Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.L. Geibels und F. A. v. Schacks sänttliche Werke. Perfektibilität des Menschengeschlechts glaubt und trotz seiner ursprünglichen Eine durchaus eigne Bahn schlagen, trotz der Beziehung, die zwischen ihnen L. Geibels und F. A. v. Schacks sänttliche Werke. Perfektibilität des Menschengeschlechts glaubt und trotz seiner ursprünglichen Eine durchaus eigne Bahn schlagen, trotz der Beziehung, die zwischen ihnen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0038" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154921"/> <fw type="header" place="top"> L. Geibels und F. A. v. Schacks sänttliche Werke.</fw><lb/> <p xml:id="ID_83" prev="#ID_82"> Perfektibilität des Menschengeschlechts glaubt und trotz seiner ursprünglichen<lb/> Sehnsucht nach den vergangenen goldnen Altern der Welt der Zukunft ver¬<lb/> traut, soll gleichfalls in Ehren gehalten werden. Und auch darin mag er Recht<lb/> haben, daß er fälschlich beschuldigt worden sei, in der ersten Hälfte des Gedichts<lb/> einem trüben Pessimismus, in der zweiten jenem Optimismus zu huldigen, den<lb/> die neuesten Elendsphilosophen ruchlos schelten. „Man kann, sagen wir mit<lb/> Schack selbst, den Jammer, welcher durch alles Leben und durch die ganze Ge¬<lb/> schichte bis auf den heutigen Tag geht, erkennen und lebhaft empfinden, ohne<lb/> deshalb der ersten dieser beiden Lehren zuzustimmen, aber wenn mau auf Grund<lb/> der neuesten Naturwissenschaft annimmt, daß der Mensch, der sich im Verlaufe<lb/> von Jahrhunderttausenden aus den untersten Formen des animalischen Lebens<lb/> emporgerungen, auch noch einer höheren Entwicklung entgegengehe, und daß dann<lb/> wie das Böse, so auch das Leiden auf der Welt sich mindern werde, wenn man<lb/> gegen das viele Gute und Schöne, das doch inmitten alles Weltelends schon<lb/> zu Tage gekommen ist, das Auge nicht verschließt und in ihm die Keime zu<lb/> einer noch reicheren Ernte für die Zukunft erblickt, so bekennt man sich dadurch<lb/> noch nicht zu der Leibnizschen These, die Voltaire so köstlich verspottet hat."<lb/> Wir rechten auch nicht mit dem Dichter, daß ihm die Retorte des Chemikers<lb/> und der Sezirtisch des Physiologen der heilige Bronnen sind, aus dem ihm Er¬<lb/> quickung quillt, sondern wir wünschten, daß das Erwachen des Dichters von<lb/> seinem orientalischen Traum, das Gelübde, welches ihn aufs neue an die Heimat<lb/> bindet, in der indes das Reich erstanden ist. noch viel mächtiger, siegfreudiger,<lb/> zukunftgewisser klänge und das Bild der Gegenwart die düstern Reminiscenzen<lb/> vergangener Jahrhunderte aufwöge.</p><lb/> <p xml:id="ID_84"> Eine durchaus eigne Bahn schlagen, trotz der Beziehung, die zwischen ihnen<lb/> und Byrons „Don Juan" und „Beppo" obwaltet, die gereimten Romane ein<lb/> in welchen der Dichter seine eignen Lebenseindrücke und Lebensanschauungen<lb/> am unbefangensten und unmittelbarsten walten läßt. Den Vorzug verdient<lb/> nach unsrer Empfindung hier „Durch alle Wetter," allein auch „Ebenbürtig,"<lb/> gleich dem erstem in prächtig wechselnden, reichen und bisweilen klangvoll<lb/> schönen Stanzen geschrieben, weist jene feinste Mischung von ehrlicher Begeisterung<lb/> und lächelnder Ironie auf, in der wir ein Hauptverdienst Schcickscher Dichtung<lb/> erblicken. Wo wir ein Stück aus diesen Dichtungen herausgreifen, da haben<lb/> wir den lebendigen, sich selbst und seinem innersten Zuge folgenden Schack vor<lb/> uns. Und die Art, wie er bald episch seine Helden vorführt, bald für sie, bald<lb/> in eigner Sache das Wort nimmt, ist köstlich. Die Fahrt des Prinzen Nikolas<lb/> nach Welschland mag hier statt aller Empfehlungen stehen und die Leser, welche<lb/> bei dem bloßem Titel „Roman in Versen" leise erschrecken, daran mahnen,<lb/> daß alles Ding in der Welt, vor allem alles künstlerische Ding, erst geprüft<lb/> werden will:</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0038]
