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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die Antik zum neuen Aktiengesetz,

Kann es da Wunder nehmen, wenn oft Dinge vorgekommen sind, welche nur
aus dem Maugel alles Bewußtseins, der Gesellschaft mit Pflichten gegenüber¬
zustehen, sich erklären lassen? Man findet es entsetzlich, daß die Vorstände der
Gesellschaft die Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes
beweisen sollen. Als ob nicht jeder, welcher fremde Geschäfte führt, der Vor¬
mund, der Beamte, der Bevollmächtigte u, s, w,, darlegen müßte, was er in
Ausführung dieser Geschäfte gethan habe!

Was nun den Grundsatz betrifft, daß den mir mit Kapital bei einem
Geschäfte Beteiligten die Leitung des Geschäftes nichts angehe, so übersieht
Delbrück den wesentlichen Unterschied, der zwischen einer stillen Gesellschaft und
Kommanditgesellschaft einerseits und einer Aktiengesellschaft andrerseits besteht.
Bei jenen haftet der geschäftsleitende Inhaber des Geschäfts für alle Schulden
der Gesellschaft mit seinem gesamten Vermögen. Bei dieser haftet der geschäfts--
leitende Vorstand nur in dem Umfange seines Aktienbesitzes. Durch jene Haft¬
barkeit wird aber das Interesse des Geschäftsleiters an dem Wohlergehen der
Gesellschaft ganz anders angespannt, als durch diese. Geht eine Gesellschaft der
ersten Art zu Grunde, so geht der Geschäftsinhaber selbst zu Grunde, da er
bis zu seinem letzten Pfennig die Schulden der Gesellschaft bezahlen muß. Geht
aber eine Aktiengesellschaft zu Grunde, so kann der Vorstand trotz des Verlustes
seines Aktienkapitals als ein sehr wohlhabender Mann daraus hervorgehen. Ist
er z. B. an der Aktiengesellschaft mit 10 000 Mark beteiligt und kann er ein
Geschäft eingehen, welches zwar die Gesellschaft benachteiligt, ihm selbst aber
100 000 Mark Gewinn einbringt, so kann er beruhigt den Nachteil über die
Gesellschaft ergehen lassen, da, wenn er auch sein ganzes Aktienkapital dadurch
verlöre, er den zehnfachen Ersatz dafür in der Tasche hätte. In dieser möglichen
Kollision der persönlichen Interessen der leitenden Organe mit den Interessen
der Gesellschaft, welche bei der stillen Gesellschaft und der Kommanditgesellschaft
nicht in gleichem Maße droht, liegt die Hauptgefahr des Aktienwesens.

Es ist ja möglich, daß die begeisterte Schilderung, welche Delbrück von den
geistigen Kräften macht, die dem toten Kapital erst Leben einflößen, wirklich auf
ein Gründerkonsortium oder einen von den Aktionären gewählten Vorstand paßt.
Es ist auch möglich, daß, eine Generalversammlung der Aktionäre die ihr durch
das Gesetz vorbehaltenen Befugnisse in der Art übt, daß sie unvernünftige und
dem Wohle des Ganzen nachteilige Beschlüsse faßt. Es ist möglich, daß z. B.
"ein weggejagter Kommis" durch die Enthüllungen, die er in der General¬
versammlung macht, einen sehr nachteiligen Einfluß übt. Aber wenn die General¬
versammlung eine so unberechenbare Größe ist, welche Garantie liegt denn dafür
vor, daß die erste Generalversammlung, welcher die Vorstandswahl obliegt, dazu
stets die einsichtsvollsten und redlichsten Männer wähle, jede folgende General¬
versammlung aber nur als eine gedankenlose, leicht bethörbare Masse zu be¬
trachten sei? Und vor allem muß doch die Frage gestellt werden: Hat denn


Die Antik zum neuen Aktiengesetz,

Kann es da Wunder nehmen, wenn oft Dinge vorgekommen sind, welche nur
aus dem Maugel alles Bewußtseins, der Gesellschaft mit Pflichten gegenüber¬
zustehen, sich erklären lassen? Man findet es entsetzlich, daß die Vorstände der
Gesellschaft die Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes
beweisen sollen. Als ob nicht jeder, welcher fremde Geschäfte führt, der Vor¬
mund, der Beamte, der Bevollmächtigte u, s, w,, darlegen müßte, was er in
Ausführung dieser Geschäfte gethan habe!

Was nun den Grundsatz betrifft, daß den mir mit Kapital bei einem
Geschäfte Beteiligten die Leitung des Geschäftes nichts angehe, so übersieht
Delbrück den wesentlichen Unterschied, der zwischen einer stillen Gesellschaft und
Kommanditgesellschaft einerseits und einer Aktiengesellschaft andrerseits besteht.
Bei jenen haftet der geschäftsleitende Inhaber des Geschäfts für alle Schulden
der Gesellschaft mit seinem gesamten Vermögen. Bei dieser haftet der geschäfts--
leitende Vorstand nur in dem Umfange seines Aktienbesitzes. Durch jene Haft¬
barkeit wird aber das Interesse des Geschäftsleiters an dem Wohlergehen der
Gesellschaft ganz anders angespannt, als durch diese. Geht eine Gesellschaft der
ersten Art zu Grunde, so geht der Geschäftsinhaber selbst zu Grunde, da er
bis zu seinem letzten Pfennig die Schulden der Gesellschaft bezahlen muß. Geht
aber eine Aktiengesellschaft zu Grunde, so kann der Vorstand trotz des Verlustes
seines Aktienkapitals als ein sehr wohlhabender Mann daraus hervorgehen. Ist
er z. B. an der Aktiengesellschaft mit 10 000 Mark beteiligt und kann er ein
Geschäft eingehen, welches zwar die Gesellschaft benachteiligt, ihm selbst aber
100 000 Mark Gewinn einbringt, so kann er beruhigt den Nachteil über die
Gesellschaft ergehen lassen, da, wenn er auch sein ganzes Aktienkapital dadurch
verlöre, er den zehnfachen Ersatz dafür in der Tasche hätte. In dieser möglichen
Kollision der persönlichen Interessen der leitenden Organe mit den Interessen
der Gesellschaft, welche bei der stillen Gesellschaft und der Kommanditgesellschaft
nicht in gleichem Maße droht, liegt die Hauptgefahr des Aktienwesens.

