Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die niederländische Genre- "ut Landschafismalerei.

Gebilde: menschliche Kopfe mit tierischen Nasen, Mäulern und Schnäbeln, ein
riesiger Kopf, aus dessen Stirn ein Arm herauswächst, ein menschlicher Rumpf
mit einem Schwänze statt des Kopfes und mit Pferdefüßen statt der Arm?
u, dergl, grauenerregende Verbindungen mehr. Hieronymus Bosch bevölkert seine
Darstellungen des jüngsten Gerichts und der Versuchung des heiligen Antonins
mit ähnlichen Teufelsfratzen, in deren Erfindung er eine unerschöpfliche Phan¬
tasie entfaltet. Aber seine Teufelsgestalten sind nicht schlechthin unheimlich,
sondern das Grauen ist bereits dnrch einen grotesk-humoristischen Zug gemildert.
Seine Genrebilder machen es noch deutlicher, daß Hieronymus Bosch ein
Freund des Humors war. Leider ist keines von ihnen mehr im Originale
erhalten , sondern ihre Kompositionen sind uns nur durch Stiche aufbewahrt,
welche der Kunstverleger Hieronymus Cock in Antwerpen während der Jahre
1550 bis 1570 anfertigen ließ, als das Genre der phantastischen Höllen-
strafen und der drastischen Szenen mit dem Bauernleben dnrch Pieter Brueghel
den Älteren populär geworden war. Der letztere scheint auch den verschollen
gewesenen Hieronymus Bosch, nach welchem er sich augenscheinlich gebildet
hat, wieder aus der Vergessenheit gezogen zu haben. Wenn auch diese
Genrebilder meist einen allegorischen Inhalt haben und die Figuren auf den¬
selben die Träger moralischer Grundsätze sind, so geben sie doch trotz ihrer
lebhaften Tendenz unmittelbare Abbilder des Lebens. Die Gestalten sind
zwar in den Bewegungen noch unbeholfen, plump und eckig; aber in der Cha¬
rakteristik kommt die realistische Strömung der Zeit doch schon sehr energisch
zum Ausdruck. Mit Vorliebe greift Bosch seine Figuren aus den niedrigsten
Schichten des Volkes heraus, weil er an ihnen seine Neigung zum Grotesken und
Humoristischen am besten befriedigen kann. Zerlumpte Bettler, Krüppel, Narren,
Trunkenbolde, Mönche werden in komischen und possenhaften Situationen vor¬
geführt. Da stürzen zwei Blinde, von denen der eine den andern führen will,
in einen Wassergraben. Ein Narr schneidet dem andern die Haare ab. Ein
Quacksalber versammelt einige Leute um sich, deren einem hinterrücks der Geld-
beutel gestohlen wird. Auf einem vierten Bilde wird die Völlerei und der
unsittliche Lebenswandel der Mönche gegeißelt. Ein fünftes Bild führt uns
in einen mit zahlreichen Figuren belebten Wohnraum, in welchem eine alte Fra"
auf dem Herde Waffeln bäckt. Neben ihr thut ein Mönch einen herzhaften
Zug aus seinem Bierkruge, ein zweiter Mönch bläst die Sackpfeife und ein
dritter Mann spielt die Guitarre. Einer tanzenden Frau genügt diese Musik
noch nicht, denn sie schlüge noch mit einer Zange den Takt auf einem Roste.
Ein Hund tanzt auf den Hinterbeinen, und durch die Thür kommt noch ein
grotesker Zug von mehreren Personen herein, welche einen Spinnrocken, einen
Bratspieß und einen Blasebalg tragen, um den Faschingslärm zu vermehren.
Ein dicker Mann läßt sich durch denselben in seinem Schlafe nicht stören, und
einem andern wird der Bart von einer Frau eingeseift. Die einzelnen Figuren


Die niederländische Genre- »ut Landschafismalerei.

