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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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L> Geibels und F. A. v. Schacks sämtliche Werke.

Natur des Dichters zufolge auf die klare Darstellung der streitenden innern
Empfindungen mit allem Licht und Schatten der Augenblicksstimmvngen und
allen feinsten Übergängen ein Gewicht, welches nur da wirksam ist, wo die
Dramatiker einen bestimmten gegebenen Stoff wieder und wieder behandeln
und ihm immer neue Seiten abzugewinnen trachten. Doch auf diesen Vorzug,
oder sagen wir besser auf diese Besonderheit der griechischen Tragödie muß der
Dramatiker der Neuzeit verzichten. Wenn er es nicht vermag, wird er zur
Bühne immer nur ein vorübergehendes Verhältnis gewinnen. Geibels "Brun-
hild" verdankte ihren theatralischen Erfolg nicht den dichterischen Vorzügen, die
sie in Wahrheit hat, nicht dem reifen Gleichmaß der einzelnen Teile, nicht der
klangvollen Sprache, sondern dem Versuch, die übermächtigen Gestatte" der
Nibelungensage auf ein Maß zurückzuschrauben, welches gewissen Anschauungen
und Gewöhnungen des heutigen Theaterpublickums entsprechender ist, und dem
Eintreten einiger Heroinen wie der Damböck, der Ziegler und der Janauscheck für
die Tragödie. Allein dieser theatralische Erfolg entscheidet nicht. Es fehlt den
beiden Geibelschcn Tragödien eine Handlung, deren Eigenart und Besonderheit
sich der Phantasie unverlöschlich einprägt, es fehlen ihnen Gestalten, die, einmal
geschaut, unvergeßlich bleiben. Die Gründe des Erfolges auf der Bühne sind
mannichfach, aber in der dramatischen Dichtung wiegen doch die Worte am
schwersten, die solche Handlung und solche Gestalten besitzen. Der seine Künstler¬
sinn Geibels kann sich nicht mit der Wahrheit abfinden, daß im Drama
weniger oft mehr ist. Den Beleg dazu giebt beispielsweise der eine Lustspiel¬
versuch "Meister Andrea," die Dramatisirung einer altflorentinischen Novelle
"Der dicke Tischler," die abwechselnd dem Baumeister Brunellescho und dem
Humanisten Antonio Manetti zugeschrieben worden ist. Ein toller, an die
Posse streifender Schwank, der auch nur als solcher zu wirken vermag, der mit
rücksichtsloser Lebendigkeit in Szene gesetzt werden müßte, damit Zuschauer und
Hörer zur Erwägung seiner Möglichkeit garnicht gelangen können. Statt dessen
versucht Geibel die lustige Geschichte zu vertiefen, den Vorgang psychologisch
wahrscheinlich zu machen und erreicht damit eher die entgegengesetzte Wirkung,
so reizend und anmutig auch einzelne Szenen sind und so fein und sorgfältig
auch der Prosadialog des kleinen Stückes bearbeitet erscheint. Dem Dichter
von Geibels Art ist schließlich nur wohl, wenn er sich in gebundener Rede be¬
wegt. Mit ihr hebt er einen so unbedeutenden Vorgang, wie den im Sprichwort
"Echtes Gold wird klar im Feuer" dargestellten, in eine höhere Region, mit
ihr giebt er einem Fragment wie der "Jagd von Beziers" einen Reiz, der
freilich mehr der episch frischen Schilderung der südfranzösischen Zustände als
der dramatischen Anlage gilt, welche wenigstens in diesem Vorspiel nicht eben
zwingend ist.

Der Schlußband der "Gesammelten Werke" unsers Dichters enthält die
größeren Gelegenheitsdichtungen, darunter namentlich die schöne Dichtung "Beim


L> Geibels und F. A. v. Schacks sämtliche Werke.

Natur des Dichters zufolge auf die klare Darstellung der streitenden innern
Empfindungen mit allem Licht und Schatten der Augenblicksstimmvngen und
allen feinsten Übergängen ein Gewicht, welches nur da wirksam ist, wo die
Dramatiker einen bestimmten gegebenen Stoff wieder und wieder behandeln
und ihm immer neue Seiten abzugewinnen trachten. Doch auf diesen Vorzug,
oder sagen wir besser auf diese Besonderheit der griechischen Tragödie muß der
Dramatiker der Neuzeit verzichten. Wenn er es nicht vermag, wird er zur
Bühne immer nur ein vorübergehendes Verhältnis gewinnen. Geibels „Brun-
hild" verdankte ihren theatralischen Erfolg nicht den dichterischen Vorzügen, die
sie in Wahrheit hat, nicht dem reifen Gleichmaß der einzelnen Teile, nicht der
klangvollen Sprache, sondern dem Versuch, die übermächtigen Gestatte» der
Nibelungensage auf ein Maß zurückzuschrauben, welches gewissen Anschauungen
und Gewöhnungen des heutigen Theaterpublickums entsprechender ist, und dem
Eintreten einiger Heroinen wie der Damböck, der Ziegler und der Janauscheck für
die Tragödie. Allein dieser theatralische Erfolg entscheidet nicht. Es fehlt den
beiden Geibelschcn Tragödien eine Handlung, deren Eigenart und Besonderheit
sich der Phantasie unverlöschlich einprägt, es fehlen ihnen Gestalten, die, einmal
geschaut, unvergeßlich bleiben. Die Gründe des Erfolges auf der Bühne sind
mannichfach, aber in der dramatischen Dichtung wiegen doch die Worte am
schwersten, die solche Handlung und solche Gestalten besitzen. Der seine Künstler¬
sinn Geibels kann sich nicht mit der Wahrheit abfinden, daß im Drama
weniger oft mehr ist. Den Beleg dazu giebt beispielsweise der eine Lustspiel¬
versuch „Meister Andrea," die Dramatisirung einer altflorentinischen Novelle
„Der dicke Tischler," die abwechselnd dem Baumeister Brunellescho und dem
Humanisten Antonio Manetti zugeschrieben worden ist. Ein toller, an die
Posse streifender Schwank, der auch nur als solcher zu wirken vermag, der mit
rücksichtsloser Lebendigkeit in Szene gesetzt werden müßte, damit Zuschauer und
Hörer zur Erwägung seiner Möglichkeit garnicht gelangen können. Statt dessen
versucht Geibel die lustige Geschichte zu vertiefen, den Vorgang psychologisch
wahrscheinlich zu machen und erreicht damit eher die entgegengesetzte Wirkung,
so reizend und anmutig auch einzelne Szenen sind und so fein und sorgfältig
auch der Prosadialog des kleinen Stückes bearbeitet erscheint. Dem Dichter
von Geibels Art ist schließlich nur wohl, wenn er sich in gebundener Rede be¬
wegt. Mit ihr hebt er einen so unbedeutenden Vorgang, wie den im Sprichwort
„Echtes Gold wird klar im Feuer" dargestellten, in eine höhere Region, mit
ihr giebt er einem Fragment wie der „Jagd von Beziers" einen Reiz, der
freilich mehr der episch frischen Schilderung der südfranzösischen Zustände als
der dramatischen Anlage gilt, welche wenigstens in diesem Vorspiel nicht eben
zwingend ist.

