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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die niederländische Genre- und kandschaftsmalerei.

und Handlungen werden auch hier nicht ohne allegorische Bedeutung sein. Aber
>>n ganzen haben wir doch ein aus dem wirklichen Volksleben geschöpftes Bild
vor uns, welches als ein Prototyp der Wirtshausbilder des lustigen Jan Steen
aFten kauu. Wir finden hier bereits, also etwa hundertundfunfzig Jahre vor
dem Auftreten des Leidener Meisters, das Bestreben, eine Reihe von ver-
schiednen Hnntirungeu zu einer Komposition zu vereinigen und den Beschauer
durch die Überfülle der Motive zu fesseln. Über den Stil und die Ausdrucks¬
weise des Hieronymus Bosch können wir nur nach einigen Bilder" in Wien
und Madrid urteilen, welche das jüngste Gericht und die Hölle, die Anbetung
der Könige und die Versuchung des heiligen Antonius darstellen, da uns seine
Genrebilder, wie gesagt, nur in späteren Stichen ihrer Komposition nach er¬
halten sind. Aus diesen drei Bildern, von denen das erste und dritte dem
phantastischen Genre angehören, lernen wir Bosch als einen ausgezeichneten
Koloristen kennen. Er liebt helle, leuchtende Farben, welche er sauber und glatt
""ter einem vollen, warmen Lichte aufträgt. Im wesentlichen bleibt die technische
Prozedur auch bei ihm dieselbe, auf eine emailartige Behandlung der farbigen
Oberfläche ausgehende, wie bei allen nationalen niederländischen Malern der
von Jan van Eyck inaugurirten Epoche.

Am Ende dieser Epoche steht als der letzte Realist vor dem italienischen
Interregnum Lukas von Leyden (1494--1533), eine geniale, frühreife Natur,
welche große Verwandtschaft mit Dürer hatte. In seinen zahlreichen Kupfer¬
stichen, deren frühester mit einer Jahreszahl bezeichnete von 1508 datirt ist,
hat er sich sogar nach Dürer gebildet. Sind seine Gemälde religiösen Inhalts
schon reich an genrchaften Zügen -- fo besonders die Heilung des Blinden in
der Petersburger Eremitage -- und hervorragend durch die zarte und sorgsam
°n Natur abgelauschte Behandlung der landschaftlichen Hintergründe, fo fehlt
es auch unter der Reihe der uns erhaltenen Werke seiner Hand nicht an eigent¬
lichen Genrebildern. In Wiltonhouse bei Salisburh befindet sich eine Gesell¬
schaft von Herren und Damen um zwei Schachspieler gruppirt, und ein ähnliches
Bild vesitzt die Berliner Galerie. Auf dem letzter" sieht man zwölf Personen:
den Spieler und seine Partnerin, neun Herren und eine Dame, welche dem
Gange des Spieles mit lebhafter Spnnnnng folgen. Die Charakteristik dieser
Figuren ist von seiten des Künstlers mit einem so heiligen Ernste durchgeführt,
d"ß sich von diesem Ernste vieles auf den Ausdruck der Köpfe übertragen hat.
Aber der feierliche Ernst steht nicht nur passionirten Schachspielern sehr gut,
sondern er ist auch eine Eigentümlichkeit des holländischen Charakters. Vielleicht
'"ag auch des Künstlers eignes Temperament in dieser Darstellung etwas re-
flektiren; ein gemessenes, feierliches Wesen, die Folge seiner frühen Reife, ist
allen seinen Werken, den Gemälden wie den Kupferstichen, eigen. Lukas war ein
deiner, kränklicher Manu, der niemals feines Lebens recht froh wurde und
frühzeitig starb, nachdem er eine ziemlich umfangreiche Thätigkeit, namentlich


Die niederländische Genre- und kandschaftsmalerei.

und Handlungen werden auch hier nicht ohne allegorische Bedeutung sein. Aber
>>n ganzen haben wir doch ein aus dem wirklichen Volksleben geschöpftes Bild
vor uns, welches als ein Prototyp der Wirtshausbilder des lustigen Jan Steen
aFten kauu. Wir finden hier bereits, also etwa hundertundfunfzig Jahre vor
dem Auftreten des Leidener Meisters, das Bestreben, eine Reihe von ver-
schiednen Hnntirungeu zu einer Komposition zu vereinigen und den Beschauer
durch die Überfülle der Motive zu fesseln. Über den Stil und die Ausdrucks¬
weise des Hieronymus Bosch können wir nur nach einigen Bilder» in Wien
und Madrid urteilen, welche das jüngste Gericht und die Hölle, die Anbetung
der Könige und die Versuchung des heiligen Antonius darstellen, da uns seine
Genrebilder, wie gesagt, nur in späteren Stichen ihrer Komposition nach er¬
halten sind. Aus diesen drei Bildern, von denen das erste und dritte dem
phantastischen Genre angehören, lernen wir Bosch als einen ausgezeichneten
Koloristen kennen. Er liebt helle, leuchtende Farben, welche er sauber und glatt
"»ter einem vollen, warmen Lichte aufträgt. Im wesentlichen bleibt die technische
Prozedur auch bei ihm dieselbe, auf eine emailartige Behandlung der farbigen
Oberfläche ausgehende, wie bei allen nationalen niederländischen Malern der
von Jan van Eyck inaugurirten Epoche.

