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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Vie Kritik zum neuen Aktiengesetz.

die Erfahrung der letzten dreizehn Jahre die Gründer, Vorstände und Aufsichts¬
rate der Gesellschaften durchweg als so ganz vortreffliche Menschen ausgewiesen,
daß man ihnen unmöglich Beschränkungen auferlegen könne? Ist es wirklich
gerechtfertigt, zu behaupte", das von den simpeln Aktionären vertretene Kapital
sei nichts besseres wert, als für das Feldherrntalent der Gründer und Vorstände
als Kanonenfutter zu dienen?

Es giebt überhaupt kein Gebiet der Gesetzgebung, auf welchem sich Vor¬
schriften von absolutem Werte schaffen ließen. Was man auch bestimmen mag,
so läßt sich in der Regel der Sache auch eine Kehrseite abgewinnen, bei welcher
die Vorschrift minder günstig wirkt. Die Gesetzgebung kann immer nur das
relativ Beste schaffen.*) Über die Frage des relativ Besten muß aber vor
allem die Erfahrung entscheiden. Deshalb kann es uns nicht rühren, wenn
Delbrück uns einzelne Fälle vorführt, in welchen die Vorschriften des Entwurfs
auch zu Unzuträglichkeiten führen könnten. Man wird die große Mehrzahl der
Fälle in Betracht zu ziehen haben. Es kann uns auch nicht rühren, wenn er
uns ausmalt, wie durch die Beschränkungen des Entwurfs der hohe Flug,
welchen Handel und Industrie mittelst der Kapitalassoziativn nehmen können,
gelähmt werde, nachdem wir erlebt haben, daß durch den hohen Flug, welchen
dieselben vor einem Jahrzehnt in der That genommen hatten, dem deutscheu
Volke Milliarden verloren gegangen sind. Daß man bei der Wahl desjenigen,
was man an die Stelle des Bestehenden setzen solle, verschiedener Meinung
sein kann, liegt in der Natur menschlicher Verhältnisse. In dieser Beziehung
haben die obengedachten unterweilen Besprechungen manches wohl Beachtens¬
werte gebracht. Auch Delbrück hätte sich ein Verdienst erwerben können, wenn
er aus seinen gewiß reichen Erfahrungen im Sinne des Grundgedankens des
Entwurfs bessernde Einzelvorschläge gemacht hätte. Das aber, was er am Schlüsse
seiner Schrift Positives bringt, ist so nichtssagend, daß man in Verlegenheit
wäre, sollte man danach einen Gesetzentwurf anfertigen. Auch bei dieser Ge¬
legenheit wiederholt er überdies, daß "bis zur Umarbeitung des Handelsgesetz¬
buches" sehr wohl jede Reform unterbleiben könne. Jeder Leser wird hiernach
aus der Schrift Delbrücks den Eindruck gewinnen, daß derselbe eigentlich
garnichts will. Daß aber, nachdem seit langen Jahren die öffentliche Meinung
von ganz Deutschland laut eine Reform des Aktienwesens verlangt hat, ein
Mann von der Stellung Delbrücks öffentlich auftritt mit einer Erklärung,
welche frei übersetzt etwa dahin lautet: "Das alles ist dummes Zeug! Im
Interesse des Handels muß alles beim Alten bleiben. Oder man darf höchstens
ein Gesetz erlassen nach dem Satze: Wäsche mir den Pelz, aber macht mich
nicht naß!" -- das ist auch ein Zeichen der Zeit.





*) Eine vortreffliche Illustration dieser Lehre enthielt die jüngst im preußischen
Abgcvrdnetcnhnuse gehaltene Rede des Ministerialdirektors Burghart über die neuen
Steuergesetze. '
Vie Kritik zum neuen Aktiengesetz.

die Erfahrung der letzten dreizehn Jahre die Gründer, Vorstände und Aufsichts¬
rate der Gesellschaften durchweg als so ganz vortreffliche Menschen ausgewiesen,
daß man ihnen unmöglich Beschränkungen auferlegen könne? Ist es wirklich
gerechtfertigt, zu behaupte», das von den simpeln Aktionären vertretene Kapital
sei nichts besseres wert, als für das Feldherrntalent der Gründer und Vorstände
als Kanonenfutter zu dienen?

Es giebt überhaupt kein Gebiet der Gesetzgebung, auf welchem sich Vor¬
schriften von absolutem Werte schaffen ließen. Was man auch bestimmen mag,
so läßt sich in der Regel der Sache auch eine Kehrseite abgewinnen, bei welcher
die Vorschrift minder günstig wirkt. Die Gesetzgebung kann immer nur das
relativ Beste schaffen.*) Über die Frage des relativ Besten muß aber vor
allem die Erfahrung entscheiden. Deshalb kann es uns nicht rühren, wenn
Delbrück uns einzelne Fälle vorführt, in welchen die Vorschriften des Entwurfs
auch zu Unzuträglichkeiten führen könnten. Man wird die große Mehrzahl der
Fälle in Betracht zu ziehen haben. Es kann uns auch nicht rühren, wenn er
uns ausmalt, wie durch die Beschränkungen des Entwurfs der hohe Flug,
welchen Handel und Industrie mittelst der Kapitalassoziativn nehmen können,
gelähmt werde, nachdem wir erlebt haben, daß durch den hohen Flug, welchen
dieselben vor einem Jahrzehnt in der That genommen hatten, dem deutscheu
Volke Milliarden verloren gegangen sind. Daß man bei der Wahl desjenigen,
was man an die Stelle des Bestehenden setzen solle, verschiedener Meinung
sein kann, liegt in der Natur menschlicher Verhältnisse. In dieser Beziehung
haben die obengedachten unterweilen Besprechungen manches wohl Beachtens¬
werte gebracht. Auch Delbrück hätte sich ein Verdienst erwerben können, wenn
er aus seinen gewiß reichen Erfahrungen im Sinne des Grundgedankens des
Entwurfs bessernde Einzelvorschläge gemacht hätte. Das aber, was er am Schlüsse
seiner Schrift Positives bringt, ist so nichtssagend, daß man in Verlegenheit
wäre, sollte man danach einen Gesetzentwurf anfertigen. Auch bei dieser Ge¬
legenheit wiederholt er überdies, daß „bis zur Umarbeitung des Handelsgesetz¬
buches" sehr wohl jede Reform unterbleiben könne. Jeder Leser wird hiernach
aus der Schrift Delbrücks den Eindruck gewinnen, daß derselbe eigentlich
garnichts will. Daß aber, nachdem seit langen Jahren die öffentliche Meinung
von ganz Deutschland laut eine Reform des Aktienwesens verlangt hat, ein
Mann von der Stellung Delbrücks öffentlich auftritt mit einer Erklärung,
welche frei übersetzt etwa dahin lautet: „Das alles ist dummes Zeug! Im
Interesse des Handels muß alles beim Alten bleiben. Oder man darf höchstens
ein Gesetz erlassen nach dem Satze: Wäsche mir den Pelz, aber macht mich
nicht naß!" — das ist auch ein Zeichen der Zeit.





*) Eine vortreffliche Illustration dieser Lehre enthielt die jüngst im preußischen
Abgcvrdnetcnhnuse gehaltene Rede des Ministerialdirektors Burghart über die neuen
Steuergesetze. '
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/287>, abgerufen am 30.06.2024.