Der Schlußband der „Gesammelten Werke" unsers Dichters enthält die
größeren Gelegenheitsdichtungen, darunter namentlich die schöne Dichtung „Beim


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[0034] L> Geibels und F. A. v. Schacks sämtliche Werke. Natur des Dichters zufolge auf die klare Darstellung der streitenden innern Empfindungen mit allem Licht und Schatten der Augenblicksstimmvngen und allen feinsten Übergängen ein Gewicht, welches nur da wirksam ist, wo die Dramatiker einen bestimmten gegebenen Stoff wieder und wieder behandeln und ihm immer neue Seiten abzugewinnen trachten. Doch auf diesen Vorzug, oder sagen wir besser auf diese Besonderheit der griechischen Tragödie muß der Dramatiker der Neuzeit verzichten. Wenn er es nicht vermag, wird er zur Bühne immer nur ein vorübergehendes Verhältnis gewinnen. Geibels „Brun- hild" verdankte ihren theatralischen Erfolg nicht den dichterischen Vorzügen, die sie in Wahrheit hat, nicht dem reifen Gleichmaß der einzelnen Teile, nicht der klangvollen Sprache, sondern dem Versuch, die übermächtigen Gestatte» der Nibelungensage auf ein Maß zurückzuschrauben, welches gewissen Anschauungen und Gewöhnungen des heutigen Theaterpublickums entsprechender ist, und dem Eintreten einiger Heroinen wie der Damböck, der Ziegler und der Janauscheck für die Tragödie. Allein dieser theatralische Erfolg entscheidet nicht. Es fehlt den beiden Geibelschcn Tragödien eine Handlung, deren Eigenart und Besonderheit sich der Phantasie unverlöschlich einprägt, es fehlen ihnen Gestalten, die, einmal geschaut, unvergeßlich bleiben. Die Gründe des Erfolges auf der Bühne sind mannichfach, aber in der dramatischen Dichtung wiegen doch die Worte am schwersten, die solche Handlung und solche Gestalten besitzen. Der seine Künstler¬ sinn Geibels kann sich nicht mit der Wahrheit abfinden, daß im Drama weniger oft mehr ist. Den Beleg dazu giebt beispielsweise der eine Lustspiel¬ versuch „Meister Andrea," die Dramatisirung einer altflorentinischen Novelle „Der dicke Tischler," die abwechselnd dem Baumeister Brunellescho und dem Humanisten Antonio Manetti zugeschrieben worden ist. Ein toller, an die Posse streifender Schwank, der auch nur als solcher zu wirken vermag, der mit rücksichtsloser Lebendigkeit in Szene gesetzt werden müßte, damit Zuschauer und Hörer zur Erwägung seiner Möglichkeit garnicht gelangen können. Statt dessen versucht Geibel die lustige Geschichte zu vertiefen, den Vorgang psychologisch wahrscheinlich zu machen und erreicht damit eher die entgegengesetzte Wirkung, so reizend und anmutig auch einzelne Szenen sind und so fein und sorgfältig auch der Prosadialog des kleinen Stückes bearbeitet erscheint. Dem Dichter von Geibels Art ist schließlich nur wohl, wenn er sich in gebundener Rede be¬ wegt. Mit ihr hebt er einen so unbedeutenden Vorgang, wie den im Sprichwort „Echtes Gold wird klar im Feuer" dargestellten, in eine höhere Region, mit ihr giebt er einem Fragment wie der „Jagd von Beziers" einen Reiz, der freilich mehr der episch frischen Schilderung der südfranzösischen Zustände als der dramatischen Anlage gilt, welche wenigstens in diesem Vorspiel nicht eben zwingend ist. Der Schlußband der „Gesammelten Werke" unsers Dichters enthält die größeren Gelegenheitsdichtungen, darunter namentlich die schöne Dichtung „Beim

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/34>, abgerufen am 28.09.2024.