Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.Gedanken über Goethe. auch diesem Herzen! Nein, es ist Her Born, der nie versiegt, das Feuer, das Wie im Morgenglanze "Mir wars frei in der Seele, rein wie ein Frühlingsmorgen" (Stella), "Süßer Mit dem tauscndfarbigen Morgen Früh am Novembertage rollen am Steine der Geliebten die Thautropfen nieder, Trunkncn vom letzten Strahl Auch wenn die Dunkelheit eingebrochen, brennt das Licht der Sonne noch in Wie der süße Dllmmerschein Anders ist die Stimmung in dem Liede "Bergschloß": der Dichter steht mit *) Noch in "Wahrheit und Dichtung" (Buch 7) derselbe poetische Ausdruck: "die un¬
schuldigen Pflanzenthränen"; sie benetzen dort den in die Rinde des Baumes geschnittenen Namen der Geliebten. So ist auch der Fels am Sipylusgcbirge, in den die Niobe ver¬ wandelt worden, feucht von den Thränen der Unglücklichen, die ewig ihre Kinder beweint. Gedanken über Goethe. auch diesem Herzen! Nein, es ist Her Born, der nie versiegt, das Feuer, das Wie im Morgenglanze „Mir wars frei in der Seele, rein wie ein Frühlingsmorgen" (Stella), „Süßer Mit dem tauscndfarbigen Morgen Früh am Novembertage rollen am Steine der Geliebten die Thautropfen nieder, Trunkncn vom letzten Strahl Auch wenn die Dunkelheit eingebrochen, brennt das Licht der Sonne noch in Wie der süße Dllmmerschein Anders ist die Stimmung in dem Liede „Bergschloß": der Dichter steht mit *) Noch in „Wahrheit und Dichtung" (Buch 7) derselbe poetische Ausdruck: „die un¬
schuldigen Pflanzenthränen"; sie benetzen dort den in die Rinde des Baumes geschnittenen Namen der Geliebten. So ist auch der Fels am Sipylusgcbirge, in den die Niobe ver¬ wandelt worden, feucht von den Thränen der Unglücklichen, die ewig ihre Kinder beweint. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0348" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155231"/> <fw type="header" place="top"> Gedanken über Goethe.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1439"> auch diesem Herzen! Nein, es ist Her Born, der nie versiegt, das Feuer, das<lb/> nie verlischt, keine Ewigkeit nicht! Beste Frau, auch in dir nicht, die du manch¬<lb/> mal wähnst, der heilige Geist des Lebens habe dich verlassen." Ähnlich an<lb/> den Herzog tags darauf: „Ich habe die Nacht durch manches Kranichen Ge¬<lb/> dankenzwirn auf- und abgewickelt; diesen Morgen ging mir die göttliche Sonne<lb/> hinter Naumburg auf." Der Morgen im Frühling, vom Berge, wenn der<lb/> Nebel noch im Thale liegt und die Nachtigall noch nicht verstummt ist, leuchtet<lb/> und blüht im „Ganymed":</p><lb/> <quote> Wie im Morgenglanze<lb/> Du rings mich anglühst,<lb/> Frühling, Geliebter!<lb/> Du kühlst den brennenden<lb/> Durst meines Busens,<lb/> Lieblicher Morgenwind —</quote><lb/> <p xml:id="ID_1440"> „Mir wars frei in der Seele, rein wie ein Frühlingsmorgen" (Stella), „Süßer<lb/> Morgenkühle Kinderstammeln" (Elpenor) —</p><lb/> <quote> Mit dem tauscndfarbigen Morgen<lb/> Lachse du ins Herz ihm. (Harzreisc im Winter)</quote><lb/> <p xml:id="ID_1441"> Früh am Novembertage rollen am Steine der Geliebten die Thautropfen nieder,<lb/> „die schönen Thränen des Himmels" (an Frau von Stein, 17. November 1782*).