Es ist ja möglich, daß die begeisterte Schilderung, welche Delbrück von den
geistigen Kräften macht, die dem toten Kapital erst Leben einflößen, wirklich auf
ein Gründerkonsortium oder einen von den Aktionären gewählten Vorstand paßt.
Es ist auch möglich, daß, eine Generalversammlung der Aktionäre die ihr durch
das Gesetz vorbehaltenen Befugnisse in der Art übt, daß sie unvernünftige und
dem Wohle des Ganzen nachteilige Beschlüsse faßt. Es ist möglich, daß z. B.
„ein weggejagter Kommis" durch die Enthüllungen, die er in der General¬
versammlung macht, einen sehr nachteiligen Einfluß übt. Aber wenn die General¬
versammlung eine so unberechenbare Größe ist, welche Garantie liegt denn dafür
vor, daß die erste Generalversammlung, welcher die Vorstandswahl obliegt, dazu
stets die einsichtsvollsten und redlichsten Männer wähle, jede folgende General¬
versammlung aber nur als eine gedankenlose, leicht bethörbare Masse zu be¬
trachten sei? Und vor allem muß doch die Frage gestellt werden: Hat denn


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[0286] Die Antik zum neuen Aktiengesetz, Kann es da Wunder nehmen, wenn oft Dinge vorgekommen sind, welche nur aus dem Maugel alles Bewußtseins, der Gesellschaft mit Pflichten gegenüber¬ zustehen, sich erklären lassen? Man findet es entsetzlich, daß die Vorstände der Gesellschaft die Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes beweisen sollen. Als ob nicht jeder, welcher fremde Geschäfte führt, der Vor¬ mund, der Beamte, der Bevollmächtigte u, s, w,, darlegen müßte, was er in Ausführung dieser Geschäfte gethan habe! Was nun den Grundsatz betrifft, daß den mir mit Kapital bei einem Geschäfte Beteiligten die Leitung des Geschäftes nichts angehe, so übersieht Delbrück den wesentlichen Unterschied, der zwischen einer stillen Gesellschaft und Kommanditgesellschaft einerseits und einer Aktiengesellschaft andrerseits besteht. Bei jenen haftet der geschäftsleitende Inhaber des Geschäfts für alle Schulden der Gesellschaft mit seinem gesamten Vermögen. Bei dieser haftet der geschäfts-- leitende Vorstand nur in dem Umfange seines Aktienbesitzes. Durch jene Haft¬ barkeit wird aber das Interesse des Geschäftsleiters an dem Wohlergehen der Gesellschaft ganz anders angespannt, als durch diese. Geht eine Gesellschaft der ersten Art zu Grunde, so geht der Geschäftsinhaber selbst zu Grunde, da er bis zu seinem letzten Pfennig die Schulden der Gesellschaft bezahlen muß. Geht aber eine Aktiengesellschaft zu Grunde, so kann der Vorstand trotz des Verlustes seines Aktienkapitals als ein sehr wohlhabender Mann daraus hervorgehen. Ist er z. B. an der Aktiengesellschaft mit 10 000 Mark beteiligt und kann er ein Geschäft eingehen, welches zwar die Gesellschaft benachteiligt, ihm selbst aber 100 000 Mark Gewinn einbringt, so kann er beruhigt den Nachteil über die Gesellschaft ergehen lassen, da, wenn er auch sein ganzes Aktienkapital dadurch verlöre, er den zehnfachen Ersatz dafür in der Tasche hätte. In dieser möglichen Kollision der persönlichen Interessen der leitenden Organe mit den Interessen der Gesellschaft, welche bei der stillen Gesellschaft und der Kommanditgesellschaft nicht in gleichem Maße droht, liegt die Hauptgefahr des Aktienwesens. Es ist ja möglich, daß die begeisterte Schilderung, welche Delbrück von den geistigen Kräften macht, die dem toten Kapital erst Leben einflößen, wirklich auf ein Gründerkonsortium oder einen von den Aktionären gewählten Vorstand paßt. Es ist auch möglich, daß, eine Generalversammlung der Aktionäre die ihr durch das Gesetz vorbehaltenen Befugnisse in der Art übt, daß sie unvernünftige und dem Wohle des Ganzen nachteilige Beschlüsse faßt. Es ist möglich, daß z. B. „ein weggejagter Kommis" durch die Enthüllungen, die er in der General¬ versammlung macht, einen sehr nachteiligen Einfluß übt. Aber wenn die General¬ versammlung eine so unberechenbare Größe ist, welche Garantie liegt denn dafür vor, daß die erste Generalversammlung, welcher die Vorstandswahl obliegt, dazu stets die einsichtsvollsten und redlichsten Männer wähle, jede folgende General¬ versammlung aber nur als eine gedankenlose, leicht bethörbare Masse zu be¬ trachten sei? Und vor allem muß doch die Frage gestellt werden: Hat denn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/286>, abgerufen am 02.07.2024.