Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.L. Geisels und F. A. v. Schacks säüitlichc Werke.
Prinz Nikolas aber, nach dem der
L. Geisels und F. A. v. Schacks säüitlichc Werke.
Prinz Nikolas aber, nach dem der
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0039" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154922"/> <fw type="header" place="top"> L. Geisels und F. A. v. Schacks säüitlichc Werke.</fw><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_3" type="poem"> <l><cb type="start"/> Schon liegt der See vor ihm, in dessen Welle<lb/> Die Heilgen Stätten all der Tell-Legende<lb/> Sich spiegeln, Rutil, Küßnacht und Kapelle —<lb/> Gelesen hat man früher zwanzig Blinde<lb/> Bon jenem Helden und von jeder Stelle,<lb/> Wo er gelebt, gewirkt; doch nun am Ende<lb/> Noch zwanzig andre, dickre muß man lesen,<lb/> Damit man weih, er sei nie dagewesen. Wahr ists, es giebt verschiedne Gcßlerhüte,<lb/> Und Schweden auch hat seinen Apfclschuß,<lb/> Doch wenn wir die Geschichte so zur Mythe<lb/> Verwandelt sehen, glauben wir zum Schluß,<lb/> Beinahe selbst aus mythischem Gebiete<lb/> Zu stehn, und mustern uns von Kopf zu Fuß,<lb/> Ob wir nicht Fabeln sind; nach hundert<lb/> Jahren<lb/> Beweist man sicher, daß wir niemals<lb/> waren. Eins aber stell' ich fest und außer Frage:<lb/> Mein Held ist da und lebt, Prinz Nikolns,<lb/> Selbst, daß ich jeden Zweifel niederschlage,<lb/> Bewahr' ich seinen Taufschein, seinen Paß;<lb/> Und findet sich in der Wilkinasage, <cb/> In einem Manuskript des Ulfilas,<lb/> Daß schon bei Sknndinnvcn oder Gothen<lb/> Ein gleicher war — was kümmern mich die<lb/> Toten? Wohl! sehn wir, wie der Prinz auf dem<lb/> Luzerner<lb/> Tiefblauen See »ach Silben weiter reist!<lb/> Trüb sitzt er da, für Arnold Melchthals,<lb/> Werner Stauffachers Heimat achtlos bleibt sein Geist,<lb/> Und für die Wunder, Firnen, Fclsenhörner,<lb/> Die ihm des Sees krystallner Spiegel weist;<lb/> Nicht Nitetis will er sehn, noch Nigiknlme,<lb/> Nur Hohn, wo Reben ranken »in die Ulme. Voll ist wie stets der Dampfer von Tonriste»,<lb/> Fast sandte jedes Land sein Exemplar;<lb/> In reiche» Kleider», seiden und battisten,<lb/> Prange die Pariserin vom Boulevard;<lb/> Ladies mit ihrem Zubehör von Kisten<lb/> Und Koffern giebt es eine ganze Schaar,<lb/> Und Moskowitinncn mit Schuhu von Juchten<lb/> Rüster zur Fahrt sich durch Gebirg nud<lb/> Schluchten. <cb type="end"/> </l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_85"> Prinz Nikolas aber, nach dem der<lb/> wendet, ist unempfänglich für die blonde<lb/> sein Sinn steht nur nach Italien, dortBlick der schonen Pilgerinnen sich oft<lb/> Schönheit Germaniens und Altenglanbs,<lb/> blühen:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_4" type="poem"> <l><cb type="start"/> mit den Lorberrosen, den Agrumen,<lb/> In Glut und Pracht die echten Frauenblumen.<lb/> Und jetzt empor auf steilen Schwindclpfadcn,<lb/> An Schlünden hin, wo gelber Nebel brant,<lb/> Hoch oben haben sich die Boreaden<lb/> Aus Eis und Schnee den Winterthrvn gebaut,<lb/> Zur Seite schäumt und wirbelt in Kaskaden<lb/> Die wilde Reuß; auch wo man sie nicht schaut,<lb/> Hört man die Flut, wie sie an den gezackten<lb/> Felswände» tobt in co'gen Katarakten. Die Brücke, nicht gebaut von Menschenhänden,<lb/> Bebe bei dem Sturz der Wogen wie ein Rohr;<lb/> Durch Nebel flatternd an den Felsenwänden<lb/> Und durch das schwarze, nie erhellte Thor<lb/> Schwingt sich der Weg, als wollt' er nimmer<lb/> enden,<lb/> In hundert Windungen empor, empor,<lb/> Dann endlich — denkt euch Nikolas' Ent¬<lb/> zücken —<lb/> Nach Süden senkt sich des Gebirges Rücken. <cb/> Bald stäubt der Nebel hin in leichten Flocken,<lb/> Herauf vom Thale wehn die Lüfte lauer,<lb/> Und unsers Prinzen Herz bebt süß erschrocken,<lb/> Wie blau der Himmel wird und immer<lb/> blauer,<lb/> Wie längs des Stromes, der mit Silber¬<lb/> locken<lb/> Nach unten springt, an grüner Rebenmauer<lb/> Die erste Myrthe sich, noch halb verzagt<lb/> Und schüchtern, an die freien Lüste wagt. Und nun Italien! Heimat dieser Stanze,<lb/> So ivie du bist, ein ewiges Gedicht,<lb/> Mit deiner Tage goldnem Sonnenglanze,<lb/> Mit deiner Nächte Stcrnensilberlicht,<lb/> Entfalte meinem Helden deine ganze<lb/> Prachtfülle! Was bisher im Traumgesicht<lb/> Er nur geschaut, die Farben und Gestalten,<lb/> Laß es lebendig sich vor ihm entfalten. Wo ist ein Land, auf das mit reichern Gaben<lb/> Mutter Natur ihr großes Füllhorn leert, <cb type="end"/> </l> </lg> </quote><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0039]
