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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Das Schriftstellerelond.

riskire, um größere Auflagen zu machen, als kontraktlich bedungen war, daß
seine Unthcitigkeit den geringen Absatz verschulde u. tgi. in,, nicht so häufig sein,
und mancher hoffnungsvolle Jüngling würde es sich länger überlegen, bevor
er den Entschluß ausführt, "von der Feder zu leben."

Über die Mitverantwortlichkeit des Publikums für den Zustund der Presse,
über die Schäden einer einseitigen Entwicklung der Journalistik unter der Herr¬
schaft der politischen Parteien, über den bald albernen, bald perfiden Mißbrauch,
der mit dem Wort "offiziös" getrieben wird, über das Unrecht der Regierungen,
ihre prinzipiellen Gegner in der Publizistik "och zu begünstigen, über Sen-
sationssucht, über das Annoneenwesen n. a. in. bekommen wir sehr verständige
Bemerkungen zu lesen, und man kann nur wünschen, daß die vorgetragenen
Ansichten von der ganzen Gemeinde geteilt würden, dann brauchte man sich
weniger den Kopf zu zerbreche", wie dem Schriftstellerelend abzuhelfen sei.

Doch es ist Zeit, daß wir uns die Reformvorschläge des Verfassers an¬
sehen. Er wünscht die Bildung von "fünf bis sechs Schriftstellervereinen zur
Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen und sozialen Interessen." Diese Ver¬
eine sollen dahin wirken, daß die durch eine schrankenlose Konkurrenz zu tief
gedrückten Zeitungspreisc wieder auf eine angemessene Höhe gebracht und damit
der Verdienst des Redakteurs und Mitarbeiters gesteigert werde, daß die deutsche
Arbeit vor der Übersetzung aus fremden Sprachen den Vorzug erhalte, daß die
Provision für telegraphische Korrespondenzen ermäßigt werde u. a. in.; eine
Hilfskasse und ein Altersversorgnngsfonds sollen der Wiederholung von Fällen,
wie der eingangs erwähnte, vorbeugen.

Dagegen ist zunächst nichts einzuwenden. Allerdings muß der Verfasser
am Schlüsse selbst melden, daß eben jener Fall nicht so tragisch sei, wie er zu¬
erst aufgefaßt worden: nicht der Hunger hat den unglücklichen Mann in den
Tod getrieben, er hätte noch reichlich verdienen können. Und das wird jeder
Kenner der Verhältnisse zugeben, daß in den allermeisten Fällen von Schrift-
stcllerelend eignes Verschulden mit im Spiele ist, sei es auch nur, daß in den
Jahren körperlicher Rüstigkeit, Arbeitskraft und guter Einnahmen nicht an andre
Zeiten gedacht und Vorsorge für solche getroffen wurde. Dessenungeachtet wün¬
schen auch wir, die Vorschläge Spiethoffs recht bald verwirklicht zu sehen. Man
muß das Sparen gerade dem erleichtern, der keine Anlage dazu hat, und man
>muß dem Erwerbsunfähigen die Möglichkeit eröffnen, Unterstützung zu erhalten,
ohne zum Bettler zu werde". Und gewiß wird eine mehr gesicherte Existenz
auch zur moralischen Kräftigung des Standes beitragen. Nur erwarte man in
diesem Punkte nicht zuviel. So oft auf solche Verhältnisse die Rede kommt,
wird die Wiener "Kvnkordia" und die Anekdote zitirt, daß Graf Beust einmal
mit einer Redakteursfrau getanzt habe. Wenn die Geschichte wahr ist, so be¬
weist sie doch nichts. Ehe Graf Beust von der Popularitätssucht ergriffen war,
störte es ihn durchaus nicht, daß Schriftsteller in Waldheim Wolle spinnen


Das Schriftstellerelond.

riskire, um größere Auflagen zu machen, als kontraktlich bedungen war, daß
seine Unthcitigkeit den geringen Absatz verschulde u. tgi. in,, nicht so häufig sein,
und mancher hoffnungsvolle Jüngling würde es sich länger überlegen, bevor
er den Entschluß ausführt, „von der Feder zu leben."

Über die Mitverantwortlichkeit des Publikums für den Zustund der Presse,
über die Schäden einer einseitigen Entwicklung der Journalistik unter der Herr¬
schaft der politischen Parteien, über den bald albernen, bald perfiden Mißbrauch,
der mit dem Wort „offiziös" getrieben wird, über das Unrecht der Regierungen,
ihre prinzipiellen Gegner in der Publizistik »och zu begünstigen, über Sen-
sationssucht, über das Annoneenwesen n. a. in. bekommen wir sehr verständige
Bemerkungen zu lesen, und man kann nur wünschen, daß die vorgetragenen
Ansichten von der ganzen Gemeinde geteilt würden, dann brauchte man sich
weniger den Kopf zu zerbreche», wie dem Schriftstellerelend abzuhelfen sei.

Doch es ist Zeit, daß wir uns die Reformvorschläge des Verfassers an¬
sehen. Er wünscht die Bildung von „fünf bis sechs Schriftstellervereinen zur
Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen und sozialen Interessen." Diese Ver¬
eine sollen dahin wirken, daß die durch eine schrankenlose Konkurrenz zu tief
gedrückten Zeitungspreisc wieder auf eine angemessene Höhe gebracht und damit
der Verdienst des Redakteurs und Mitarbeiters gesteigert werde, daß die deutsche
Arbeit vor der Übersetzung aus fremden Sprachen den Vorzug erhalte, daß die
Provision für telegraphische Korrespondenzen ermäßigt werde u. a. in.; eine
Hilfskasse und ein Altersversorgnngsfonds sollen der Wiederholung von Fällen,
wie der eingangs erwähnte, vorbeugen.

