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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Mode und Patriotismus.

zösischer Spitzen noch nicht zu denken, man sorgte zunächst für ihren Absatz im
Lande selbst, schloß fremdes Fabrikat aus n"d gelangte erst allmählich dahin,
den Kampf mit den belgischen Kanten auch im Auslande aufnehmen zu können.
Heute sind die militärischen und diplomatischen Erfolge auf deutscher Seite, auch
eine nationale wirtschaftliche Politik wird eingeschlagen; die aber erfordert frei¬
willige, auf die großen Gedanken verständnisvoll eingehende Mitwirkung. Zu
solcher die Frauen aufzurufen, heißt nicht sie kränken, sondern sie ehren.

Und wer bringt denn gegenwärtig die neuen Moden auf und verbreitet
sie? Kourtiscmen, namentlich solche, welche außerdem Theaterprinzessinnen sind.
Wenn es einer solchen Person einfällt, eine Änderung am Kleiderschnitt vorzu¬
nehmen, welche ihre Reize erhöht oder ein Gebrechen maskirt, oder wenn
sie -- für gutes Honorar -- einen neuen Stoff, eine neue Farbennüance auf
die Bretter bringt, so bemächtigt sich der eleganten Damenwelt des zivilistrten
Europa ein brennendes Verlangen, jener Person so ähnlich als möglich zu
werden -- äußerlich, wie sich von selbst versteht. Ist das notwendig? Ist das
würdig? Und dabei begegnet Deutschen und Engländerinnen noch so häufig
mehr als ein besondres Malheur. Wir haben höchst respektable Damen in
Kostümen gesehen, welche die anständige Pariserin ihren Erfinderinnen nicht
nachmacht; viel häufiger freilich werden die Moden acceptirt ohne Prüfung, für
welchen Zweck sie ersonnen wurden, zu welchem Wuchs, welcher Haut- und
Haarfarbe sie passen. Die Südländerinnen, das läßt sich nun einmal nicht
ändern, haben mehr angebornen Schick und treffen viel sicherer, was ihnen
steht -- trotz der Vorliebe für "schreiende Farben," welche von Misses und
ältern Fräuleins gerügt zu werden pflegt. Umso dringender ist für unsre
Frauen die Ausforderung, neuen Moden gegenüber bedächtig zu sein. Wenn
sie sich felbst scheu könnten: natürlich nicht während der Herrschaft einer Mode,
sondern nach deren Verdrängung! Wenn sie an sich selbst vorüberzogen, einmal
im Reifrock (der von der Scmitäts- und der Sittenpolizei gemeinschaftlich ver¬
boten werden sollte, aber, wie man sagt, nächstens wieder anrücken wird, obgleich
keine junge Fürstin so närrisch ist, sich ihrer Hoffnungen zu schämen), dann mit
zusammengeschnürten Knien, bald mit der Schleppe den Staub zusammenkehrend,
bald kurzgeschürzt wie eine Bajadere, heute ein winziges Hütchen auf einem
Haarturme balancirend, morgen im Nacken und übermorgen auf der Nase, drei¬
zollhohe Absätze, nicht einmal unter der Ferse, sondern unter dem Fußblatte,
den Leib zusammengepreßt zum schwersten Nachteil der eignen und der Ge¬
sundheit künftiger Generationen -- doch wo fände man ein Ende des Unsinns!

Wir erwarten gegen diese Ausführungen Protest von zwei Seiten. Hier
wird man rufen: Wir machen ja nicht jede Narrheit auf Kommando von Paris
mit, nur mit Auswahl und auch dann nur mit Maß. Darauf antworten wir,
daß die Bemerkungen nur auf diejenigen Frauen gehen, auf welche sie passen,
und daß wir bereit sind, Generalabbitte zu leisten, sobald man uns beweist,


Mode und Patriotismus.

zösischer Spitzen noch nicht zu denken, man sorgte zunächst für ihren Absatz im
Lande selbst, schloß fremdes Fabrikat aus n»d gelangte erst allmählich dahin,
den Kampf mit den belgischen Kanten auch im Auslande aufnehmen zu können.
Heute sind die militärischen und diplomatischen Erfolge auf deutscher Seite, auch
eine nationale wirtschaftliche Politik wird eingeschlagen; die aber erfordert frei¬
willige, auf die großen Gedanken verständnisvoll eingehende Mitwirkung. Zu
solcher die Frauen aufzurufen, heißt nicht sie kränken, sondern sie ehren.