Am Ende dieser Epoche steht als der letzte Realist vor dem italienischen
Interregnum Lukas von Leyden (1494—1533), eine geniale, frühreife Natur,
welche große Verwandtschaft mit Dürer hatte. In seinen zahlreichen Kupfer¬
stichen, deren frühester mit einer Jahreszahl bezeichnete von 1508 datirt ist,
hat er sich sogar nach Dürer gebildet. Sind seine Gemälde religiösen Inhalts
schon reich an genrchaften Zügen — fo besonders die Heilung des Blinden in
der Petersburger Eremitage — und hervorragend durch die zarte und sorgsam
°n Natur abgelauschte Behandlung der landschaftlichen Hintergründe, fo fehlt
es auch unter der Reihe der uns erhaltenen Werke seiner Hand nicht an eigent¬
lichen Genrebildern. In Wiltonhouse bei Salisburh befindet sich eine Gesell¬
schaft von Herren und Damen um zwei Schachspieler gruppirt, und ein ähnliches
Bild vesitzt die Berliner Galerie. Auf dem letzter» sieht man zwölf Personen:
den Spieler und seine Partnerin, neun Herren und eine Dame, welche dem
Gange des Spieles mit lebhafter Spnnnnng folgen. Die Charakteristik dieser
Figuren ist von seiten des Künstlers mit einem so heiligen Ernste durchgeführt,
d"ß sich von diesem Ernste vieles auf den Ausdruck der Köpfe übertragen hat.
Aber der feierliche Ernst steht nicht nur passionirten Schachspielern sehr gut,
sondern er ist auch eine Eigentümlichkeit des holländischen Charakters. Vielleicht
'"ag auch des Künstlers eignes Temperament in dieser Darstellung etwas re-
flektiren; ein gemessenes, feierliches Wesen, die Folge seiner frühen Reife, ist
allen seinen Werken, den Gemälden wie den Kupferstichen, eigen. Lukas war ein
deiner, kränklicher Manu, der niemals feines Lebens recht froh wurde und
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[0417] Die niederländische Genre- und kandschaftsmalerei. und Handlungen werden auch hier nicht ohne allegorische Bedeutung sein. Aber >>n ganzen haben wir doch ein aus dem wirklichen Volksleben geschöpftes Bild vor uns, welches als ein Prototyp der Wirtshausbilder des lustigen Jan Steen aFten kauu. Wir finden hier bereits, also etwa hundertundfunfzig Jahre vor dem Auftreten des Leidener Meisters, das Bestreben, eine Reihe von ver- schiednen Hnntirungeu zu einer Komposition zu vereinigen und den Beschauer durch die Überfülle der Motive zu fesseln. Über den Stil und die Ausdrucks¬ weise des Hieronymus Bosch können wir nur nach einigen Bilder» in Wien und Madrid urteilen, welche das jüngste Gericht und die Hölle, die Anbetung der Könige und die Versuchung des heiligen Antonius darstellen, da uns seine Genrebilder, wie gesagt, nur in späteren Stichen ihrer Komposition nach er¬ halten sind. Aus diesen drei Bildern, von denen das erste und dritte dem phantastischen Genre angehören, lernen wir Bosch als einen ausgezeichneten Koloristen kennen. Er liebt helle, leuchtende Farben, welche er sauber und glatt "»ter einem vollen, warmen Lichte aufträgt. Im wesentlichen bleibt die technische Prozedur auch bei ihm dieselbe, auf eine emailartige Behandlung der farbigen Oberfläche ausgehende, wie bei allen nationalen niederländischen Malern der von Jan van Eyck inaugurirten Epoche. Am Ende dieser Epoche steht als der letzte Realist vor dem italienischen Interregnum Lukas von Leyden (1494—1533), eine geniale, frühreife Natur, welche große Verwandtschaft mit Dürer hatte. In seinen zahlreichen Kupfer¬ stichen, deren frühester mit einer Jahreszahl bezeichnete von 1508 datirt ist, hat er sich sogar nach Dürer gebildet. Sind seine Gemälde religiösen Inhalts schon reich an genrchaften Zügen — fo besonders die Heilung des Blinden in der Petersburger Eremitage — und hervorragend durch die zarte und sorgsam °n Natur abgelauschte Behandlung der landschaftlichen Hintergründe, fo fehlt es auch unter der Reihe der uns erhaltenen Werke seiner Hand nicht an eigent¬ lichen Genrebildern. In Wiltonhouse bei Salisburh befindet sich eine Gesell¬ schaft von Herren und Damen um zwei Schachspieler gruppirt, und ein ähnliches Bild vesitzt die Berliner Galerie. Auf dem letzter» sieht man zwölf Personen: den Spieler und seine Partnerin, neun Herren und eine Dame, welche dem Gange des Spieles mit lebhafter Spnnnnng folgen. Die Charakteristik dieser Figuren ist von seiten des Künstlers mit einem so heiligen Ernste durchgeführt, d"ß sich von diesem Ernste vieles auf den Ausdruck der Köpfe übertragen hat. Aber der feierliche Ernst steht nicht nur passionirten Schachspielern sehr gut, sondern er ist auch eine Eigentümlichkeit des holländischen Charakters. Vielleicht '"ag auch des Künstlers eignes Temperament in dieser Darstellung etwas re- flektiren; ein gemessenes, feierliches Wesen, die Folge seiner frühen Reife, ist allen seinen Werken, den Gemälden wie den Kupferstichen, eigen. Lukas war ein deiner, kränklicher Manu, der niemals feines Lebens recht froh wurde und frühzeitig starb, nachdem er eine ziemlich umfangreiche Thätigkeit, namentlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/417>, abgerufen am 30.06.2024.