Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Auf der Leiter des Glücks.

Ich wäre ein schlechter Mensch, wenn ich euch in der Sorge lassen wollte,
mich verfolgten Tvllwutsbcfürchtnngen, sagte Berthold; ich bin nach dieser Seite
ganz ohne Sorge.

Du hast ja auch selbst, bestärkte ihn darin der Fabrikant und atmete auf,
"uscrm Arzte gesagt, dir sei gleich auf der Stelle -- ich meine von Herminens
Jungfer -- alles an Maßnahmen nnr Denkbare zu Teil geworden; wir wollen
sie heute noch frage", ob ihr ein Geldgeschenk oder el" neues Kleid lieber sei,
ich hätte das gleich am ersten Tage thun sollen. Aber du willst ja nicht mit
i" die Villa. Was ist dir denn? Heraus mit der Sprache!

Berthold ließ sich noch ein paarmal zurede", ehe er den Mut faßte, zu
sprechen.

Endlich sagte er: Vater Hartig, mache dich auf das schlimmste gefaßt. Ich
liebe Hermine nicht. Es war ein Irrtum.

Junge! brauste der Fabrikant zornig auf nud ballte die Faust. Er mußte
sich setzen. Rufe deine Mutter. Aber nein. Ein Glück, daß sie nicht da ist.
Das ist ja der helle Wahnsinn. Gott sei Dank, daß uns niemand gehört hat.
Du liebst das Mädchen nicht und bringst sie dennoch in so dreister Weise um
ihren guten Ruf!

Ich war wie verzaubert.

Unsinn!

Es war doch nicht anders.

Schäme dich. Nur Feige reden solches Zeug. Verzaubert! Und du kommst
aus Amerika, aus dem Lande des Skeptizismus und der starken und selbstän¬
dige" Persönlichkeiten! Verzaubert! Da steht ein Buch i" der Bibliothek. I"
den, schiebt ein Ritter Iwein alle Thorheiten, die er begeht, ans Frau Minne.
Aber ein halbes Jahrtausend ist seitdem verstrichen. Heute kommt man mit
solchen Ausreden nicht mehr durch. Verzaubert oder uicht! Was ließest du
dich verzaubern? Hast du mir nicht Tag für Tag in den Ohren gelegen, ich
solle dir erlaube", um sie anzuhalten? Habe ich nicht wieder und wieder ge¬
sagt: Zeit lassen, Zeit lassen, Zeit lassen! Jetzt ist in allen Häusern bekannt,
daß Fräulein von Mockritz deine Braut ist. Jetzt heißt es: Wort halten!
Berthold, wie haben wir uns in dir getäuscht!

Frau Anna hatte in der Küche mit Besorgnis die Ohren gespitzt. So
lant war in der merkwürdige" Villa noch "le geredet worden. Sie faßte sich
in ihren Küchenmwrdnungen deshalb ganz kurz und eilte dann treppauf.

Kaspar, wo bist du? was giebt es? rief sie. Aber der Fabrikant hatte
schon den Kampfplatz geräumt. Nur Berthold stand noch händeringend da.
Nie war es ihm vorgekommen, mit mehr Kopflosigkeit an eine Unternehmung
gegangen zu sein. Alle Schuld traf ihn, einzig ihn, und der Vater hatte
Recht; nichts ließ sich gegen das, was der Vater sagte, einwenden. Welch
ein Wirrnis!


Grenzboten I. 1884. 4"
Auf der Leiter des Glücks.

Ich wäre ein schlechter Mensch, wenn ich euch in der Sorge lassen wollte,
mich verfolgten Tvllwutsbcfürchtnngen, sagte Berthold; ich bin nach dieser Seite
ganz ohne Sorge.

Du hast ja auch selbst, bestärkte ihn darin der Fabrikant und atmete auf,
»uscrm Arzte gesagt, dir sei gleich auf der Stelle — ich meine von Herminens
Jungfer — alles an Maßnahmen nnr Denkbare zu Teil geworden; wir wollen
sie heute noch frage», ob ihr ein Geldgeschenk oder el» neues Kleid lieber sei,
ich hätte das gleich am ersten Tage thun sollen. Aber du willst ja nicht mit
i» die Villa. Was ist dir denn? Heraus mit der Sprache!

Berthold ließ sich noch ein paarmal zurede», ehe er den Mut faßte, zu
sprechen.

Endlich sagte er: Vater Hartig, mache dich auf das schlimmste gefaßt. Ich
liebe Hermine nicht. Es war ein Irrtum.

Junge! brauste der Fabrikant zornig auf nud ballte die Faust. Er mußte
sich setzen. Rufe deine Mutter. Aber nein. Ein Glück, daß sie nicht da ist.
Das ist ja der helle Wahnsinn. Gott sei Dank, daß uns niemand gehört hat.
Du liebst das Mädchen nicht und bringst sie dennoch in so dreister Weise um
ihren guten Ruf!

