Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.L. Geibels und F. A. v. Schacks sämtliche Werke. hat Geibel erfahren -- herrscht im ganzen für den Lyriker. Wer an jede Die Werke Schacks bringen in bunter Folge die sämtlichen lyrischen und L. Geibels und F. A. v. Schacks sämtliche Werke. hat Geibel erfahren — herrscht im ganzen für den Lyriker. Wer an jede Die Werke Schacks bringen in bunter Folge die sämtlichen lyrischen und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0036" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154919"/> <fw type="header" place="top"> L. Geibels und F. A. v. Schacks sämtliche Werke.</fw><lb/> <p xml:id="ID_79" prev="#ID_78"> hat Geibel erfahren — herrscht im ganzen für den Lyriker. Wer an jede<lb/> Wiederspiegelung des Lebens in allen Formen der erzählenden und dramatischen<lb/> Dichtung werden in Deutschland Forderungen gestellt, denen bestimmte poetische<lb/> Talente, wirkliche Talente, nicht zu entsprechen vermögen. Die deutsche poetische<lb/> Literatur hat bekanntlich in trüben Zeiten an der Erziehung unsers Volkes<lb/> einen weit über ihre nächsten Aufgaben hinauswachsenden Anteil nehmen, hat unter<lb/> gedrückten Verhältnissen jenes echte und crscheinnugsreiche Leben, welches die<lb/> Dichtung eigentlich poetisch erfassen, darstellen und verklären soll, meist erst er¬<lb/> schaffen und erwecken müssen. Trotz des Erstarkens andrer Lebensmächte und<lb/> völlig veränderter Verhältnisse werden diese aus einer andern Zeit stammenden<lb/> Anforderungen auch heute noch gern an Dichtung und Dichter gestellt. Nun<lb/> soll und wird es unbestritten bleiben, daß der Poet, dessen Weltanschauung dem<lb/> Leben der Nation über die Dichtung hinaus zu Gute kommt, dessen Werke etwas<lb/> von den alten großen Sonderleistnngen vergangener Tage in sich einschließen,<lb/> der vorausschauend die Zukunft des Lebens erkennen und schaffen hilft, am<lb/> höchsten steht. Allein daraus folgt doch uicht, daß keiner ein Dichter sei, der<lb/> diesen Anspruch uicht erfüllt, und daß die poetische Phantasie, die empfänglich<lb/> das Schöne in jeder Erscheinung in sich aufnimmt und wiedergiebt, darum nichts<lb/> zu bedeuten habe. Zugegeben, daß bei poetischen Naturen letzterer Art die<lb/> Greuze zwischen der Produktion im höchsten Sinne und dem, was man poetische<lb/> Reproduktion nennen dürfte, unendlich schwieriger zu ziehen ist mis bei Dichtern<lb/> der ersten Gattung, zugegeben auch, daß die Entwicklung der Literatur im we¬<lb/> sentliche an die Naturen gebunden bleibt, welche unmittelbarer in die Seele<lb/> ihrer Zeit hineinwirken als diejenigen Dichter, zu denen wir F. A. von Schack<lb/> rechnen müssen, folgt daraus, daß die Gleichgiltigkeit des deutschen Publikums<lb/> berechtigt wäre, daß man nichts oder wenig verlöre, wenn man an der Phan-<lb/> tasiefülle und dem außerordentlichen Formtalent, die sich in den zahlreichen,<lb/> mannichfaltigen, nunmehr „gesammelten" Werken Schacks offenbaren, achtlos<lb/> vorüberginge?</p><lb/> <p xml:id="ID_80" next="#ID_81"> Die Werke Schacks bringen in bunter Folge die sämtlichen lyrischen und<lb/> lyrisch-epischen wie die dramatischen Dichtungen des geistvollen, von den um¬<lb/> fassendsten Anschauungen getragenen und mit dem Mark der vielseitigsten und<lb/> reifsten Bildung genährten Dichters. Die „Nächte des Orients," das Epos<lb/> „Die Plejaden," die poetischen Erzählungen, welche in den „Episoden" vereinigt<lb/> sind, die Romane in Versen: „Durch alle Wetter," „Ebenbürtig" und „Lothar,"<lb/> die Tragödien: „Die Pisaner," „Timandrn," „Atlantis" und „Heliodor," die<lb/> „Politischen Lustspiele," die „Lvtosblätter." die „Wcihgesänge" — welche Reihe<lb/> von Werken, von denen kein einziges inhaltleer oder mittelmäßig in den Poe¬<lb/> tischen Ausdrucksmitteln genannt werden kann, von denen mehr als eines, die<lb/> künstlerischen Voraussetzungen des Dichters zugegeben, sogar einzig in unsrer<lb/> modernen Literatur genannt werden muß. Sollen wir indes den Gesamtein-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0036]