Gebilde: menschliche Kopfe mit tierischen Nasen, Mäulern und Schnäbeln, ein
riesiger Kopf, aus dessen Stirn ein Arm herauswächst, ein menschlicher Rumpf
mit einem Schwänze statt des Kopfes und mit Pferdefüßen statt der Arm?
u, dergl, grauenerregende Verbindungen mehr. Hieronymus Bosch bevölkert seine
Darstellungen des jüngsten Gerichts und der Versuchung des heiligen Antonins
mit ähnlichen Teufelsfratzen, in deren Erfindung er eine unerschöpfliche Phan¬
tasie entfaltet. Aber seine Teufelsgestalten sind nicht schlechthin unheimlich,
sondern das Grauen ist bereits dnrch einen grotesk-humoristischen Zug gemildert.
Seine Genrebilder machen es noch deutlicher, daß Hieronymus Bosch ein
Freund des Humors war. Leider ist keines von ihnen mehr im Originale
erhalten , sondern ihre Kompositionen sind uns nur durch Stiche aufbewahrt,
welche der Kunstverleger Hieronymus Cock in Antwerpen während der Jahre
1550 bis 1570 anfertigen ließ, als das Genre der phantastischen Höllen-
strafen und der drastischen Szenen mit dem Bauernleben dnrch Pieter Brueghel
den Älteren populär geworden war. Der letztere scheint auch den verschollen
gewesenen Hieronymus Bosch, nach welchem er sich augenscheinlich gebildet
hat, wieder aus der Vergessenheit gezogen zu haben. Wenn auch diese
Genrebilder meist einen allegorischen Inhalt haben und die Figuren auf den¬
selben die Träger moralischer Grundsätze sind, so geben sie doch trotz ihrer
lebhaften Tendenz unmittelbare Abbilder des Lebens. Die Gestalten sind
zwar in den Bewegungen noch unbeholfen, plump und eckig; aber in der Cha¬
rakteristik kommt die realistische Strömung der Zeit doch schon sehr energisch
zum Ausdruck. Mit Vorliebe greift Bosch seine Figuren aus den niedrigsten
Schichten des Volkes heraus, weil er an ihnen seine Neigung zum Grotesken und
Humoristischen am besten befriedigen kann. Zerlumpte Bettler, Krüppel, Narren,
Trunkenbolde, Mönche werden in komischen und possenhaften Situationen vor¬
geführt. Da stürzen zwei Blinde, von denen der eine den andern führen will,
in einen Wassergraben. Ein Narr schneidet dem andern die Haare ab. Ein
Quacksalber versammelt einige Leute um sich, deren einem hinterrücks der Geld-
beutel gestohlen wird. Auf einem vierten Bilde wird die Völlerei und der
unsittliche Lebenswandel der Mönche gegeißelt. Ein fünftes Bild führt uns
in einen mit zahlreichen Figuren belebten Wohnraum, in welchem eine alte Fra»
auf dem Herde Waffeln bäckt. Neben ihr thut ein Mönch einen herzhaften
Zug aus seinem Bierkruge, ein zweiter Mönch bläst die Sackpfeife und ein
dritter Mann spielt die Guitarre. Einer tanzenden Frau genügt diese Musik
noch nicht, denn sie schlüge noch mit einer Zange den Takt auf einem Roste.
Ein Hund tanzt auf den Hinterbeinen, und durch die Thür kommt noch ein
grotesker Zug von mehreren Personen herein, welche einen Spinnrocken, einen
Bratspieß und einen Blasebalg tragen, um den Faschingslärm zu vermehren.
