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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der Leiter des Glücks.

dem Wunsche ihres Verlobten, sie sehen und sprechen zu dürfen, nicht die Rück¬
sichten auf die Gesellschaft in schroffer Weise entgegensetzt. Nun, geschehen ist
geschehen. Sie haben beide, der verehrte Herr Papa wie die liebe gute Frau
Mama, ohne Zweifel alles aufgeboten, um diese heimlichen Stelldicheins zu
hintertreiben. Es ist Ihnen nicht gelungen. Bisons domus mirs an marons
jöu! Apropos, wann hatten Sie gedacht, daß die Hochzeit sein soll? Mein
Töchterchen spricht mir von einem unglaublich nahen Termin; Ihr Berthold
sei als Ingenieur eben kein Freund des alten ehrbaren Postkutschenteinpos.
Nun, kommt Zeit, kommt Rat.

Und man empfahl sich, ohne daß dem Ehepaare Zeit gelassen war, sich
wegen des Geschehenlassens jener Vormittagsstelldichcins zu rechtfertigen, was
ihm freilich schwer geworden wäre, denn Frau Anna hatte selbst mit dazu ge¬
than, und Kaspar Benedikt war der Meinung gewesen, er dürfe dem vornehm
erzogenen Fräulein nicht seine eignen spießbürgerlichen Ansichten und Grund¬
sätze aufdrängen, ebensowenig wie es ihm zustehe, seinen Sohn zu gängeln.

Am Abend dieses Tages gab es zwischen dem Ehepaar und dem Adoptiv-
sohn ein kleines Scharmützel.

Wir haben den Rücken herhalten müssen, begann Frau Anna, nachdem
über das Eintreffen und den sonst sehr freundlichen Besuch der Frau von Mockritz
einige Worte gewechselt worden waren; sie hätte gewünscht, daß diese heimlichen
Mvvrwiesenvisiteu unterblieben wären. Was sollten wir sagen? Sie hat Recht,
über dergleichen wird leicht gelästert. Wir haben die Strafpredigt über uns
ergehen lassen. Aber, lieber Sohn, mache dich darauf gefaßt, daß sie noch zur
nider Schule gehört. Widersprich ihr nicht, wenn sie morgen etwas darüber
fallen läßt.

Da Berthold keine Antwort gab, nahm anch Kaspar Benedikt das Wort.
Wenn es eine wirkliche Strafpredigt gewesen wäre, schränkte er Frau Annas
Bemerkungen ein, so Hütte ich schon nicht dazu geschwiegen, denn die Briefe
der Frau von Mockritz umgingen immer so sehr die Hauptsache, daß wir an¬
nehmen mußten, die gute Hermine wisse schon selbst genau, was sie zu thun
und zu lassen habe. Wie konnten wir ihr da Vorschriften machen wollen?
Ich habe in viele vornehme Häuser hineingeguckt, aber was sich nach adlichen
Begriffen ziemt oder nicht ziemt, das ist mir in den meisten Fällen durchaus
unklar geblieben. Morgen sollst du, mein Sohn, mit mir eine förmliche An-
tragsvisite machen. Es versteht sich, daß wir zu der von Frau von Mockritz
bestimmten Stunde hinüberfahren. Aber darf uns deine Mutter begleiten oder
nicht? Gehen wir in Frack und weißer Binde oder nicht? Stecke ich meinen
Orden an oder nicht? Hast du überhaupt einen Frack, und wird man andern¬
falls die brave Frau nicht verletzen, wenn man im Gehrock kommt? Sie ist
Witwe und, ihre Verhältnisse sind nicht brillant. Das ist ein Grund mehr,
ihr jede Rücksicht zu erweisen, auf die sie Anspruch hat. Ich habe Lust, morgen


Auf der Leiter des Glücks.

dem Wunsche ihres Verlobten, sie sehen und sprechen zu dürfen, nicht die Rück¬
sichten auf die Gesellschaft in schroffer Weise entgegensetzt. Nun, geschehen ist
geschehen. Sie haben beide, der verehrte Herr Papa wie die liebe gute Frau
Mama, ohne Zweifel alles aufgeboten, um diese heimlichen Stelldicheins zu
hintertreiben. Es ist Ihnen nicht gelungen. Bisons domus mirs an marons
jöu! Apropos, wann hatten Sie gedacht, daß die Hochzeit sein soll? Mein
Töchterchen spricht mir von einem unglaublich nahen Termin; Ihr Berthold
sei als Ingenieur eben kein Freund des alten ehrbaren Postkutschenteinpos.
Nun, kommt Zeit, kommt Rat.

Und man empfahl sich, ohne daß dem Ehepaare Zeit gelassen war, sich
wegen des Geschehenlassens jener Vormittagsstelldichcins zu rechtfertigen, was
ihm freilich schwer geworden wäre, denn Frau Anna hatte selbst mit dazu ge¬
than, und Kaspar Benedikt war der Meinung gewesen, er dürfe dem vornehm
erzogenen Fräulein nicht seine eignen spießbürgerlichen Ansichten und Grund¬
sätze aufdrängen, ebensowenig wie es ihm zustehe, seinen Sohn zu gängeln.

Am Abend dieses Tages gab es zwischen dem Ehepaar und dem Adoptiv-
sohn ein kleines Scharmützel.