Dagegen ist zunächst nichts einzuwenden. Allerdings muß der Verfasser
am Schlüsse selbst melden, daß eben jener Fall nicht so tragisch sei, wie er zu¬
erst aufgefaßt worden: nicht der Hunger hat den unglücklichen Mann in den
Tod getrieben, er hätte noch reichlich verdienen können. Und das wird jeder
Kenner der Verhältnisse zugeben, daß in den allermeisten Fällen von Schrift-
stcllerelend eignes Verschulden mit im Spiele ist, sei es auch nur, daß in den
Jahren körperlicher Rüstigkeit, Arbeitskraft und guter Einnahmen nicht an andre
Zeiten gedacht und Vorsorge für solche getroffen wurde. Dessenungeachtet wün¬
schen auch wir, die Vorschläge Spiethoffs recht bald verwirklicht zu sehen. Man
muß das Sparen gerade dem erleichtern, der keine Anlage dazu hat, und man
>muß dem Erwerbsunfähigen die Möglichkeit eröffnen, Unterstützung zu erhalten,
ohne zum Bettler zu werde». Und gewiß wird eine mehr gesicherte Existenz
auch zur moralischen Kräftigung des Standes beitragen. Nur erwarte man in
diesem Punkte nicht zuviel. So oft auf solche Verhältnisse die Rede kommt,
wird die Wiener „Kvnkordia" und die Anekdote zitirt, daß Graf Beust einmal
mit einer Redakteursfrau getanzt habe. Wenn die Geschichte wahr ist, so be¬
weist sie doch nichts. Ehe Graf Beust von der Popularitätssucht ergriffen war,
störte es ihn durchaus nicht, daß Schriftsteller in Waldheim Wolle spinnen


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[0309] Das Schriftstellerelond. riskire, um größere Auflagen zu machen, als kontraktlich bedungen war, daß seine Unthcitigkeit den geringen Absatz verschulde u. tgi. in,, nicht so häufig sein, und mancher hoffnungsvolle Jüngling würde es sich länger überlegen, bevor er den Entschluß ausführt, „von der Feder zu leben." Über die Mitverantwortlichkeit des Publikums für den Zustund der Presse, über die Schäden einer einseitigen Entwicklung der Journalistik unter der Herr¬ schaft der politischen Parteien, über den bald albernen, bald perfiden Mißbrauch, der mit dem Wort „offiziös" getrieben wird, über das Unrecht der Regierungen, ihre prinzipiellen Gegner in der Publizistik »och zu begünstigen, über Sen- sationssucht, über das Annoneenwesen n. a. in. bekommen wir sehr verständige Bemerkungen zu lesen, und man kann nur wünschen, daß die vorgetragenen Ansichten von der ganzen Gemeinde geteilt würden, dann brauchte man sich weniger den Kopf zu zerbreche», wie dem Schriftstellerelend abzuhelfen sei. Doch es ist Zeit, daß wir uns die Reformvorschläge des Verfassers an¬ sehen. Er wünscht die Bildung von „fünf bis sechs Schriftstellervereinen zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen und sozialen Interessen." Diese Ver¬ eine sollen dahin wirken, daß die durch eine schrankenlose Konkurrenz zu tief gedrückten Zeitungspreisc wieder auf eine angemessene Höhe gebracht und damit der Verdienst des Redakteurs und Mitarbeiters gesteigert werde, daß die deutsche Arbeit vor der Übersetzung aus fremden Sprachen den Vorzug erhalte, daß die Provision für telegraphische Korrespondenzen ermäßigt werde u. a. in.; eine Hilfskasse und ein Altersversorgnngsfonds sollen der Wiederholung von Fällen, wie der eingangs erwähnte, vorbeugen. Dagegen ist zunächst nichts einzuwenden. Allerdings muß der Verfasser am Schlüsse selbst melden, daß eben jener Fall nicht so tragisch sei, wie er zu¬ erst aufgefaßt worden: nicht der Hunger hat den unglücklichen Mann in den Tod getrieben, er hätte noch reichlich verdienen können. Und das wird jeder Kenner der Verhältnisse zugeben, daß in den allermeisten Fällen von Schrift- stcllerelend eignes Verschulden mit im Spiele ist, sei es auch nur, daß in den Jahren körperlicher Rüstigkeit, Arbeitskraft und guter Einnahmen nicht an andre Zeiten gedacht und Vorsorge für solche getroffen wurde. Dessenungeachtet wün¬ schen auch wir, die Vorschläge Spiethoffs recht bald verwirklicht zu sehen. Man muß das Sparen gerade dem erleichtern, der keine Anlage dazu hat, und man >muß dem Erwerbsunfähigen die Möglichkeit eröffnen, Unterstützung zu erhalten, ohne zum Bettler zu werde». Und gewiß wird eine mehr gesicherte Existenz auch zur moralischen Kräftigung des Standes beitragen. Nur erwarte man in diesem Punkte nicht zuviel. So oft auf solche Verhältnisse die Rede kommt, wird die Wiener „Kvnkordia" und die Anekdote zitirt, daß Graf Beust einmal mit einer Redakteursfrau getanzt habe. Wenn die Geschichte wahr ist, so be¬ weist sie doch nichts. Ehe Graf Beust von der Popularitätssucht ergriffen war, störte es ihn durchaus nicht, daß Schriftsteller in Waldheim Wolle spinnen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/309>, abgerufen am 02.07.2024.