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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Mode und Patriotismus.

kehrte man allmählich zur europäisch"! Tracht zurück. Gleichwohl scheint die
Bewegung nicht ohne Nachwirkung geblieben zu sein. Wenigstens hören wir,
daß bei allen festlichen Anlässen, auch am Wiener Hofe, Magyaren und gali-
zische Polen nur in ihren malerischen Kostümen erscheinen, und daß der Mittel¬
stand im Innern des Landes nicht selten seinem einfacheren treu bleibt.

Die Möglichkeit eines nachhaltigen Widerstandes ist mithin nicht zu be-
streiten. Und haben wir denn nicht in Deutschland selbst das Beispiel? Von
der Männerwelt kann man nur mit einer gewissen Einschränkung behaupten,
daß sie sich ihre Kleidermode noch von Paris vorschreiben lasse. Das Jahr
1848 hat in dieser Beziehung einen großen Umschwung zuwege gebracht, dessen
wir uns für gewöhnlich ebensowenig bewußt werden wie andrer Wandlungen
im soziale" Leben. Die Zahl der Männer, welche sich in ihrem Anzüge nach
dem Pariser Modejournal richten, ist im Vergleich mit der Zeit vor dreißig bis
vierzig Jahren sehr gering, die meisten lassen sich mir noch den "Gesellschafts-
anzug" aufnötigen und tragen sonst anstatt des anliegenden Rockes und des
Cylinders die Joppe und den breitkrempigen Hut, die beiden Attribute, an
welchen der Pariser den Deutschen erkennt. Zu dieser Umwälzung ist kein
Kongreß, keine Koalition der Vertreter der beteiligten Industriezweige notwendig
gewesen, der "Konsument" hat sich gegen die Diktatur des Schneiders und des
Hutmachers aufgelehnt und die Mode gezwungen, ans die Bequemlichkeit und
den Geschmack derer, welche die Kleider tragen sollen, Rücksicht zu nehmen. Nicht
mehr, ja nicht einmal soviel wird nun auch von den Frauen verlangt, und wir
vermögen hierin nicht eine unbillige Zumutung zu erkennen. Sie sollen sich weder
eine stabile Nationaltracht auferlegen, noch sich mit Absicht altfränkisch tragen,
was ja keine Befreiung, sondern nur ein Nachsinken hinter der Mode wäre. Sie
sollen nur aufhören, jede unsinnige, ungesunde oder unanständige Neuerung, die
von Paris kommt, mitzumachen und womöglich noch zu übertreiben; sie sollen
den bescheidnen Mut aufbringen, sich dem Naserümpfen einiger Närrinnen aus¬
zusetzen und die heimische Industrie zu fördern, anstatt sich zu rühmen: "Wir
beziehen alles aus Paris!"

Es ist bekannt, daß die Kaiserin Eugenie als Königin der Mode sich keineswegs
ausschließlich vou der Sorge um ihre persönliche Erscheinung leiten ließ, sondern
häufig auch von der Absicht, französischen Industriezweigen emporzuhelfen, wie
ihr das z. B. seinerzeit mit der Handwebcrei aufs glänzendste gelungen ist.
Wenn man uns nun sagt, solche und ähnliche Bemühungen können nur Erfolg
haben, wenn sie von dem Hauptquartier der Mode ausgehen, so begiebt man
sich in einen oireulns vitioMs. Denn ist es unbestreitbar, daß Frankreich seine
Führerrolle den Kriegen und der Politik Ludwigs XIV. zu verdanken hat, so
gehörten eben zu dieser Politik auch die mannichfaltigen Maßnahmen zur
Hebung und Kräftigung des französischen Gewerbfleißes. Als am Hofe die
points as ?rMvs in die Mode gebracht wurden, war an eine Ausfuhr frau-


Mode und Patriotismus.

kehrte man allmählich zur europäisch«! Tracht zurück. Gleichwohl scheint die
Bewegung nicht ohne Nachwirkung geblieben zu sein. Wenigstens hören wir,
daß bei allen festlichen Anlässen, auch am Wiener Hofe, Magyaren und gali-
zische Polen nur in ihren malerischen Kostümen erscheinen, und daß der Mittel¬
stand im Innern des Landes nicht selten seinem einfacheren treu bleibt.

Die Möglichkeit eines nachhaltigen Widerstandes ist mithin nicht zu be-
streiten. Und haben wir denn nicht in Deutschland selbst das Beispiel? Von
der Männerwelt kann man nur mit einer gewissen Einschränkung behaupten,
daß sie sich ihre Kleidermode noch von Paris vorschreiben lasse. Das Jahr
1848 hat in dieser Beziehung einen großen Umschwung zuwege gebracht, dessen
wir uns für gewöhnlich ebensowenig bewußt werden wie andrer Wandlungen
im soziale» Leben. Die Zahl der Männer, welche sich in ihrem Anzüge nach
dem Pariser Modejournal richten, ist im Vergleich mit der Zeit vor dreißig bis
vierzig Jahren sehr gering, die meisten lassen sich mir noch den „Gesellschafts-
anzug" aufnötigen und tragen sonst anstatt des anliegenden Rockes und des
Cylinders die Joppe und den breitkrempigen Hut, die beiden Attribute, an
welchen der Pariser den Deutschen erkennt. Zu dieser Umwälzung ist kein
Kongreß, keine Koalition der Vertreter der beteiligten Industriezweige notwendig
gewesen, der „Konsument" hat sich gegen die Diktatur des Schneiders und des
Hutmachers aufgelehnt und die Mode gezwungen, ans die Bequemlichkeit und
den Geschmack derer, welche die Kleider tragen sollen, Rücksicht zu nehmen. Nicht
mehr, ja nicht einmal soviel wird nun auch von den Frauen verlangt, und wir
vermögen hierin nicht eine unbillige Zumutung zu erkennen. Sie sollen sich weder
eine stabile Nationaltracht auferlegen, noch sich mit Absicht altfränkisch tragen,
was ja keine Befreiung, sondern nur ein Nachsinken hinter der Mode wäre. Sie
sollen nur aufhören, jede unsinnige, ungesunde oder unanständige Neuerung, die
von Paris kommt, mitzumachen und womöglich noch zu übertreiben; sie sollen
den bescheidnen Mut aufbringen, sich dem Naserümpfen einiger Närrinnen aus¬
zusetzen und die heimische Industrie zu fördern, anstatt sich zu rühmen: „Wir
beziehen alles aus Paris!"