Wir haben den Rücken herhalten müssen, begann Frau Anna, nachdem
über das Eintreffen und den sonst sehr freundlichen Besuch der Frau von Mockritz
einige Worte gewechselt worden waren; sie hätte gewünscht, daß diese heimlichen
Mvvrwiesenvisiteu unterblieben wären. Was sollten wir sagen? Sie hat Recht,
über dergleichen wird leicht gelästert. Wir haben die Strafpredigt über uns
ergehen lassen. Aber, lieber Sohn, mache dich darauf gefaßt, daß sie noch zur
nider Schule gehört. Widersprich ihr nicht, wenn sie morgen etwas darüber
fallen läßt.

Da Berthold keine Antwort gab, nahm anch Kaspar Benedikt das Wort.
Wenn es eine wirkliche Strafpredigt gewesen wäre, schränkte er Frau Annas
Bemerkungen ein, so Hütte ich schon nicht dazu geschwiegen, denn die Briefe
der Frau von Mockritz umgingen immer so sehr die Hauptsache, daß wir an¬
nehmen mußten, die gute Hermine wisse schon selbst genau, was sie zu thun
und zu lassen habe. Wie konnten wir ihr da Vorschriften machen wollen?
Ich habe in viele vornehme Häuser hineingeguckt, aber was sich nach adlichen
Begriffen ziemt oder nicht ziemt, das ist mir in den meisten Fällen durchaus
unklar geblieben. Morgen sollst du, mein Sohn, mit mir eine förmliche An-
tragsvisite machen. Es versteht sich, daß wir zu der von Frau von Mockritz
bestimmten Stunde hinüberfahren. Aber darf uns deine Mutter begleiten oder
nicht? Gehen wir in Frack und weißer Binde oder nicht? Stecke ich meinen
Orden an oder nicht? Hast du überhaupt einen Frack, und wird man andern¬
falls die brave Frau nicht verletzen, wenn man im Gehrock kommt? Sie ist
Witwe und, ihre Verhältnisse sind nicht brillant. Das ist ein Grund mehr,
ihr jede Rücksicht zu erweisen, auf die sie Anspruch hat. Ich habe Lust, morgen


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[0369] Auf der Leiter des Glücks. dem Wunsche ihres Verlobten, sie sehen und sprechen zu dürfen, nicht die Rück¬ sichten auf die Gesellschaft in schroffer Weise entgegensetzt. Nun, geschehen ist geschehen. Sie haben beide, der verehrte Herr Papa wie die liebe gute Frau Mama, ohne Zweifel alles aufgeboten, um diese heimlichen Stelldicheins zu hintertreiben. Es ist Ihnen nicht gelungen. Bisons domus mirs an marons jöu! Apropos, wann hatten Sie gedacht, daß die Hochzeit sein soll? Mein Töchterchen spricht mir von einem unglaublich nahen Termin; Ihr Berthold sei als Ingenieur eben kein Freund des alten ehrbaren Postkutschenteinpos. Nun, kommt Zeit, kommt Rat. Und man empfahl sich, ohne daß dem Ehepaare Zeit gelassen war, sich wegen des Geschehenlassens jener Vormittagsstelldichcins zu rechtfertigen, was ihm freilich schwer geworden wäre, denn Frau Anna hatte selbst mit dazu ge¬ than, und Kaspar Benedikt war der Meinung gewesen, er dürfe dem vornehm erzogenen Fräulein nicht seine eignen spießbürgerlichen Ansichten und Grund¬ sätze aufdrängen, ebensowenig wie es ihm zustehe, seinen Sohn zu gängeln. Am Abend dieses Tages gab es zwischen dem Ehepaar und dem Adoptiv- sohn ein kleines Scharmützel. Wir haben den Rücken herhalten müssen, begann Frau Anna, nachdem über das Eintreffen und den sonst sehr freundlichen Besuch der Frau von Mockritz einige Worte gewechselt worden waren; sie hätte gewünscht, daß diese heimlichen Mvvrwiesenvisiteu unterblieben wären. Was sollten wir sagen? Sie hat Recht, über dergleichen wird leicht gelästert. Wir haben die Strafpredigt über uns ergehen lassen. Aber, lieber Sohn, mache dich darauf gefaßt, daß sie noch zur nider Schule gehört. Widersprich ihr nicht, wenn sie morgen etwas darüber fallen läßt. Da Berthold keine Antwort gab, nahm anch Kaspar Benedikt das Wort. Wenn es eine wirkliche Strafpredigt gewesen wäre, schränkte er Frau Annas Bemerkungen ein, so Hütte ich schon nicht dazu geschwiegen, denn die Briefe der Frau von Mockritz umgingen immer so sehr die Hauptsache, daß wir an¬ nehmen mußten, die gute Hermine wisse schon selbst genau, was sie zu thun und zu lassen habe. Wie konnten wir ihr da Vorschriften machen wollen? Ich habe in viele vornehme Häuser hineingeguckt, aber was sich nach adlichen Begriffen ziemt oder nicht ziemt, das ist mir in den meisten Fällen durchaus unklar geblieben. Morgen sollst du, mein Sohn, mit mir eine förmliche An- tragsvisite machen. Es versteht sich, daß wir zu der von Frau von Mockritz bestimmten Stunde hinüberfahren. Aber darf uns deine Mutter begleiten oder nicht? Gehen wir in Frack und weißer Binde oder nicht? Stecke ich meinen Orden an oder nicht? Hast du überhaupt einen Frack, und wird man andern¬ falls die brave Frau nicht verletzen, wenn man im Gehrock kommt? Sie ist Witwe und, ihre Verhältnisse sind nicht brillant. Das ist ein Grund mehr, ihr jede Rücksicht zu erweisen, auf die sie Anspruch hat. Ich habe Lust, morgen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/369>, abgerufen am 30.06.2024.