ein Staatsmann vom Gepräge Bismarcks oder Palmerstons sich vielmehr gefreut haben würde, im Besitz der beherrschenden Stellung zu sein, die in dem Ankauf des größten Teils der Suezkanal-Aktien und der Aussicht auf Beseitigung der Doppclkontrole von seinem Vorgänger geschaffen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/437>, abgerufen am 02.07.2024.