Ein dicker Mann läßt sich durch denselben in seinem Schlafe nicht stören, und
einem andern wird der Bart von einer Frau eingeseift. Die einzelnen Figuren


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0416" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155299"/>
          <fw type="header" place="top"> Die niederländische Genre- »ut Landschafismalerei.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1693" prev="#ID_1692" next="#ID_1694"> Gebilde: menschliche Kopfe mit tierischen Nasen, Mäulern und Schnäbeln, ein<lb/>
riesiger Kopf, aus dessen Stirn ein Arm herauswächst, ein menschlicher Rumpf<lb/>
mit einem Schwänze statt des Kopfes und mit Pferdefüßen statt der Arm?<lb/>
u, dergl, grauenerregende Verbindungen mehr. Hieronymus Bosch bevölkert seine<lb/>
Darstellungen des jüngsten Gerichts und der Versuchung des heiligen Antonins<lb/>
mit ähnlichen Teufelsfratzen, in deren Erfindung er eine unerschöpfliche Phan¬<lb/>
tasie entfaltet. Aber seine Teufelsgestalten sind nicht schlechthin unheimlich,<lb/>
sondern das Grauen ist bereits dnrch einen grotesk-humoristischen Zug gemildert.<lb/>
Seine Genrebilder machen es noch deutlicher, daß Hieronymus Bosch ein<lb/>
Freund des Humors war. Leider ist keines von ihnen mehr im Originale<lb/>
erhalten , sondern ihre Kompositionen sind uns nur durch Stiche aufbewahrt,<lb/>
welche der Kunstverleger Hieronymus Cock in Antwerpen während der Jahre<lb/>
1550 bis 1570 anfertigen ließ, als das Genre der phantastischen Höllen-<lb/>
strafen und der drastischen Szenen mit dem Bauernleben dnrch Pieter Brueghel<lb/>
den Älteren populär geworden war. Der letztere scheint auch den verschollen<lb/>
gewesenen Hieronymus Bosch, nach welchem er sich augenscheinlich gebildet<lb/>
hat, wieder aus der Vergessenheit gezogen zu haben. Wenn auch diese<lb/>
Genrebilder meist einen allegorischen Inhalt haben und die Figuren auf den¬<lb/>
selben die Träger moralischer Grundsätze sind, so geben sie doch trotz ihrer<lb/>
lebhaften Tendenz unmittelbare Abbilder des Lebens. Die Gestalten sind<lb/>
zwar in den Bewegungen noch unbeholfen, plump und eckig; aber in der Cha¬<lb/>
rakteristik kommt die realistische Strömung der Zeit doch schon sehr energisch<lb/>
zum Ausdruck. Mit Vorliebe greift Bosch seine Figuren aus den niedrigsten<lb/>
Schichten des Volkes heraus, weil er an ihnen seine Neigung zum Grotesken und<lb/>
Humoristischen am besten befriedigen kann. Zerlumpte Bettler, Krüppel, Narren,<lb/>
Trunkenbolde, Mönche werden in komischen und possenhaften Situationen vor¬<lb/>
geführt. Da stürzen zwei Blinde, von denen der eine den andern führen will,<lb/>
in einen Wassergraben. Ein Narr schneidet dem andern die Haare ab. Ein<lb/>
Quacksalber versammelt einige Leute um sich, deren einem hinterrücks der Geld-<lb/>
beutel gestohlen wird. Auf einem vierten Bilde wird die Völlerei und der<lb/>
unsittliche Lebenswandel der Mönche gegeißelt. Ein fünftes Bild führt uns<lb/>
in einen mit zahlreichen Figuren belebten Wohnraum, in welchem eine alte Fra»<lb/>
auf dem Herde Waffeln bäckt. Neben ihr thut ein Mönch einen herzhaften<lb/>
Zug aus seinem Bierkruge, ein zweiter Mönch bläst die Sackpfeife und ein<lb/>
dritter Mann spielt die Guitarre. Einer tanzenden Frau genügt diese Musik<lb/>
noch nicht, denn sie schlüge noch mit einer Zange den Takt auf einem Roste.<lb/>
Ein Hund tanzt auf den Hinterbeinen, und durch die Thür kommt noch ein<lb/>
grotesker Zug von mehreren Personen herein, welche einen Spinnrocken, einen<lb/>