Ich war wie verzaubert.

Unsinn!

Es war doch nicht anders.

Schäme dich. Nur Feige reden solches Zeug. Verzaubert! Und du kommst
aus Amerika, aus dem Lande des Skeptizismus und der starken und selbstän¬
dige» Persönlichkeiten! Verzaubert! Da steht ein Buch i» der Bibliothek. I»
den, schiebt ein Ritter Iwein alle Thorheiten, die er begeht, ans Frau Minne.
Aber ein halbes Jahrtausend ist seitdem verstrichen. Heute kommt man mit
solchen Ausreden nicht mehr durch. Verzaubert oder uicht! Was ließest du
dich verzaubern? Hast du mir nicht Tag für Tag in den Ohren gelegen, ich
solle dir erlaube«, um sie anzuhalten? Habe ich nicht wieder und wieder ge¬
sagt: Zeit lassen, Zeit lassen, Zeit lassen! Jetzt ist in allen Häusern bekannt,
daß Fräulein von Mockritz deine Braut ist. Jetzt heißt es: Wort halten!
Berthold, wie haben wir uns in dir getäuscht!

Frau Anna hatte in der Küche mit Besorgnis die Ohren gespitzt. So
lant war in der merkwürdige» Villa noch »le geredet worden. Sie faßte sich
in ihren Küchenmwrdnungen deshalb ganz kurz und eilte dann treppauf.

Kaspar, wo bist du? was giebt es? rief sie. Aber der Fabrikant hatte
schon den Kampfplatz geräumt. Nur Berthold stand noch händeringend da.
Nie war es ihm vorgekommen, mit mehr Kopflosigkeit an eine Unternehmung
gegangen zu sein. Alle Schuld traf ihn, einzig ihn, und der Vater hatte
Recht; nichts ließ sich gegen das, was der Vater sagte, einwenden. Welch
ein Wirrnis!


