Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.

Bild führt uns in die Kreise des Kaufmannsstandcs, welcher damals in
Antwerpen eines sei hohen Ansehens genoß, daß es nnr natürlich ist, wenn
sich der erste Genremaler Antwerpens seine Stoffe aus diesem Stande wählte.
Hier sind zwei Männer hinter dem Tische dargestellt. Der eine sitzt vor
einem Buche, in welches er mit der Rechten etwas eintragen will, während
ce in der Linken ein Goldstück hält. Der Mann neben ihm legt die Rechte
lUif seine Schulter und umspannt mit der Linken einen auf dem Tische
stehenden Geldbeutel. Auf dem Tische liegen Goldstücke, Schreibgerät, Klei¬
nodien u. s. w., und der Hintergrund des Gemaches mit seinem Bvrdbrette
ist ebenso ausgestattet wie auf dem schon beschriebenen Bilde des Ehepaares.
Rechts blickt man auch durch die halbgeöffnete Thür ans die Straße. Der
Meister, dessen Kunst darin gipfelt, den Menschen wiederum zum vor¬
nehmsten Gegenstände der Komposition zu machen, suchte sein Prinzip durch
energische Charakterisirung und durch Wiederspiegelung mannichfaltiger Empfin¬
dungen im Angesichte zur Anschauung zu bringen. In diesem Bestreben ar¬
beitete er die Hauptlinien einer menschlichen Phhsiognomie möglichst scharf und
schneidig heraus und, da seine Modellirnng des Fleisches in einem lichtbräun-
lichem Tone den Köpfen auch eine gewisse Härte gab. machte eine spätere Zeit
aus diesen Kaufleute" in ihren Komptoirs hartherzige Wucherer, Pfandleihcr
und Steuereinnehmer, während der Künstler garnicht daran dachte, eine mora¬
lische Tendenz mit diesen der Natur abgelauschten Genrebildern zu verbinden.
Die starke Verbreitung derselben spricht am besten gegen eine solche Tendenz.
Es waren die ersten künstlerischen Darstellungen des Kaufmannsstandes, und
deshalb bestellten die reichen Kaufherren von Antwerpen und Amsterdam gern
diese Bilder, auf welchen ihnen ihr eignes Ich in voller Behäbigkeit und in
realistischer Greifbarkeit vor Augen trat. Dazu kam noch, daß Quintin Massijs
zu einer Zeit, als der italienische Einfluß immer mächtiger zu werden begann,
an dein nationalen Charakter seiner Kunst unerschütterlich festhielt.

Obwohl Antwerpen im ersten Viertel des 16. Jcchrhnnderts der Vorort
der niederländischen Malerei war, regten sich doch auch in den nördlichen
Städten, also im späteren Holland, die ersten Keime der realistischen Kunst.
Einer der ältesten Meister, von welchen uns die Geschichte zu melden weiß.
>se Hieronymus von Aker (geb. um 1460, geht. 1516). Man nennt ihn nach
seinem Wohnsitze Herzogenbusch gewöhnlich Hieronymus Bosch. Seine Er¬
scheinung ist eine völlig unvermittelte. Man weiß nicht, wer sein Lehrer gewesen,
noch aus welche" Anfängen er sich entwickelt hat. Wenn man nach analogen
Erscheinungen Umschau hält, steht er Gerard David von Brügge (etwa 1450
bis 1523), den wir schon oben in Verbindung mit Patinir erwähnt haben, in
gewisser Beziehung nahe. Diesem David wird nämlich ein in Wiener Privat¬
besitz befindliches Gemälde Angeschrieben, ans welchem der heilige Michael mit
sieben Teufeln dargestellt ist. Diese Höllengeister sind vollkommen phantastische


Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.

Bild führt uns in die Kreise des Kaufmannsstandcs, welcher damals in
Antwerpen eines sei hohen Ansehens genoß, daß es nnr natürlich ist, wenn
sich der erste Genremaler Antwerpens seine Stoffe aus diesem Stande wählte.
Hier sind zwei Männer hinter dem Tische dargestellt. Der eine sitzt vor
einem Buche, in welches er mit der Rechten etwas eintragen will, während
ce in der Linken ein Goldstück hält. Der Mann neben ihm legt die Rechte
lUif seine Schulter und umspannt mit der Linken einen auf dem Tische
stehenden Geldbeutel. Auf dem Tische liegen Goldstücke, Schreibgerät, Klei¬
nodien u. s. w., und der Hintergrund des Gemaches mit seinem Bvrdbrette
ist ebenso ausgestattet wie auf dem schon beschriebenen Bilde des Ehepaares.
Rechts blickt man auch durch die halbgeöffnete Thür ans die Straße. Der
Meister, dessen Kunst darin gipfelt, den Menschen wiederum zum vor¬
nehmsten Gegenstände der Komposition zu machen, suchte sein Prinzip durch
energische Charakterisirung und durch Wiederspiegelung mannichfaltiger Empfin¬
dungen im Angesichte zur Anschauung zu bringen. In diesem Bestreben ar¬
beitete er die Hauptlinien einer menschlichen Phhsiognomie möglichst scharf und
schneidig heraus und, da seine Modellirnng des Fleisches in einem lichtbräun-
lichem Tone den Köpfen auch eine gewisse Härte gab. machte eine spätere Zeit
aus diesen Kaufleute» in ihren Komptoirs hartherzige Wucherer, Pfandleihcr
und Steuereinnehmer, während der Künstler garnicht daran dachte, eine mora¬
lische Tendenz mit diesen der Natur abgelauschten Genrebildern zu verbinden.
Die starke Verbreitung derselben spricht am besten gegen eine solche Tendenz.
Es waren die ersten künstlerischen Darstellungen des Kaufmannsstandes, und
deshalb bestellten die reichen Kaufherren von Antwerpen und Amsterdam gern
diese Bilder, auf welchen ihnen ihr eignes Ich in voller Behäbigkeit und in
realistischer Greifbarkeit vor Augen trat. Dazu kam noch, daß Quintin Massijs
zu einer Zeit, als der italienische Einfluß immer mächtiger zu werden begann,
an dein nationalen Charakter seiner Kunst unerschütterlich festhielt.

