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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der Leiter des Glücks,

früh bei dem Major von Stobbe etwas auf den Busch zu klopfen. Ich mag
niemand weh thun, und die Umgebung, in der wir uns nun einmal befinden,
legt uns auch die Verpflichtung einer gewissen standesgemäßen Haltung auf.

Wieder die merkwürdige Villa und ihre Fesseln!

Liebe Eltern, sagte Berthold, ohne aufzublicken, wenn Ihr auf meine
Wünsche einiges Gewicht legen wollt, so unterbleibt jene Visite, bis ich ganz
wiederhergestellt bin.

Du meinst wegen des Pflasters ans deiner Backe, rief Frau Anna; aber
das steht dir ja garnicht übel, und dann, was hat eine Narbe, selbst im Ge¬
sicht, bei einem Manne zu bedeuten? So sehr auf das Äußere ist Frau von
Mockritz überhaupt nicht erpicht. Wißt Ihr was, Kinder? Ich gehe gleich noch
auf einen Sprung hinüber und bespreche alles mit meiner kleinen Hermine.
Den Major mit seinen ewigen Aktienprospekten brauchen wir garnicht erst zu
konsultiren.

Liebe Mutter, sagte Berthold wieder, ich bin seit jenem Abend meiner
Braut nicht zu Gesicht gekommen, und ich hatte meine Gründe dafür. Sie ist
sehr nervös und fiel damals in Ohnmacht, sobald man mich ins Haus schaffte.
Bis ich ganz wieder der Alte bin, möchte ich weder ihr noch ihrer Frau Mutter
unter die Augen kommen.

Das kann aber noch Wochen dauern, meinte der Fabrikant.

Umso besser!

Wieso umso besser? rief das Ehepaar.

Berthold schwieg.

Dahinter steckt etwas, forschte Kaspar Benedikt.

Kind! rief die Mutter, du fürchtest doch nicht etwa, dir könne wirklich ein
Unglück drohen? Das wäre ja entsetzlich! Und über ihre Wangen strömten
die Thränen.

Wasserscheu! entfuhrs nun auch dem Munde des Fabrikanten; du fürchtest,
der Hund sei oder werde noch toll? Schon die bloße Furcht soll ja die übelsten
Folgen haben können. Sei doch kein Kopfhänger. Ich habe gestern eine ganze
Stunde lang vom Zaune aus dem Treiben des Übclthäters zugesehen. Gott
sei Dank, er steckt in ganz heiler Haut. Wir fahren morgen, wie wir gehen
und stehen, zur Villa Mockritz. Man muß euch nur mit Bedenken kommen!
Aus einer Mücke wird gleich ein ganzer Schwarm.

Aber am nächsten Vormittage hatte sich der Mückenschwarm schon in eine
Wolke verwandelt, in der es blitzte und donnerte.

Vater, sagte der Amerikaner, zwingt mich nicht, diesen mir widerwärtigen
Weg zu machen. Es möchte übel ablaufen.

Du scheucht dich also wirklich vor dem Hunde? fragte der Fabrikant, und
seine Lippe zitterte; ihm hatte die ganze Nacht von Wasserscheu geträumt.


Auf der Leiter des Glücks,

früh bei dem Major von Stobbe etwas auf den Busch zu klopfen. Ich mag
niemand weh thun, und die Umgebung, in der wir uns nun einmal befinden,
legt uns auch die Verpflichtung einer gewissen standesgemäßen Haltung auf.

Wieder die merkwürdige Villa und ihre Fesseln!

Liebe Eltern, sagte Berthold, ohne aufzublicken, wenn Ihr auf meine
Wünsche einiges Gewicht legen wollt, so unterbleibt jene Visite, bis ich ganz
wiederhergestellt bin.

Du meinst wegen des Pflasters ans deiner Backe, rief Frau Anna; aber
das steht dir ja garnicht übel, und dann, was hat eine Narbe, selbst im Ge¬
sicht, bei einem Manne zu bedeuten? So sehr auf das Äußere ist Frau von
Mockritz überhaupt nicht erpicht. Wißt Ihr was, Kinder? Ich gehe gleich noch
auf einen Sprung hinüber und bespreche alles mit meiner kleinen Hermine.
Den Major mit seinen ewigen Aktienprospekten brauchen wir garnicht erst zu
konsultiren.

Liebe Mutter, sagte Berthold wieder, ich bin seit jenem Abend meiner
Braut nicht zu Gesicht gekommen, und ich hatte meine Gründe dafür. Sie ist
sehr nervös und fiel damals in Ohnmacht, sobald man mich ins Haus schaffte.
Bis ich ganz wieder der Alte bin, möchte ich weder ihr noch ihrer Frau Mutter
unter die Augen kommen.

