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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der Leiter des Glücks.

Frau Anna zog den wortlos ihren Fragen gegenüber Stehenden auf eine
Chaiselongue und brachte ihn durch Zureden und Streicheln endlich zum Aus-
sprechen.

Was sie erfuhr, war zunächst das Nämliche, was ihre" Gatten schon um
seine Fassung gebracht hatte, und ohne ihre Eau de Cologne-Flasche wäre sie
wohl kaum ihrer Sinne mächtig geblieben.

Aber eine Mutter muß sich in jeden Herzenswinkel ihres Kindes hinein¬
denken können, beherrschte sie sich endlich; las; mich alles erfahren, lieber Sohn.
Dn warst doch so glücklich! Wir hatten so gut für dich zu sorgen geglaubt!
Hermine ist so ganz, was in diese Räume hineinpaßt! Wie hätte sichs besser
treffen können!

So redete Frau Anna, und da der Sohn auf alles, was sie sagte, nur
die eine Antwort hatte: Ich habe mich dennoch getäuscht. Macht mich und sie
nicht fürs ganze Leben unglücklich! so belehrte ihr weiblicher Scharfsinn sie
endlich, daß sich eine andre Neigung des verzweifelnden Bräutigam? bemächtigt
haben müsse.

Nicht, daß ich wüßte, war die Antwort.

Doch, doch, bestand darauf Frau Anna.

Ich bin mir wirklich keines andern solchen Gefühls bewußt, beteuerte
Berthold, und er glaubte, nicht die Unwahrheit zu sagen.

Dann machst du mich erst recht traurig, rief Frau Anna; nichts Entsetz¬
licheres als ein Hagestolz! Wenn du diese Partie nicht willst, so sehe ich klar,
wie es werden wird. Du hast schon die Zeit des rechten Verliebens verpaßt.
Dein Kopf ist mit Rädern und Turbinen und Schrauben angefüllt. Wenn du
doch nie in die Fremde gezogen wärest, vor allem nicht nach Amerika!
Ich weiß ja, wie es da hergeht. Erst neulich hat mir dein Vater von einem
Staat vorgelesen, in welchem Tausende von Männern seit Jahr und Tag an¬
gesiedelt sind und wo noch kein einziges Ehepaar zu finden ist. -- Und ohne
daß sie es aussprach, gab es ihr bei dem Gedanken an das nun wieder hoff¬
nungslos öde "Enkelzimmer" einen solchen Stich ins Herz, daß sich ihre Augen
mit Thränen füllten.

Berthold reichte ihr die Hand.

Liebe Mutter, sagte er, du sorgst dich ohne Not. Ich habe nie früher
eine solche inbrünstige Sehnsucht mich einer recht stillen, einfachen, mich selbst
beruhigenden und abklärenden Hausfrau empfunden wie in den letzten Tagen.
Es wird sich eine solche finden, wenn ihr mir nur Zeit lassen wollt, mich selbst
erst wieder von dem Sturm, in dessen Wirbel ich hineingeraten war, zu erholen.

Sonderbar, sagte Frau Anna.

Es kam alles zu plötzlich.

Aber wie oft hat dein Vater gesagt: Zeit lasse", Zeit lassen! Du warst
ja nicht zu halten.


Auf der Leiter des Glücks.

Frau Anna zog den wortlos ihren Fragen gegenüber Stehenden auf eine
Chaiselongue und brachte ihn durch Zureden und Streicheln endlich zum Aus-
sprechen.

Was sie erfuhr, war zunächst das Nämliche, was ihre» Gatten schon um
seine Fassung gebracht hatte, und ohne ihre Eau de Cologne-Flasche wäre sie
wohl kaum ihrer Sinne mächtig geblieben.

Aber eine Mutter muß sich in jeden Herzenswinkel ihres Kindes hinein¬
denken können, beherrschte sie sich endlich; las; mich alles erfahren, lieber Sohn.
Dn warst doch so glücklich! Wir hatten so gut für dich zu sorgen geglaubt!
Hermine ist so ganz, was in diese Räume hineinpaßt! Wie hätte sichs besser
treffen können!

So redete Frau Anna, und da der Sohn auf alles, was sie sagte, nur
die eine Antwort hatte: Ich habe mich dennoch getäuscht. Macht mich und sie
nicht fürs ganze Leben unglücklich! so belehrte ihr weiblicher Scharfsinn sie
endlich, daß sich eine andre Neigung des verzweifelnden Bräutigam? bemächtigt
haben müsse.

Nicht, daß ich wüßte, war die Antwort.

Doch, doch, bestand darauf Frau Anna.

Ich bin mir wirklich keines andern solchen Gefühls bewußt, beteuerte
Berthold, und er glaubte, nicht die Unwahrheit zu sagen.

