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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Das Schriftstellerelend.

mußten, und ob er nachher unter seinesgleichen ebenso hochachtungsvoll von
Journalen und Journalisten gesprochen haben mag wie in seinen Tischreden,
das bleibt sehr fraglich. Und irren wir nicht, so hat man gerade in Wien
nötig gefunden, für eine besondre Gattung von Zeitungen einen eignen Namen
zu schaffen: "Revolverpresse" -- trotz der reichen und einflußreichen "Konkordia"!
Man übersieht eben mehr als einen wichtigen Umstand, wenn man Schriftsteller-
Verbänden eine ähnliche Wirksamkeit zutraut wie den Ehrengerichten der Anwälte,
der Ärzte u. s. w.

Stellen wir uns einen konkreten Fall vor, der sich sehr leicht ereignen kann,
auch wenn ein solcher Verein sich von gewerbsmäßigen Erpressern lind sonstigen
offenkundiger Gaunern freizuhalten weiß. Jemand hat eine Thatsache erlauscht,
deren Bekanntwerden der Staatsregierung in ihren Beziehungen zum Auslande
Verlegenheiten schaffen und auf alle Fälle nichts nützen kann. Redakteur A.
wird sich mit Begier auf die Mitteilung werfen, weil es bei ihm Prinzip ist,
jede oder wenigstens diese Regierung zu ärgern und zu schädigen, ohne Rück¬
sicht ans höhere Gebote. Redakteur B. ist nicht von solchem Parteihab erfüllt,
aber eine so pikante Neuigkeit glaubt er sich nicht entgehen lassen zu dürfen,
und er beschwichtigt sein Gewissen mit dem Sophismen Bringe ich die Geschichte
nicht, andre thun es doch, und ich habe nur den Schaden davon. Ein Ehrcn-
rcit würde nicht umhin können, die unpatriotische Handlung zu verurteilen; aber
mit welchem Erfolge? B. fügte sich vielleicht, A. sicherlich nicht, lieber erklärte
er seinen Austritt aus dem Vereine, schlüge wohl noch Kapital aus dem "Ver¬
suche, die Presse zu demoralisiren"; und das Urteil des Publikums? "Er ist
ein . . ., aber ein verfluchter Kerl, der seine Leser gut bedient!" Welche in-
famirenden Anschuldigungen haben in den Jahren 1875 und 1876 manche Zei¬
tungen einander ins Gesicht geschleudert! und doch ist alles beim alten geblieben.
Nein, die Vereine allein können da nicht Wandel schaffen, das Publikum will
es nicht. Und der Verfasser sieht doch ebensogut wie irgend jemand ein, daß
mit einer Versorgungskasse allein den Schäden nicht abgeholfen werden könnte.

Einmal ist er allerdings sehr bescheiden in seinen Ansprüchen. Er erwähnt
einen 1881 in den Grenzboten erschienenen Aufsatz über den deutschen Schrift¬
stellerverband und meint, der Jahresbericht von 1882 lasse doch "manches
Gute und Schöne" von diesem Verbände erwarten. Und dann wird aufgezählt,
daß der Vorstand emsig jeden Tag arbeite, daß durch eine Schenkung und eine
Goethefeier 1542 Mark 41 Pf. eingegangen seien, daß der Verband mehrere
Lorberkränze gestiftet habe, daß verschiedne schwungvolle Reden gehalten worden
seien, und "ein energisches Manifest gegen den unbefugten Nachdruck publizirt
werden solle." Wenn Spiethoff sagt, das sei "doch etwas," so weiß man wahr¬
lich nicht, ob das für Ernst oder Spott gehalten sein will.

Daß dergleichen Hilfsvereine auch eine bedenkliche Seite haben, wurde schou
im Jahre 1859 von Jacob Grimm in der überzeugendsten Weise dargethan.


Das Schriftstellerelend.

mußten, und ob er nachher unter seinesgleichen ebenso hochachtungsvoll von
Journalen und Journalisten gesprochen haben mag wie in seinen Tischreden,
das bleibt sehr fraglich. Und irren wir nicht, so hat man gerade in Wien
nötig gefunden, für eine besondre Gattung von Zeitungen einen eignen Namen
zu schaffen: „Revolverpresse" — trotz der reichen und einflußreichen „Konkordia"!
Man übersieht eben mehr als einen wichtigen Umstand, wenn man Schriftsteller-
Verbänden eine ähnliche Wirksamkeit zutraut wie den Ehrengerichten der Anwälte,
der Ärzte u. s. w.

Stellen wir uns einen konkreten Fall vor, der sich sehr leicht ereignen kann,
auch wenn ein solcher Verein sich von gewerbsmäßigen Erpressern lind sonstigen
offenkundiger Gaunern freizuhalten weiß. Jemand hat eine Thatsache erlauscht,
deren Bekanntwerden der Staatsregierung in ihren Beziehungen zum Auslande
Verlegenheiten schaffen und auf alle Fälle nichts nützen kann. Redakteur A.
wird sich mit Begier auf die Mitteilung werfen, weil es bei ihm Prinzip ist,
jede oder wenigstens diese Regierung zu ärgern und zu schädigen, ohne Rück¬
sicht ans höhere Gebote. Redakteur B. ist nicht von solchem Parteihab erfüllt,
aber eine so pikante Neuigkeit glaubt er sich nicht entgehen lassen zu dürfen,
und er beschwichtigt sein Gewissen mit dem Sophismen Bringe ich die Geschichte
nicht, andre thun es doch, und ich habe nur den Schaden davon. Ein Ehrcn-
rcit würde nicht umhin können, die unpatriotische Handlung zu verurteilen; aber
mit welchem Erfolge? B. fügte sich vielleicht, A. sicherlich nicht, lieber erklärte
er seinen Austritt aus dem Vereine, schlüge wohl noch Kapital aus dem „Ver¬
suche, die Presse zu demoralisiren"; und das Urteil des Publikums? „Er ist
ein . . ., aber ein verfluchter Kerl, der seine Leser gut bedient!" Welche in-
famirenden Anschuldigungen haben in den Jahren 1875 und 1876 manche Zei¬
tungen einander ins Gesicht geschleudert! und doch ist alles beim alten geblieben.
Nein, die Vereine allein können da nicht Wandel schaffen, das Publikum will
es nicht. Und der Verfasser sieht doch ebensogut wie irgend jemand ein, daß
mit einer Versorgungskasse allein den Schäden nicht abgeholfen werden könnte.

Einmal ist er allerdings sehr bescheiden in seinen Ansprüchen. Er erwähnt
einen 1881 in den Grenzboten erschienenen Aufsatz über den deutschen Schrift¬
stellerverband und meint, der Jahresbericht von 1882 lasse doch „manches
Gute und Schöne" von diesem Verbände erwarten. Und dann wird aufgezählt,
daß der Vorstand emsig jeden Tag arbeite, daß durch eine Schenkung und eine
Goethefeier 1542 Mark 41 Pf. eingegangen seien, daß der Verband mehrere
Lorberkränze gestiftet habe, daß verschiedne schwungvolle Reden gehalten worden
seien, und „ein energisches Manifest gegen den unbefugten Nachdruck publizirt
werden solle." Wenn Spiethoff sagt, das sei „doch etwas," so weiß man wahr¬
lich nicht, ob das für Ernst oder Spott gehalten sein will.

Daß dergleichen Hilfsvereine auch eine bedenkliche Seite haben, wurde schou
im Jahre 1859 von Jacob Grimm in der überzeugendsten Weise dargethan.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/310>, abgerufen am 04.07.2024.