L. Geisels und F. A. v. Schacks säüitlichc Werke.
Schon liegt der See vor ihm, in dessen Welle
Die Heilgen Stätten all der Tell-Legende
Sich spiegeln, Rutil, Küßnacht und Kapelle —
Gelesen hat man früher zwanzig Blinde
Bon jenem Helden und von jeder Stelle,
Wo er gelebt, gewirkt; doch nun am Ende
Noch zwanzig andre, dickre muß man lesen,
Damit man weih, er sei nie dagewesen. Wahr ists, es giebt verschiedne Gcßlerhüte,
Und Schweden auch hat seinen Apfclschuß,
Doch wenn wir die Geschichte so zur Mythe
Verwandelt sehen, glauben wir zum Schluß,
Beinahe selbst aus mythischem Gebiete
Zu stehn, und mustern uns von Kopf zu Fuß,
Ob wir nicht Fabeln sind; nach hundert
Jahren
Beweist man sicher, daß wir niemals
waren. Eins aber stell' ich fest und außer Frage:
Mein Held ist da und lebt, Prinz Nikolns,
Selbst, daß ich jeden Zweifel niederschlage,
Bewahr' ich seinen Taufschein, seinen Paß;
Und findet sich in der Wilkinasage,
In einem Manuskript des Ulfilas,
Daß schon bei Sknndinnvcn oder Gothen
Ein gleicher war — was kümmern mich die
Toten? Wohl! sehn wir, wie der Prinz auf dem
Luzerner
Tiefblauen See »ach Silben weiter reist!
Trüb sitzt er da, für Arnold Melchthals,
Werner Stauffachers Heimat achtlos bleibt sein Geist,
Und für die Wunder, Firnen, Fclsenhörner,
Die ihm des Sees krystallner Spiegel weist;
Nicht Nitetis will er sehn, noch Nigiknlme,
Nur Hohn, wo Reben ranken »in die Ulme. Voll ist wie stets der Dampfer von Tonriste»,
Fast sandte jedes Land sein Exemplar;
In reiche» Kleider», seiden und battisten,
Prange die Pariserin vom Boulevard;
Ladies mit ihrem Zubehör von Kisten
Und Koffern giebt es eine ganze Schaar,
Und Moskowitinncn mit Schuhu von Juchten
Rüster zur Fahrt sich durch Gebirg nud
Schluchten.
Prinz Nikolas aber, nach dem der
wendet, ist unempfänglich für die blonde
sein Sinn steht nur nach Italien, dortBlick der schonen Pilgerinnen sich oft
Schönheit Germaniens und Altenglanbs,
blühen:
mit den Lorberrosen, den Agrumen,
In Glut und Pracht die echten Frauenblumen.
Und jetzt empor auf steilen Schwindclpfadcn,
An Schlünden hin, wo gelber Nebel brant,
Hoch oben haben sich die Boreaden
Aus Eis und Schnee den Winterthrvn gebaut,
Zur Seite schäumt und wirbelt in Kaskaden
Die wilde Reuß; auch wo man sie nicht schaut,
Hört man die Flut, wie sie an den gezackten
Felswände» tobt in co'gen Katarakten. Die Brücke, nicht gebaut von Menschenhänden,
Bebe bei dem Sturz der Wogen wie ein Rohr;
Durch Nebel flatternd an den Felsenwänden
Und durch das schwarze, nie erhellte Thor
Schwingt sich der Weg, als wollt' er nimmer
enden,
In hundert Windungen empor, empor,
Dann endlich — denkt euch Nikolas' Ent¬
zücken —
Nach Süden senkt sich des Gebirges Rücken.
Bald stäubt der Nebel hin in leichten Flocken,
Herauf vom Thale wehn die Lüfte lauer,
Und unsers Prinzen Herz bebt süß erschrocken,
Wie blau der Himmel wird und immer
blauer,
Wie längs des Stromes, der mit Silber¬
locken
Nach unten springt, an grüner Rebenmauer
Die erste Myrthe sich, noch halb verzagt
Und schüchtern, an die freien Lüste wagt. Und nun Italien! Heimat dieser Stanze,
So ivie du bist, ein ewiges Gedicht,
Mit deiner Tage goldnem Sonnenglanze,
Mit deiner Nächte Stcrnensilberlicht,
Entfalte meinem Helden deine ganze
Prachtfülle! Was bisher im Traumgesicht
Er nur geschaut, die Farben und Gestalten,
Laß es lebendig sich vor ihm entfalten. Wo ist ein Land, auf das mit reichern Gaben
Mutter Natur ihr großes Füllhorn leert,
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