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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Wilhelm Schcrers Deutsche Litcrciturgeschichto.

zu erwarten steht. Wir meine" die bekannte "Deutsche Literaturgeschichte" von
Robert König, welche durch ihre Ausstattung dem Prunk- und Schaubedürfnis
unsrer Tage entgegengekommen ist. Schon heute kann man finden, daß in
Kreisen, unter denen man nach ihrer sonstigen Lebensanschauung Vilmars
Werk zu finden erwarten sollte, König sich eingebürgert hat, während der Name
Vilmars unbekannt ist oder unverdienterweise erst in zweiter Linie genannt
wird. Einem solchen Konkurrenten gegenüber hat selbst ein so liebenswürdiges
Buch wie Otto Rvquettes "Geschichte der deutschen Dichtung," dessen wissen¬
schaftlicher Wert allerdings kein hervorragender ist, einen schweren Stand, obwohl
es unter den für Laien bestimmten Werken dieser Art gewiß einen ehrenvollen
Platz beanspruchen darf.

Ziehen wir die Summe aus dem Gesagten, so glauben wir gezeigt zu
haben, daß Scherers Buch keine Aussicht hat, als populäres Wert ähnliche
Erfolge zu erringen wie die drei daneben angeführten Bücher, Wir sind jedoch
garnicht der Ansicht, daß in ihnen der Maßstab zu finden sei, mit dem diese
neueste Geschichte der deutschen Literatur zu messe" ist.

Freilich ist sie auch keine für ausschließlich gelehrte Zwecke bestimmte Arbeit.
Dazu machen sie auch nicht die am Schlüsse angefügten Anmerkungen, so dankbar
wir dem Verfasser für dieselben sind. Dienen sie auch nicht dazu, eine aus¬
führliche Rechtfertigung, deren so manche Ansicht Schcrers bedürftig ist, zu
bieten, so zeigen sie doch den Weg, den er bei seiner Forschung genommen hat,
und erläutern mancherlei Dinge, über welche der Text uns unaufgeklärt läßt.

Gleich im Eingänge der Anmerkungen lesen wir die ausdrückliche Erklärung
des Verfassers, die den Kundigen nur durch ihre Form überraschen wird, daß
für den das Mittelalter behandelnden Teil die Ansichten Müllenhoffs, des
Lehrers Scherers, von weitgehendsten Einflüsse gewesen sind, so sehr, daß für
Scherer sich "Eigenes und Fremdes unauflöslich vermischte," wir also hier ein
Werk des vereinigten Müllenhoff-Schererschen Geistes vor uns haben. Gewiß
wird es für den Forscher von großem Interesse sein, hier einmal eine voll¬
ständige Literaturgeschichte von diesem Gesichtspunkte aus vor sich zu haben;
dennoch wird er bei seinen Arbeiten lieber zu dem trefflichen Werke Wilhelm
Wackernagels greifen, das ihn in knappester Form über den Stand der Forschung
orientirt und den verschiedenen Ansichten ihr Recht vollkommen angedeihen läßt.
Leider fehlt uns noch immer der zweite Band des vielen unentbehrlich ge¬
wordenen Werkes, der hoffentlich nicht mehr zu lange auf sich warten läßt.

Allen den genannten Werken also können wir Scherers Geschichte der
deutschen Literatur nicht an die Seite stellen. Welcher andern Darstellung ist
sie un" zu vergleichen? Hat sie überhaupt ihresgleichen? Scherer selbst giebt
uns die Antwort auf diese Frage. In seiner "Geschichte der deutschen Dich¬
tung im 11. und 12. Jahrhundert," einem Hefte jener trefflichen Sammlung
von Abhandlungen, die unter dem Titel "Quellen und Forschungen zur Sprach-


Wilhelm Schcrers Deutsche Litcrciturgeschichto.

zu erwarten steht. Wir meine» die bekannte „Deutsche Literaturgeschichte" von
Robert König, welche durch ihre Ausstattung dem Prunk- und Schaubedürfnis
unsrer Tage entgegengekommen ist. Schon heute kann man finden, daß in
Kreisen, unter denen man nach ihrer sonstigen Lebensanschauung Vilmars
Werk zu finden erwarten sollte, König sich eingebürgert hat, während der Name
Vilmars unbekannt ist oder unverdienterweise erst in zweiter Linie genannt
wird. Einem solchen Konkurrenten gegenüber hat selbst ein so liebenswürdiges
Buch wie Otto Rvquettes „Geschichte der deutschen Dichtung," dessen wissen¬
schaftlicher Wert allerdings kein hervorragender ist, einen schweren Stand, obwohl
es unter den für Laien bestimmten Werken dieser Art gewiß einen ehrenvollen
Platz beanspruchen darf.

Ziehen wir die Summe aus dem Gesagten, so glauben wir gezeigt zu
haben, daß Scherers Buch keine Aussicht hat, als populäres Wert ähnliche
Erfolge zu erringen wie die drei daneben angeführten Bücher, Wir sind jedoch
garnicht der Ansicht, daß in ihnen der Maßstab zu finden sei, mit dem diese
neueste Geschichte der deutschen Literatur zu messe» ist.

Freilich ist sie auch keine für ausschließlich gelehrte Zwecke bestimmte Arbeit.
Dazu machen sie auch nicht die am Schlüsse angefügten Anmerkungen, so dankbar
wir dem Verfasser für dieselben sind. Dienen sie auch nicht dazu, eine aus¬
führliche Rechtfertigung, deren so manche Ansicht Schcrers bedürftig ist, zu
bieten, so zeigen sie doch den Weg, den er bei seiner Forschung genommen hat,
und erläutern mancherlei Dinge, über welche der Text uns unaufgeklärt läßt.