Obwohl Antwerpen im ersten Viertel des 16. Jcchrhnnderts der Vorort
der niederländischen Malerei war, regten sich doch auch in den nördlichen
Städten, also im späteren Holland, die ersten Keime der realistischen Kunst.
Einer der ältesten Meister, von welchen uns die Geschichte zu melden weiß.
>se Hieronymus von Aker (geb. um 1460, geht. 1516). Man nennt ihn nach
seinem Wohnsitze Herzogenbusch gewöhnlich Hieronymus Bosch. Seine Er¬
scheinung ist eine völlig unvermittelte. Man weiß nicht, wer sein Lehrer gewesen,
noch aus welche» Anfängen er sich entwickelt hat. Wenn man nach analogen
Erscheinungen Umschau hält, steht er Gerard David von Brügge (etwa 1450
bis 1523), den wir schon oben in Verbindung mit Patinir erwähnt haben, in
gewisser Beziehung nahe. Diesem David wird nämlich ein in Wiener Privat¬
besitz befindliches Gemälde Angeschrieben, ans welchem der heilige Michael mit
sieben Teufeln dargestellt ist. Diese Höllengeister sind vollkommen phantastische


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0415" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155298"/>
          <fw type="header" place="top"> Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1691" prev="#ID_1690"> Bild führt uns in die Kreise des Kaufmannsstandcs, welcher damals in<lb/>
Antwerpen eines sei hohen Ansehens genoß, daß es nnr natürlich ist, wenn<lb/>
sich der erste Genremaler Antwerpens seine Stoffe aus diesem Stande wählte.<lb/>
Hier sind zwei Männer hinter dem Tische dargestellt. Der eine sitzt vor<lb/>
einem Buche, in welches er mit der Rechten etwas eintragen will, während<lb/>
ce in der Linken ein Goldstück hält. Der Mann neben ihm legt die Rechte<lb/>
lUif seine Schulter und umspannt mit der Linken einen auf dem Tische<lb/>
stehenden Geldbeutel. Auf dem Tische liegen Goldstücke, Schreibgerät, Klei¬<lb/>
nodien u. s. w., und der Hintergrund des Gemaches mit seinem Bvrdbrette<lb/>
ist ebenso ausgestattet wie auf dem schon beschriebenen Bilde des Ehepaares.<lb/>
Rechts blickt man auch durch die halbgeöffnete Thür ans die Straße. Der<lb/>
Meister, dessen Kunst darin gipfelt, den Menschen wiederum zum vor¬<lb/>
nehmsten Gegenstände der Komposition zu machen, suchte sein Prinzip durch<lb/>
energische Charakterisirung und durch Wiederspiegelung mannichfaltiger Empfin¬<lb/>
dungen im Angesichte zur Anschauung zu bringen. In diesem Bestreben ar¬<lb/>
beitete er die Hauptlinien einer menschlichen Phhsiognomie möglichst scharf und<lb/>
schneidig heraus und, da seine Modellirnng des Fleisches in einem lichtbräun-<lb/>
lichem Tone den Köpfen auch eine gewisse Härte gab. machte eine spätere Zeit<lb/>
aus diesen Kaufleute» in ihren Komptoirs hartherzige Wucherer, Pfandleihcr<lb/>
und Steuereinnehmer, während der Künstler garnicht daran dachte, eine mora¬<lb/>
lische Tendenz mit diesen der Natur abgelauschten Genrebildern zu verbinden.<lb/>
Die starke Verbreitung derselben spricht am besten gegen eine solche Tendenz.<lb/>
Es waren die ersten künstlerischen Darstellungen des Kaufmannsstandes, und<lb/>
deshalb bestellten die reichen Kaufherren von Antwerpen und Amsterdam gern<lb/>
diese Bilder, auf welchen ihnen ihr eignes Ich in voller Behäbigkeit und in<lb/>
realistischer Greifbarkeit vor Augen trat. Dazu kam noch, daß Quintin Massijs<lb/>
zu einer Zeit, als der italienische Einfluß immer mächtiger zu werden begann,<lb/>
an dein nationalen Charakter seiner Kunst unerschütterlich festhielt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1692" next="#ID_1693"> Obwohl Antwerpen im ersten Viertel des 16. Jcchrhnnderts der Vorort<lb/>
der niederländischen Malerei war, regten sich doch auch in den nördlichen<lb/>
Städten, also im späteren Holland, die ersten Keime der realistischen Kunst.<lb/>
Einer der ältesten Meister, von welchen uns die Geschichte zu melden weiß.<lb/>
&gt;se Hieronymus von Aker (geb. um 1460, geht. 1516). Man nennt ihn nach<lb/>