Dann machst du mich erst recht traurig, rief Frau Anna; nichts Entsetz¬
licheres als ein Hagestolz! Wenn du diese Partie nicht willst, so sehe ich klar,
wie es werden wird. Du hast schon die Zeit des rechten Verliebens verpaßt.
Dein Kopf ist mit Rädern und Turbinen und Schrauben angefüllt. Wenn du
doch nie in die Fremde gezogen wärest, vor allem nicht nach Amerika!
Ich weiß ja, wie es da hergeht. Erst neulich hat mir dein Vater von einem
Staat vorgelesen, in welchem Tausende von Männern seit Jahr und Tag an¬
gesiedelt sind und wo noch kein einziges Ehepaar zu finden ist. — Und ohne
daß sie es aussprach, gab es ihr bei dem Gedanken an das nun wieder hoff¬
nungslos öde „Enkelzimmer" einen solchen Stich ins Herz, daß sich ihre Augen
mit Thränen füllten.

Berthold reichte ihr die Hand.

Liebe Mutter, sagte er, du sorgst dich ohne Not. Ich habe nie früher
eine solche inbrünstige Sehnsucht mich einer recht stillen, einfachen, mich selbst
beruhigenden und abklärenden Hausfrau empfunden wie in den letzten Tagen.
Es wird sich eine solche finden, wenn ihr mir nur Zeit lassen wollt, mich selbst
erst wieder von dem Sturm, in dessen Wirbel ich hineingeraten war, zu erholen.

Sonderbar, sagte Frau Anna.

Es kam alles zu plötzlich.

Aber wie oft hat dein Vater gesagt: Zeit lasse», Zeit lassen! Du warst
ja nicht zu halten.


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[0372] Auf der Leiter des Glücks. Frau Anna zog den wortlos ihren Fragen gegenüber Stehenden auf eine Chaiselongue und brachte ihn durch Zureden und Streicheln endlich zum Aus- sprechen. Was sie erfuhr, war zunächst das Nämliche, was ihre» Gatten schon um seine Fassung gebracht hatte, und ohne ihre Eau de Cologne-Flasche wäre sie wohl kaum ihrer Sinne mächtig geblieben. Aber eine Mutter muß sich in jeden Herzenswinkel ihres Kindes hinein¬ denken können, beherrschte sie sich endlich; las; mich alles erfahren, lieber Sohn. Dn warst doch so glücklich! Wir hatten so gut für dich zu sorgen geglaubt! Hermine ist so ganz, was in diese Räume hineinpaßt! Wie hätte sichs besser treffen können! So redete Frau Anna, und da der Sohn auf alles, was sie sagte, nur die eine Antwort hatte: Ich habe mich dennoch getäuscht. Macht mich und sie nicht fürs ganze Leben unglücklich! so belehrte ihr weiblicher Scharfsinn sie endlich, daß sich eine andre Neigung des verzweifelnden Bräutigam? bemächtigt haben müsse. Nicht, daß ich wüßte, war die Antwort. Doch, doch, bestand darauf Frau Anna. Ich bin mir wirklich keines andern solchen Gefühls bewußt, beteuerte Berthold, und er glaubte, nicht die Unwahrheit zu sagen. Dann machst du mich erst recht traurig, rief Frau Anna; nichts Entsetz¬ licheres als ein Hagestolz! Wenn du diese Partie nicht willst, so sehe ich klar, wie es werden wird. Du hast schon die Zeit des rechten Verliebens verpaßt. Dein Kopf ist mit Rädern und Turbinen und Schrauben angefüllt. Wenn du doch nie in die Fremde gezogen wärest, vor allem nicht nach Amerika! Ich weiß ja, wie es da hergeht. Erst neulich hat mir dein Vater von einem Staat vorgelesen, in welchem Tausende von Männern seit Jahr und Tag an¬ gesiedelt sind und wo noch kein einziges Ehepaar zu finden ist. — Und ohne daß sie es aussprach, gab es ihr bei dem Gedanken an das nun wieder hoff¬ nungslos öde „Enkelzimmer" einen solchen Stich ins Herz, daß sich ihre Augen mit Thränen füllten. Berthold reichte ihr die Hand. Liebe Mutter, sagte er, du sorgst dich ohne Not. Ich habe nie früher eine solche inbrünstige Sehnsucht mich einer recht stillen, einfachen, mich selbst beruhigenden und abklärenden Hausfrau empfunden wie in den letzten Tagen. Es wird sich eine solche finden, wenn ihr mir nur Zeit lassen wollt, mich selbst erst wieder von dem Sturm, in dessen Wirbel ich hineingeraten war, zu erholen. Sonderbar, sagte Frau Anna. Es kam alles zu plötzlich. Aber wie oft hat dein Vater gesagt: Zeit lasse», Zeit lassen! Du warst ja nicht zu halten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/372>, abgerufen am 04.07.2024.