L. Geibels und F. A. v. Schacks sämtliche Werke.
hat Geibel erfahren — herrscht im ganzen für den Lyriker. Wer an jede
Wiederspiegelung des Lebens in allen Formen der erzählenden und dramatischen
Dichtung werden in Deutschland Forderungen gestellt, denen bestimmte poetische
Talente, wirkliche Talente, nicht zu entsprechen vermögen. Die deutsche poetische
Literatur hat bekanntlich in trüben Zeiten an der Erziehung unsers Volkes
einen weit über ihre nächsten Aufgaben hinauswachsenden Anteil nehmen, hat unter
gedrückten Verhältnissen jenes echte und crscheinnugsreiche Leben, welches die
Dichtung eigentlich poetisch erfassen, darstellen und verklären soll, meist erst er¬
schaffen und erwecken müssen. Trotz des Erstarkens andrer Lebensmächte und
völlig veränderter Verhältnisse werden diese aus einer andern Zeit stammenden
Anforderungen auch heute noch gern an Dichtung und Dichter gestellt. Nun
soll und wird es unbestritten bleiben, daß der Poet, dessen Weltanschauung dem
Leben der Nation über die Dichtung hinaus zu Gute kommt, dessen Werke etwas
von den alten großen Sonderleistnngen vergangener Tage in sich einschließen,
der vorausschauend die Zukunft des Lebens erkennen und schaffen hilft, am
höchsten steht. Allein daraus folgt doch uicht, daß keiner ein Dichter sei, der
diesen Anspruch uicht erfüllt, und daß die poetische Phantasie, die empfänglich
das Schöne in jeder Erscheinung in sich aufnimmt und wiedergiebt, darum nichts
zu bedeuten habe. Zugegeben, daß bei poetischen Naturen letzterer Art die
Greuze zwischen der Produktion im höchsten Sinne und dem, was man poetische
Reproduktion nennen dürfte, unendlich schwieriger zu ziehen ist mis bei Dichtern
der ersten Gattung, zugegeben auch, daß die Entwicklung der Literatur im we¬
sentliche an die Naturen gebunden bleibt, welche unmittelbarer in die Seele
ihrer Zeit hineinwirken als diejenigen Dichter, zu denen wir F. A. von Schack
rechnen müssen, folgt daraus, daß die Gleichgiltigkeit des deutschen Publikums
berechtigt wäre, daß man nichts oder wenig verlöre, wenn man an der Phan-
tasiefülle und dem außerordentlichen Formtalent, die sich in den zahlreichen,
mannichfaltigen, nunmehr „gesammelten" Werken Schacks offenbaren, achtlos
vorüberginge?
Die Werke Schacks bringen in bunter Folge die sämtlichen lyrischen und
lyrisch-epischen wie die dramatischen Dichtungen des geistvollen, von den um¬
fassendsten Anschauungen getragenen und mit dem Mark der vielseitigsten und
reifsten Bildung genährten Dichters. Die „Nächte des Orients," das Epos
„Die Plejaden," die poetischen Erzählungen, welche in den „Episoden" vereinigt
sind, die Romane in Versen: „Durch alle Wetter," „Ebenbürtig" und „Lothar,"
die Tragödien: „Die Pisaner," „Timandrn," „Atlantis" und „Heliodor," die
„Politischen Lustspiele," die „Lvtosblätter." die „Wcihgesänge" — welche Reihe
von Werken, von denen kein einziges inhaltleer oder mittelmäßig in den Poe¬
tischen Ausdrucksmitteln genannt werden kann, von denen mehr als eines, die
künstlerischen Voraussetzungen des Dichters zugegeben, sogar einzig in unsrer
modernen Literatur genannt werden muß. Sollen wir indes den Gesamtein-
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