Das kann aber noch Wochen dauern, meinte der Fabrikant.

Umso besser!

Wieso umso besser? rief das Ehepaar.

Berthold schwieg.

Dahinter steckt etwas, forschte Kaspar Benedikt.

Kind! rief die Mutter, du fürchtest doch nicht etwa, dir könne wirklich ein
Unglück drohen? Das wäre ja entsetzlich! Und über ihre Wangen strömten
die Thränen.

Wasserscheu! entfuhrs nun auch dem Munde des Fabrikanten; du fürchtest,
der Hund sei oder werde noch toll? Schon die bloße Furcht soll ja die übelsten
Folgen haben können. Sei doch kein Kopfhänger. Ich habe gestern eine ganze
Stunde lang vom Zaune aus dem Treiben des Übclthäters zugesehen. Gott
sei Dank, er steckt in ganz heiler Haut. Wir fahren morgen, wie wir gehen
und stehen, zur Villa Mockritz. Man muß euch nur mit Bedenken kommen!
Aus einer Mücke wird gleich ein ganzer Schwarm.

Aber am nächsten Vormittage hatte sich der Mückenschwarm schon in eine
Wolke verwandelt, in der es blitzte und donnerte.

Vater, sagte der Amerikaner, zwingt mich nicht, diesen mir widerwärtigen
Weg zu machen. Es möchte übel ablaufen.

Du scheucht dich also wirklich vor dem Hunde? fragte der Fabrikant, und
seine Lippe zitterte; ihm hatte die ganze Nacht von Wasserscheu geträumt.


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[0370] Auf der Leiter des Glücks, früh bei dem Major von Stobbe etwas auf den Busch zu klopfen. Ich mag niemand weh thun, und die Umgebung, in der wir uns nun einmal befinden, legt uns auch die Verpflichtung einer gewissen standesgemäßen Haltung auf. Wieder die merkwürdige Villa und ihre Fesseln! Liebe Eltern, sagte Berthold, ohne aufzublicken, wenn Ihr auf meine Wünsche einiges Gewicht legen wollt, so unterbleibt jene Visite, bis ich ganz wiederhergestellt bin. Du meinst wegen des Pflasters ans deiner Backe, rief Frau Anna; aber das steht dir ja garnicht übel, und dann, was hat eine Narbe, selbst im Ge¬ sicht, bei einem Manne zu bedeuten? So sehr auf das Äußere ist Frau von Mockritz überhaupt nicht erpicht. Wißt Ihr was, Kinder? Ich gehe gleich noch auf einen Sprung hinüber und bespreche alles mit meiner kleinen Hermine. Den Major mit seinen ewigen Aktienprospekten brauchen wir garnicht erst zu konsultiren. Liebe Mutter, sagte Berthold wieder, ich bin seit jenem Abend meiner Braut nicht zu Gesicht gekommen, und ich hatte meine Gründe dafür. Sie ist sehr nervös und fiel damals in Ohnmacht, sobald man mich ins Haus schaffte. Bis ich ganz wieder der Alte bin, möchte ich weder ihr noch ihrer Frau Mutter unter die Augen kommen. Das kann aber noch Wochen dauern, meinte der Fabrikant. Umso besser! Wieso umso besser? rief das Ehepaar. Berthold schwieg. Dahinter steckt etwas, forschte Kaspar Benedikt. Kind! rief die Mutter, du fürchtest doch nicht etwa, dir könne wirklich ein Unglück drohen? Das wäre ja entsetzlich! Und über ihre Wangen strömten die Thränen. Wasserscheu! entfuhrs nun auch dem Munde des Fabrikanten; du fürchtest, der Hund sei oder werde noch toll? Schon die bloße Furcht soll ja die übelsten Folgen haben können. Sei doch kein Kopfhänger. Ich habe gestern eine ganze Stunde lang vom Zaune aus dem Treiben des Übclthäters zugesehen. Gott sei Dank, er steckt in ganz heiler Haut. Wir fahren morgen, wie wir gehen und stehen, zur Villa Mockritz. Man muß euch nur mit Bedenken kommen! Aus einer Mücke wird gleich ein ganzer Schwarm. Aber am nächsten Vormittage hatte sich der Mückenschwarm schon in eine Wolke verwandelt, in der es blitzte und donnerte. Vater, sagte der Amerikaner, zwingt mich nicht, diesen mir widerwärtigen Weg zu machen. Es möchte übel ablaufen. Du scheucht dich also wirklich vor dem Hunde? fragte der Fabrikant, und seine Lippe zitterte; ihm hatte die ganze Nacht von Wasserscheu geträumt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/370>, abgerufen am 04.07.2024.