Es ist bekannt, daß die Kaiserin Eugenie als Königin der Mode sich keineswegs
ausschließlich vou der Sorge um ihre persönliche Erscheinung leiten ließ, sondern
häufig auch von der Absicht, französischen Industriezweigen emporzuhelfen, wie
ihr das z. B. seinerzeit mit der Handwebcrei aufs glänzendste gelungen ist.
Wenn man uns nun sagt, solche und ähnliche Bemühungen können nur Erfolg
haben, wenn sie von dem Hauptquartier der Mode ausgehen, so begiebt man
sich in einen oireulns vitioMs. Denn ist es unbestreitbar, daß Frankreich seine
Führerrolle den Kriegen und der Politik Ludwigs XIV. zu verdanken hat, so
gehörten eben zu dieser Politik auch die mannichfaltigen Maßnahmen zur
Hebung und Kräftigung des französischen Gewerbfleißes. Als am Hofe die
points as ?rMvs in die Mode gebracht wurden, war an eine Ausfuhr frau-


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[0360] Mode und Patriotismus. kehrte man allmählich zur europäisch«! Tracht zurück. Gleichwohl scheint die Bewegung nicht ohne Nachwirkung geblieben zu sein. Wenigstens hören wir, daß bei allen festlichen Anlässen, auch am Wiener Hofe, Magyaren und gali- zische Polen nur in ihren malerischen Kostümen erscheinen, und daß der Mittel¬ stand im Innern des Landes nicht selten seinem einfacheren treu bleibt. Die Möglichkeit eines nachhaltigen Widerstandes ist mithin nicht zu be- streiten. Und haben wir denn nicht in Deutschland selbst das Beispiel? Von der Männerwelt kann man nur mit einer gewissen Einschränkung behaupten, daß sie sich ihre Kleidermode noch von Paris vorschreiben lasse. Das Jahr 1848 hat in dieser Beziehung einen großen Umschwung zuwege gebracht, dessen wir uns für gewöhnlich ebensowenig bewußt werden wie andrer Wandlungen im soziale» Leben. Die Zahl der Männer, welche sich in ihrem Anzüge nach dem Pariser Modejournal richten, ist im Vergleich mit der Zeit vor dreißig bis vierzig Jahren sehr gering, die meisten lassen sich mir noch den „Gesellschafts- anzug" aufnötigen und tragen sonst anstatt des anliegenden Rockes und des Cylinders die Joppe und den breitkrempigen Hut, die beiden Attribute, an welchen der Pariser den Deutschen erkennt. Zu dieser Umwälzung ist kein Kongreß, keine Koalition der Vertreter der beteiligten Industriezweige notwendig gewesen, der „Konsument" hat sich gegen die Diktatur des Schneiders und des Hutmachers aufgelehnt und die Mode gezwungen, ans die Bequemlichkeit und den Geschmack derer, welche die Kleider tragen sollen, Rücksicht zu nehmen. Nicht mehr, ja nicht einmal soviel wird nun auch von den Frauen verlangt, und wir vermögen hierin nicht eine unbillige Zumutung zu erkennen. Sie sollen sich weder eine stabile Nationaltracht auferlegen, noch sich mit Absicht altfränkisch tragen, was ja keine Befreiung, sondern nur ein Nachsinken hinter der Mode wäre. Sie sollen nur aufhören, jede unsinnige, ungesunde oder unanständige Neuerung, die von Paris kommt, mitzumachen und womöglich noch zu übertreiben; sie sollen den bescheidnen Mut aufbringen, sich dem Naserümpfen einiger Närrinnen aus¬ zusetzen und die heimische Industrie zu fördern, anstatt sich zu rühmen: „Wir beziehen alles aus Paris!" Es ist bekannt, daß die Kaiserin Eugenie als Königin der Mode sich keineswegs ausschließlich vou der Sorge um ihre persönliche Erscheinung leiten ließ, sondern häufig auch von der Absicht, französischen Industriezweigen emporzuhelfen, wie ihr das z. B. seinerzeit mit der Handwebcrei aufs glänzendste gelungen ist. Wenn man uns nun sagt, solche und ähnliche Bemühungen können nur Erfolg haben, wenn sie von dem Hauptquartier der Mode ausgehen, so begiebt man sich in einen oireulns vitioMs. Denn ist es unbestreitbar, daß Frankreich seine Führerrolle den Kriegen und der Politik Ludwigs XIV. zu verdanken hat, so gehörten eben zu dieser Politik auch die mannichfaltigen Maßnahmen zur Hebung und Kräftigung des französischen Gewerbfleißes. Als am Hofe die points as ?rMvs in die Mode gebracht wurden, war an eine Ausfuhr frau-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/360>, abgerufen am 30.06.2024.