Grenzboten I. 1884. 4«
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0371" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155254"/>
          <fw type="header" place="top"> Auf der Leiter des Glücks.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1523"> Ich wäre ein schlechter Mensch, wenn ich euch in der Sorge lassen wollte,<lb/>
mich verfolgten Tvllwutsbcfürchtnngen, sagte Berthold; ich bin nach dieser Seite<lb/>
ganz ohne Sorge.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1524"> Du hast ja auch selbst, bestärkte ihn darin der Fabrikant und atmete auf,<lb/>
»uscrm Arzte gesagt, dir sei gleich auf der Stelle &#x2014; ich meine von Herminens<lb/>
Jungfer &#x2014; alles an Maßnahmen nnr Denkbare zu Teil geworden; wir wollen<lb/>
sie heute noch frage», ob ihr ein Geldgeschenk oder el» neues Kleid lieber sei,<lb/>
ich hätte das gleich am ersten Tage thun sollen. Aber du willst ja nicht mit<lb/>
i» die Villa.  Was ist dir denn? Heraus mit der Sprache!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1525"> Berthold ließ sich noch ein paarmal zurede», ehe er den Mut faßte, zu<lb/>
sprechen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1526"> Endlich sagte er: Vater Hartig, mache dich auf das schlimmste gefaßt. Ich<lb/>
liebe Hermine nicht.  Es war ein Irrtum.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1527"> Junge! brauste der Fabrikant zornig auf nud ballte die Faust. Er mußte<lb/>
sich setzen. Rufe deine Mutter. Aber nein. Ein Glück, daß sie nicht da ist.<lb/>
Das ist ja der helle Wahnsinn. Gott sei Dank, daß uns niemand gehört hat.<lb/>
Du liebst das Mädchen nicht und bringst sie dennoch in so dreister Weise um<lb/>
ihren guten Ruf!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1528"> Ich war wie verzaubert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1529"> Unsinn!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1530"> Es war doch nicht anders.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1531"> Schäme dich. Nur Feige reden solches Zeug. Verzaubert! Und du kommst<lb/>
aus Amerika, aus dem Lande des Skeptizismus und der starken und selbstän¬<lb/>
dige» Persönlichkeiten! Verzaubert! Da steht ein Buch i» der Bibliothek. I»<lb/>
den, schiebt ein Ritter Iwein alle Thorheiten, die er begeht, ans Frau Minne.<lb/>
Aber ein halbes Jahrtausend ist seitdem verstrichen. Heute kommt man mit<lb/>
solchen Ausreden nicht mehr durch. Verzaubert oder uicht! Was ließest du<lb/>
dich verzaubern? Hast du mir nicht Tag für Tag in den Ohren gelegen, ich<lb/>
solle dir erlaube«, um sie anzuhalten? Habe ich nicht wieder und wieder ge¬<lb/>
sagt: Zeit lassen, Zeit lassen, Zeit lassen! Jetzt ist in allen Häusern bekannt,<lb/>
daß Fräulein von Mockritz deine Braut ist. Jetzt heißt es: Wort halten!<lb/>
Berthold, wie haben wir uns in dir getäuscht!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1532"> Frau Anna hatte in der Küche mit Besorgnis die Ohren gespitzt. So<lb/>
lant war in der merkwürdige» Villa noch »le geredet worden. Sie faßte sich<lb/>
in ihren Küchenmwrdnungen deshalb ganz kurz und eilte dann treppauf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1533"> Kaspar, wo bist du? was giebt es? rief sie. Aber der Fabrikant hatte<lb/>
schon den Kampfplatz geräumt. Nur Berthold stand noch händeringend da.<lb/>
Nie war es ihm vorgekommen, mit mehr Kopflosigkeit an eine Unternehmung<lb/>
gegangen zu sein. Alle Schuld traf ihn, einzig ihn, und der Vater hatte<lb/>
Recht; nichts ließ sich gegen das, was der Vater sagte, einwenden. Welch<lb/>
ein Wirrnis!</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 1884. 4«</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0371] Auf der Leiter des Glücks. Ich wäre ein schlechter Mensch, wenn ich euch in der Sorge lassen wollte, mich verfolgten Tvllwutsbcfürchtnngen, sagte Berthold; ich bin nach dieser Seite ganz ohne Sorge. Du hast ja auch selbst, bestärkte ihn darin der Fabrikant und atmete auf, »uscrm Arzte gesagt, dir sei gleich auf der Stelle — ich meine von Herminens Jungfer — alles an Maßnahmen nnr Denkbare zu Teil geworden; wir wollen sie heute noch frage», ob ihr ein Geldgeschenk oder el» neues Kleid lieber sei, ich hätte das gleich am ersten Tage thun sollen. Aber du willst ja nicht mit i» die Villa. Was ist dir denn? Heraus mit der Sprache! Berthold ließ sich noch ein paarmal zurede», ehe er den Mut faßte, zu sprechen. Endlich sagte er: Vater Hartig, mache dich auf das schlimmste gefaßt. Ich liebe Hermine nicht. Es war ein Irrtum. Junge! brauste der Fabrikant zornig auf nud ballte die Faust. Er mußte sich setzen. Rufe deine Mutter. Aber nein. Ein Glück, daß sie nicht da ist. Das ist ja der helle Wahnsinn. Gott sei Dank, daß uns niemand gehört hat. Du liebst das Mädchen nicht und bringst sie dennoch in so dreister Weise um ihren guten Ruf! Ich war wie verzaubert. Unsinn! Es war doch nicht anders. Schäme dich. Nur Feige reden solches Zeug. Verzaubert! Und du kommst aus Amerika, aus dem Lande des Skeptizismus und der starken und selbstän¬ dige» Persönlichkeiten! Verzaubert! Da steht ein Buch i» der Bibliothek. I» den, schiebt ein Ritter Iwein alle Thorheiten, die er begeht, ans Frau Minne. Aber ein halbes Jahrtausend ist seitdem verstrichen. Heute kommt man mit solchen Ausreden nicht mehr durch. Verzaubert oder uicht! Was ließest du dich verzaubern? Hast du mir nicht Tag für Tag in den Ohren gelegen, ich solle dir erlaube«, um sie anzuhalten? Habe ich nicht wieder und wieder ge¬ sagt: Zeit lassen, Zeit lassen, Zeit lassen! Jetzt ist in allen Häusern bekannt, daß Fräulein von Mockritz deine Braut ist. Jetzt heißt es: Wort halten! Berthold, wie haben wir uns in dir getäuscht! Frau Anna hatte in der Küche mit Besorgnis die Ohren gespitzt. So lant war in der merkwürdige» Villa noch »le geredet worden. Sie faßte sich in ihren Küchenmwrdnungen deshalb ganz kurz und eilte dann treppauf. Kaspar, wo bist du? was giebt es? rief sie. Aber der Fabrikant hatte schon den Kampfplatz geräumt. Nur Berthold stand noch händeringend da. Nie war es ihm vorgekommen, mit mehr Kopflosigkeit an eine Unternehmung gegangen zu sein. Alle Schuld traf ihn, einzig ihn, und der Vater hatte Recht; nichts ließ sich gegen das, was der Vater sagte, einwenden. Welch ein Wirrnis! Grenzboten I. 1884. 4«

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/371
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/371>, abgerufen am 04.07.2024.