Und wer bringt denn gegenwärtig die neuen Moden auf und verbreitet
sie? Kourtiscmen, namentlich solche, welche außerdem Theaterprinzessinnen sind.
Wenn es einer solchen Person einfällt, eine Änderung am Kleiderschnitt vorzu¬
nehmen, welche ihre Reize erhöht oder ein Gebrechen maskirt, oder wenn
sie — für gutes Honorar — einen neuen Stoff, eine neue Farbennüance auf
die Bretter bringt, so bemächtigt sich der eleganten Damenwelt des zivilistrten
Europa ein brennendes Verlangen, jener Person so ähnlich als möglich zu
werden — äußerlich, wie sich von selbst versteht. Ist das notwendig? Ist das
würdig? Und dabei begegnet Deutschen und Engländerinnen noch so häufig
mehr als ein besondres Malheur. Wir haben höchst respektable Damen in
Kostümen gesehen, welche die anständige Pariserin ihren Erfinderinnen nicht
nachmacht; viel häufiger freilich werden die Moden acceptirt ohne Prüfung, für
welchen Zweck sie ersonnen wurden, zu welchem Wuchs, welcher Haut- und
Haarfarbe sie passen. Die Südländerinnen, das läßt sich nun einmal nicht
ändern, haben mehr angebornen Schick und treffen viel sicherer, was ihnen
steht — trotz der Vorliebe für „schreiende Farben," welche von Misses und
ältern Fräuleins gerügt zu werden pflegt. Umso dringender ist für unsre
Frauen die Ausforderung, neuen Moden gegenüber bedächtig zu sein. Wenn
sie sich felbst scheu könnten: natürlich nicht während der Herrschaft einer Mode,
sondern nach deren Verdrängung! Wenn sie an sich selbst vorüberzogen, einmal
im Reifrock (der von der Scmitäts- und der Sittenpolizei gemeinschaftlich ver¬
boten werden sollte, aber, wie man sagt, nächstens wieder anrücken wird, obgleich
keine junge Fürstin so närrisch ist, sich ihrer Hoffnungen zu schämen), dann mit
zusammengeschnürten Knien, bald mit der Schleppe den Staub zusammenkehrend,
bald kurzgeschürzt wie eine Bajadere, heute ein winziges Hütchen auf einem
Haarturme balancirend, morgen im Nacken und übermorgen auf der Nase, drei¬
zollhohe Absätze, nicht einmal unter der Ferse, sondern unter dem Fußblatte,
den Leib zusammengepreßt zum schwersten Nachteil der eignen und der Ge¬
sundheit künftiger Generationen — doch wo fände man ein Ende des Unsinns!

Wir erwarten gegen diese Ausführungen Protest von zwei Seiten. Hier
wird man rufen: Wir machen ja nicht jede Narrheit auf Kommando von Paris
mit, nur mit Auswahl und auch dann nur mit Maß. Darauf antworten wir,
daß die Bemerkungen nur auf diejenigen Frauen gehen, auf welche sie passen,
und daß wir bereit sind, Generalabbitte zu leisten, sobald man uns beweist,


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[0361] Mode und Patriotismus. zösischer Spitzen noch nicht zu denken, man sorgte zunächst für ihren Absatz im Lande selbst, schloß fremdes Fabrikat aus n»d gelangte erst allmählich dahin, den Kampf mit den belgischen Kanten auch im Auslande aufnehmen zu können. Heute sind die militärischen und diplomatischen Erfolge auf deutscher Seite, auch eine nationale wirtschaftliche Politik wird eingeschlagen; die aber erfordert frei¬ willige, auf die großen Gedanken verständnisvoll eingehende Mitwirkung. Zu solcher die Frauen aufzurufen, heißt nicht sie kränken, sondern sie ehren. Und wer bringt denn gegenwärtig die neuen Moden auf und verbreitet sie? Kourtiscmen, namentlich solche, welche außerdem Theaterprinzessinnen sind. Wenn es einer solchen Person einfällt, eine Änderung am Kleiderschnitt vorzu¬ nehmen, welche ihre Reize erhöht oder ein Gebrechen maskirt, oder wenn sie — für gutes Honorar — einen neuen Stoff, eine neue Farbennüance auf die Bretter bringt, so bemächtigt sich der eleganten Damenwelt des zivilistrten Europa ein brennendes Verlangen, jener Person so ähnlich als möglich zu werden — äußerlich, wie sich von selbst versteht. Ist das notwendig? Ist das würdig? Und dabei begegnet Deutschen und Engländerinnen noch so häufig mehr als ein besondres Malheur. Wir haben höchst respektable Damen in Kostümen gesehen, welche die anständige Pariserin ihren Erfinderinnen nicht nachmacht; viel häufiger freilich werden die Moden acceptirt ohne Prüfung, für welchen Zweck sie ersonnen wurden, zu welchem Wuchs, welcher Haut- und Haarfarbe sie passen. Die Südländerinnen, das läßt sich nun einmal nicht ändern, haben mehr angebornen Schick und treffen viel sicherer, was ihnen steht — trotz der Vorliebe für „schreiende Farben," welche von Misses und ältern Fräuleins gerügt zu werden pflegt. Umso dringender ist für unsre Frauen die Ausforderung, neuen Moden gegenüber bedächtig zu sein. Wenn sie sich felbst scheu könnten: natürlich nicht während der Herrschaft einer Mode, sondern nach deren Verdrängung! Wenn sie an sich selbst vorüberzogen, einmal im Reifrock (der von der Scmitäts- und der Sittenpolizei gemeinschaftlich ver¬ boten werden sollte, aber, wie man sagt, nächstens wieder anrücken wird, obgleich keine junge Fürstin so närrisch ist, sich ihrer Hoffnungen zu schämen), dann mit zusammengeschnürten Knien, bald mit der Schleppe den Staub zusammenkehrend, bald kurzgeschürzt wie eine Bajadere, heute ein winziges Hütchen auf einem Haarturme balancirend, morgen im Nacken und übermorgen auf der Nase, drei¬ zollhohe Absätze, nicht einmal unter der Ferse, sondern unter dem Fußblatte, den Leib zusammengepreßt zum schwersten Nachteil der eignen und der Ge¬ sundheit künftiger Generationen — doch wo fände man ein Ende des Unsinns! Wir erwarten gegen diese Ausführungen Protest von zwei Seiten. Hier wird man rufen: Wir machen ja nicht jede Narrheit auf Kommando von Paris mit, nur mit Auswahl und auch dann nur mit Maß. Darauf antworten wir, daß die Bemerkungen nur auf diejenigen Frauen gehen, auf welche sie passen, und daß wir bereit sind, Generalabbitte zu leisten, sobald man uns beweist,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/361>, abgerufen am 02.07.2024.