<lb/> Wie die aufgehende Sonne uns mit der Kraft und Freude des Lebens erfüllt,<lb/> so ist die untergehende ein Bild jähen Abschiedes, frühen Todes:</p><lb/> <quote> Trunkncn vom letzten Strahl<lb/> Reiß mich, ein Feuermeer<lb/> Mir im schäumenden Aug,<lb/> Mich geblendeten Taumelnden,<lb/> In der Holle nächtliches Thor. (An Schwager Kronos)</quote><lb/> <p xml:id="ID_1442"> Auch wenn die Dunkelheit eingebrochen, brennt das Licht der Sonne noch in<lb/> der Seele, und bald kündigt sich der neue Tag im Osten wieder an.</p><lb/> <quote> Wie der süße Dllmmerschein<lb/> Der weggcschiedncn Sonne<lb/> Dort hinaufschwimmt<lb/> Vom finstern Kaukasus<lb/> Und meine Seel umgiebt mit Wonncruh,<lb/> Abwesend auch mir immer gegenwärtig. (Prometheus)</quote><lb/> <p xml:id="ID_1443" next="#ID_1444"> Anders ist die Stimmung in dem Liede „Bergschloß": der Dichter steht mit</p><lb/> <note xml:id="FID_31" place="foot"> *) Noch in „Wahrheit und Dichtung" (Buch 7) derselbe poetische Ausdruck: „die un¬<lb/> schuldigen Pflanzenthränen"; sie benetzen dort den in die Rinde des Baumes geschnittenen<lb/> Namen der Geliebten. So ist auch der Fels am Sipylusgcbirge, in den die Niobe ver¬<lb/> wandelt worden, feucht von den Thränen der Unglücklichen, die ewig ihre Kinder beweint.</note><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0348]
Gedanken über Goethe.
auch diesem Herzen! Nein, es ist Her Born, der nie versiegt, das Feuer, das
nie verlischt, keine Ewigkeit nicht! Beste Frau, auch in dir nicht, die du manch¬
mal wähnst, der heilige Geist des Lebens habe dich verlassen." Ähnlich an
den Herzog tags darauf: „Ich habe die Nacht durch manches Kranichen Ge¬
dankenzwirn auf- und abgewickelt; diesen Morgen ging mir die göttliche Sonne
hinter Naumburg auf." Der Morgen im Frühling, vom Berge, wenn der
Nebel noch im Thale liegt und die Nachtigall noch nicht verstummt ist, leuchtet
und blüht im „Ganymed":
Wie im Morgenglanze
Du rings mich anglühst,
Frühling, Geliebter!
Du kühlst den brennenden
Durst meines Busens,
Lieblicher Morgenwind —
„Mir wars frei in der Seele, rein wie ein Frühlingsmorgen" (Stella), „Süßer
Morgenkühle Kinderstammeln" (Elpenor) —
Mit dem tauscndfarbigen Morgen
Lachse du ins Herz ihm. (Harzreisc im Winter)
Früh am Novembertage rollen am Steine der Geliebten die Thautropfen nieder,
„die schönen Thränen des Himmels" (an Frau von Stein, 17. November 1782*).
Wie die aufgehende Sonne uns mit der Kraft und Freude des Lebens erfüllt,
so ist die untergehende ein Bild jähen Abschiedes, frühen Todes:
Trunkncn vom letzten Strahl
Reiß mich, ein Feuermeer
Mir im schäumenden Aug,
Mich geblendeten Taumelnden,
In der Holle nächtliches Thor. (An Schwager Kronos)
Auch wenn die Dunkelheit eingebrochen, brennt das Licht der Sonne noch in
der Seele, und bald kündigt sich der neue Tag im Osten wieder an.
Wie der süße Dllmmerschein
Der weggcschiedncn Sonne
Dort hinaufschwimmt
Vom finstern Kaukasus
Und meine Seel umgiebt mit Wonncruh,
Abwesend auch mir immer gegenwärtig. (Prometheus)
Anders ist die Stimmung in dem Liede „Bergschloß": der Dichter steht mit
*) Noch in „Wahrheit und Dichtung" (Buch 7) derselbe poetische Ausdruck: „die un¬
schuldigen Pflanzenthränen"; sie benetzen dort den in die Rinde des Baumes geschnittenen
Namen der Geliebten. So ist auch der Fels am Sipylusgcbirge, in den die Niobe ver¬
wandelt worden, feucht von den Thränen der Unglücklichen, die ewig ihre Kinder beweint.
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