Bratspieß und einen Blasebalg tragen, um den Faschingslärm zu vermehren.<lb/>
Ein dicker Mann läßt sich durch denselben in seinem Schlafe nicht stören, und<lb/>
einem andern wird der Bart von einer Frau eingeseift. Die einzelnen Figuren</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0416] Die niederländische Genre- »ut Landschafismalerei. Gebilde: menschliche Kopfe mit tierischen Nasen, Mäulern und Schnäbeln, ein riesiger Kopf, aus dessen Stirn ein Arm herauswächst, ein menschlicher Rumpf mit einem Schwänze statt des Kopfes und mit Pferdefüßen statt der Arm? u, dergl, grauenerregende Verbindungen mehr. Hieronymus Bosch bevölkert seine Darstellungen des jüngsten Gerichts und der Versuchung des heiligen Antonins mit ähnlichen Teufelsfratzen, in deren Erfindung er eine unerschöpfliche Phan¬ tasie entfaltet. Aber seine Teufelsgestalten sind nicht schlechthin unheimlich, sondern das Grauen ist bereits dnrch einen grotesk-humoristischen Zug gemildert. Seine Genrebilder machen es noch deutlicher, daß Hieronymus Bosch ein Freund des Humors war. Leider ist keines von ihnen mehr im Originale erhalten , sondern ihre Kompositionen sind uns nur durch Stiche aufbewahrt, welche der Kunstverleger Hieronymus Cock in Antwerpen während der Jahre 1550 bis 1570 anfertigen ließ, als das Genre der phantastischen Höllen- strafen und der drastischen Szenen mit dem Bauernleben dnrch Pieter Brueghel den Älteren populär geworden war. Der letztere scheint auch den verschollen gewesenen Hieronymus Bosch, nach welchem er sich augenscheinlich gebildet hat, wieder aus der Vergessenheit gezogen zu haben. Wenn auch diese Genrebilder meist einen allegorischen Inhalt haben und die Figuren auf den¬ selben die Träger moralischer Grundsätze sind, so geben sie doch trotz ihrer lebhaften Tendenz unmittelbare Abbilder des Lebens. Die Gestalten sind zwar in den Bewegungen noch unbeholfen, plump und eckig; aber in der Cha¬ rakteristik kommt die realistische Strömung der Zeit doch schon sehr energisch zum Ausdruck. Mit Vorliebe greift Bosch seine Figuren aus den niedrigsten Schichten des Volkes heraus, weil er an ihnen seine Neigung zum Grotesken und Humoristischen am besten befriedigen kann. Zerlumpte Bettler, Krüppel, Narren, Trunkenbolde, Mönche werden in komischen und possenhaften Situationen vor¬ geführt. Da stürzen zwei Blinde, von denen der eine den andern führen will, in einen Wassergraben. Ein Narr schneidet dem andern die Haare ab. Ein Quacksalber versammelt einige Leute um sich, deren einem hinterrücks der Geld- beutel gestohlen wird. Auf einem vierten Bilde wird die Völlerei und der unsittliche Lebenswandel der Mönche gegeißelt. Ein fünftes Bild führt uns in einen mit zahlreichen Figuren belebten Wohnraum, in welchem eine alte Fra» auf dem Herde Waffeln bäckt. Neben ihr thut ein Mönch einen herzhaften Zug aus seinem Bierkruge, ein zweiter Mönch bläst die Sackpfeife und ein dritter Mann spielt die Guitarre. Einer tanzenden Frau genügt diese Musik noch nicht, denn sie schlüge noch mit einer Zange den Takt auf einem Roste. Ein Hund tanzt auf den Hinterbeinen, und durch die Thür kommt noch ein grotesker Zug von mehreren Personen herein, welche einen Spinnrocken, einen Bratspieß und einen Blasebalg tragen, um den Faschingslärm zu vermehren. Ein dicker Mann läßt sich durch denselben in seinem Schlafe nicht stören, und einem andern wird der Bart von einer Frau eingeseift. Die einzelnen Figuren

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/416
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/416>, abgerufen am 02.07.2024.