L. Geibels und F. A. v. Schacks sänttliche Werke.
Perfektibilität des Menschengeschlechts glaubt und trotz seiner ursprünglichen
Sehnsucht nach den vergangenen goldnen Altern der Welt der Zukunft ver¬
traut, soll gleichfalls in Ehren gehalten werden. Und auch darin mag er Recht
haben, daß er fälschlich beschuldigt worden sei, in der ersten Hälfte des Gedichts
einem trüben Pessimismus, in der zweiten jenem Optimismus zu huldigen, den
die neuesten Elendsphilosophen ruchlos schelten. „Man kann, sagen wir mit
Schack selbst, den Jammer, welcher durch alles Leben und durch die ganze Ge¬
schichte bis auf den heutigen Tag geht, erkennen und lebhaft empfinden, ohne
deshalb der ersten dieser beiden Lehren zuzustimmen, aber wenn mau auf Grund
der neuesten Naturwissenschaft annimmt, daß der Mensch, der sich im Verlaufe
von Jahrhunderttausenden aus den untersten Formen des animalischen Lebens
emporgerungen, auch noch einer höheren Entwicklung entgegengehe, und daß dann
wie das Böse, so auch das Leiden auf der Welt sich mindern werde, wenn man
gegen das viele Gute und Schöne, das doch inmitten alles Weltelends schon
zu Tage gekommen ist, das Auge nicht verschließt und in ihm die Keime zu
einer noch reicheren Ernte für die Zukunft erblickt, so bekennt man sich dadurch
noch nicht zu der Leibnizschen These, die Voltaire so köstlich verspottet hat."
Wir rechten auch nicht mit dem Dichter, daß ihm die Retorte des Chemikers
und der Sezirtisch des Physiologen der heilige Bronnen sind, aus dem ihm Er¬
quickung quillt, sondern wir wünschten, daß das Erwachen des Dichters von
seinem orientalischen Traum, das Gelübde, welches ihn aufs neue an die Heimat
bindet, in der indes das Reich erstanden ist. noch viel mächtiger, siegfreudiger,
zukunftgewisser klänge und das Bild der Gegenwart die düstern Reminiscenzen
vergangener Jahrhunderte aufwöge.
Eine durchaus eigne Bahn schlagen, trotz der Beziehung, die zwischen ihnen
und Byrons „Don Juan" und „Beppo" obwaltet, die gereimten Romane ein
in welchen der Dichter seine eignen Lebenseindrücke und Lebensanschauungen
am unbefangensten und unmittelbarsten walten läßt. Den Vorzug verdient
nach unsrer Empfindung hier „Durch alle Wetter," allein auch „Ebenbürtig,"
gleich dem erstem in prächtig wechselnden, reichen und bisweilen klangvoll
schönen Stanzen geschrieben, weist jene feinste Mischung von ehrlicher Begeisterung
und lächelnder Ironie auf, in der wir ein Hauptverdienst Schcickscher Dichtung
erblicken. Wo wir ein Stück aus diesen Dichtungen herausgreifen, da haben
wir den lebendigen, sich selbst und seinem innersten Zuge folgenden Schack vor
uns. Und die Art, wie er bald episch seine Helden vorführt, bald für sie, bald
in eigner Sache das Wort nimmt, ist köstlich. Die Fahrt des Prinzen Nikolas
nach Welschland mag hier statt aller Empfehlungen stehen und die Leser, welche
bei dem bloßem Titel „Roman in Versen" leise erschrecken, daran mahnen,
daß alles Ding in der Welt, vor allem alles künstlerische Ding, erst geprüft
werden will:
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