seinem Wohnsitze Herzogenbusch gewöhnlich Hieronymus Bosch. Seine Er¬<lb/>
scheinung ist eine völlig unvermittelte. Man weiß nicht, wer sein Lehrer gewesen,<lb/>
noch aus welche» Anfängen er sich entwickelt hat. Wenn man nach analogen<lb/>
Erscheinungen Umschau hält, steht er Gerard David von Brügge (etwa 1450<lb/>
bis 1523), den wir schon oben in Verbindung mit Patinir erwähnt haben, in<lb/>
gewisser Beziehung nahe. Diesem David wird nämlich ein in Wiener Privat¬<lb/>
besitz befindliches Gemälde Angeschrieben, ans welchem der heilige Michael mit<lb/>
sieben Teufeln dargestellt ist. Diese Höllengeister sind vollkommen phantastische</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0415] Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei. Bild führt uns in die Kreise des Kaufmannsstandcs, welcher damals in Antwerpen eines sei hohen Ansehens genoß, daß es nnr natürlich ist, wenn sich der erste Genremaler Antwerpens seine Stoffe aus diesem Stande wählte. Hier sind zwei Männer hinter dem Tische dargestellt. Der eine sitzt vor einem Buche, in welches er mit der Rechten etwas eintragen will, während ce in der Linken ein Goldstück hält. Der Mann neben ihm legt die Rechte lUif seine Schulter und umspannt mit der Linken einen auf dem Tische stehenden Geldbeutel. Auf dem Tische liegen Goldstücke, Schreibgerät, Klei¬ nodien u. s. w., und der Hintergrund des Gemaches mit seinem Bvrdbrette ist ebenso ausgestattet wie auf dem schon beschriebenen Bilde des Ehepaares. Rechts blickt man auch durch die halbgeöffnete Thür ans die Straße. Der Meister, dessen Kunst darin gipfelt, den Menschen wiederum zum vor¬ nehmsten Gegenstände der Komposition zu machen, suchte sein Prinzip durch energische Charakterisirung und durch Wiederspiegelung mannichfaltiger Empfin¬ dungen im Angesichte zur Anschauung zu bringen. In diesem Bestreben ar¬ beitete er die Hauptlinien einer menschlichen Phhsiognomie möglichst scharf und schneidig heraus und, da seine Modellirnng des Fleisches in einem lichtbräun- lichem Tone den Köpfen auch eine gewisse Härte gab. machte eine spätere Zeit aus diesen Kaufleute» in ihren Komptoirs hartherzige Wucherer, Pfandleihcr und Steuereinnehmer, während der Künstler garnicht daran dachte, eine mora¬ lische Tendenz mit diesen der Natur abgelauschten Genrebildern zu verbinden. Die starke Verbreitung derselben spricht am besten gegen eine solche Tendenz. Es waren die ersten künstlerischen Darstellungen des Kaufmannsstandes, und deshalb bestellten die reichen Kaufherren von Antwerpen und Amsterdam gern diese Bilder, auf welchen ihnen ihr eignes Ich in voller Behäbigkeit und in realistischer Greifbarkeit vor Augen trat. Dazu kam noch, daß Quintin Massijs zu einer Zeit, als der italienische Einfluß immer mächtiger zu werden begann, an dein nationalen Charakter seiner Kunst unerschütterlich festhielt. Obwohl Antwerpen im ersten Viertel des 16. Jcchrhnnderts der Vorort der niederländischen Malerei war, regten sich doch auch in den nördlichen Städten, also im späteren Holland, die ersten Keime der realistischen Kunst. Einer der ältesten Meister, von welchen uns die Geschichte zu melden weiß. >se Hieronymus von Aker (geb. um 1460, geht. 1516). Man nennt ihn nach seinem Wohnsitze Herzogenbusch gewöhnlich Hieronymus Bosch. Seine Er¬ scheinung ist eine völlig unvermittelte. Man weiß nicht, wer sein Lehrer gewesen, noch aus welche» Anfängen er sich entwickelt hat. Wenn man nach analogen Erscheinungen Umschau hält, steht er Gerard David von Brügge (etwa 1450 bis 1523), den wir schon oben in Verbindung mit Patinir erwähnt haben, in gewisser Beziehung nahe. Diesem David wird nämlich ein in Wiener Privat¬ besitz befindliches Gemälde Angeschrieben, ans welchem der heilige Michael mit sieben Teufeln dargestellt ist. Diese Höllengeister sind vollkommen phantastische

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/415
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/415>, abgerufen am 04.07.2024.