Gleich im Eingänge der Anmerkungen lesen wir die ausdrückliche Erklärung
des Verfassers, die den Kundigen nur durch ihre Form überraschen wird, daß
für den das Mittelalter behandelnden Teil die Ansichten Müllenhoffs, des
Lehrers Scherers, von weitgehendsten Einflüsse gewesen sind, so sehr, daß für
Scherer sich „Eigenes und Fremdes unauflöslich vermischte," wir also hier ein
Werk des vereinigten Müllenhoff-Schererschen Geistes vor uns haben. Gewiß
wird es für den Forscher von großem Interesse sein, hier einmal eine voll¬
ständige Literaturgeschichte von diesem Gesichtspunkte aus vor sich zu haben;
dennoch wird er bei seinen Arbeiten lieber zu dem trefflichen Werke Wilhelm
Wackernagels greifen, das ihn in knappester Form über den Stand der Forschung
orientirt und den verschiedenen Ansichten ihr Recht vollkommen angedeihen läßt.
Leider fehlt uns noch immer der zweite Band des vielen unentbehrlich ge¬
wordenen Werkes, der hoffentlich nicht mehr zu lange auf sich warten läßt.

Allen den genannten Werken also können wir Scherers Geschichte der
deutschen Literatur nicht an die Seite stellen. Welcher andern Darstellung ist
sie un» zu vergleichen? Hat sie überhaupt ihresgleichen? Scherer selbst giebt
uns die Antwort auf diese Frage. In seiner „Geschichte der deutschen Dich¬
tung im 11. und 12. Jahrhundert," einem Hefte jener trefflichen Sammlung
von Abhandlungen, die unter dem Titel „Quellen und Forschungen zur Sprach-


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[0304] Wilhelm Schcrers Deutsche Litcrciturgeschichto. zu erwarten steht. Wir meine» die bekannte „Deutsche Literaturgeschichte" von Robert König, welche durch ihre Ausstattung dem Prunk- und Schaubedürfnis unsrer Tage entgegengekommen ist. Schon heute kann man finden, daß in Kreisen, unter denen man nach ihrer sonstigen Lebensanschauung Vilmars Werk zu finden erwarten sollte, König sich eingebürgert hat, während der Name Vilmars unbekannt ist oder unverdienterweise erst in zweiter Linie genannt wird. Einem solchen Konkurrenten gegenüber hat selbst ein so liebenswürdiges Buch wie Otto Rvquettes „Geschichte der deutschen Dichtung," dessen wissen¬ schaftlicher Wert allerdings kein hervorragender ist, einen schweren Stand, obwohl es unter den für Laien bestimmten Werken dieser Art gewiß einen ehrenvollen Platz beanspruchen darf. Ziehen wir die Summe aus dem Gesagten, so glauben wir gezeigt zu haben, daß Scherers Buch keine Aussicht hat, als populäres Wert ähnliche Erfolge zu erringen wie die drei daneben angeführten Bücher, Wir sind jedoch garnicht der Ansicht, daß in ihnen der Maßstab zu finden sei, mit dem diese neueste Geschichte der deutschen Literatur zu messe» ist. Freilich ist sie auch keine für ausschließlich gelehrte Zwecke bestimmte Arbeit. Dazu machen sie auch nicht die am Schlüsse angefügten Anmerkungen, so dankbar wir dem Verfasser für dieselben sind. Dienen sie auch nicht dazu, eine aus¬ führliche Rechtfertigung, deren so manche Ansicht Schcrers bedürftig ist, zu bieten, so zeigen sie doch den Weg, den er bei seiner Forschung genommen hat, und erläutern mancherlei Dinge, über welche der Text uns unaufgeklärt läßt. Gleich im Eingänge der Anmerkungen lesen wir die ausdrückliche Erklärung des Verfassers, die den Kundigen nur durch ihre Form überraschen wird, daß für den das Mittelalter behandelnden Teil die Ansichten Müllenhoffs, des Lehrers Scherers, von weitgehendsten Einflüsse gewesen sind, so sehr, daß für Scherer sich „Eigenes und Fremdes unauflöslich vermischte," wir also hier ein Werk des vereinigten Müllenhoff-Schererschen Geistes vor uns haben. Gewiß wird es für den Forscher von großem Interesse sein, hier einmal eine voll¬ ständige Literaturgeschichte von diesem Gesichtspunkte aus vor sich zu haben; dennoch wird er bei seinen Arbeiten lieber zu dem trefflichen Werke Wilhelm Wackernagels greifen, das ihn in knappester Form über den Stand der Forschung orientirt und den verschiedenen Ansichten ihr Recht vollkommen angedeihen läßt. Leider fehlt uns noch immer der zweite Band des vielen unentbehrlich ge¬ wordenen Werkes, der hoffentlich nicht mehr zu lange auf sich warten läßt. Allen den genannten Werken also können wir Scherers Geschichte der deutschen Literatur nicht an die Seite stellen. Welcher andern Darstellung ist sie un» zu vergleichen? Hat sie überhaupt ihresgleichen? Scherer selbst giebt uns die Antwort auf diese Frage. In seiner „Geschichte der deutschen Dich¬ tung im 11. und 12. Jahrhundert," einem Hefte jener trefflichen Sammlung von Abhandlungen, die unter dem Titel „Quellen und Forschungen zur Sprach-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/304>, abgerufen am 02.10.2024.