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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Vie Rritik zum neuen Aktiengesetz.

Welche dem zu wirtschaftlichen Schöpfungen verwendeten Gelde erst das Leben
einhauchen, nicht die Erkenntnis von der großen Bedeutung, welche für unsre
wirtschaftliche Entwicklung und ebenso für die Ordnung unsrer sozialen Zustände
die Kapitalassoziation hat, nicht solche Gesichtspunkte haben die Verfasser des
Entwurfs geleitet. Den Kapitalisten wollten sie schützen, sein Geld, das er,
wenn er ohne Prüfung öffentlichen Angeboten nachläuft, bei solchen Schöpfungen
verlieren könnte, ihm retten und ihn vor den Täuschungen gewinnsüchtiger Unter¬
nehmer bewahren. Dem toten Kapital ist eine ungebührliche Bedeutung ge¬
geben und ihm ein Einfluß zu sicher" versucht, den es der Natur der Sache
nach nicht haben kann."

Diese Tendenz, meint Delbrück, habe zu der "schiefen Vorstellung" ge¬
führt, daß die Generalversammlung der Aktionäre das eigentliche Willensorgan,
der Vorstand dagegen nur Ausführungsorgan und der Aufsichtsrat Kontrol-
organ der Gesellschaft sei. Eine solche Berücksichtigung der nur mit ihrem
Kapital beteiligte" Aktionäre, der Schutz, welchen das Gesetz denselben gegen
die Machtvollkommenheit des Vorstandes erteilen wolle, erwecke bei dem arbeit¬
samen, mit den geschäftlichen Verhältnissen vertrauten Geschäftsmanne großes
Erstaunen und rufe den Eindruck hervor, als ob die natürlichen Verhältnisse
geradezu auf den Kopf gestellt werden sollten. Durch jene Auffassung des
Verhältnisses trete der Entwurf in Widerspruch mit allen bisherigen Grund¬
sätzen des Handelsrechts, wonach der bloß mit Kapital Beteiligte keinen Anspruch
auf Leitung des Geschäfts habe. Zwischen der Aktiengesellschaft, der Kommandite
und der stillen Gesellschaft sei kein prinzipieller Unterschied: vom kaufmännischen
Standpunkte seien alle drei der Sache nach dasselbe. Bei der stillen und
Kommanditgesellschaft sei nun der Gedanke mit voller Schärfe durchgeführt, daß
die stillen Gesellschafter und Kommanditisten bei der Leitung des Geschäftes
"indes hineinzusprechen haben. Warum denn nun bei Aktiengesellschaften etwas
andres gelten solle? Nach dem Entwürfe sollen "Vorstand und Aufsichtsrat als
vom Willen der Gesamtheit der Aktionäre abhängige Organe sich fühlen." Sie
sollen zu einer umsichtigen Erfüllung ihrer Pflichten dadurch angehalten werden,
daß ihre Verantwortlichkeit für Unterlassungen oder begangene Versehen ver¬
schärft wird. Sie sollen ans Erfordern beweisen, daß sie die Sorgfalt eines
ordentlichen Geschäftsmanns angewendet haben. Ja es sollen sogar auch einer
gewissen Minderheit der Generalversammlung bestimmte, auf Verantwortlich-
machung des Vorstandes gerichtete Rechte eingeräumt werde".

An dieser Ausführung ist zunächst das interessant, daß sie ein beredtes
Zeugnis dafür giebt, wie unsre kaufmännischen Notabilitäten, selbst so hoch
stehende wie Herr Delbrück, bisher die Stellung des Vorstandes und Aufsichts¬
rates einer Aktiengesellschaft aufgefaßt, wie sie sich als die souveränen Herren
derselben betrachtet und auf die blöde Masse der Aktionäre, welche nur ihr
lumpiges Kapital zu der Sache gegeben, mit Geringschätzung herabgeblickt haben.


Vie Rritik zum neuen Aktiengesetz.

Welche dem zu wirtschaftlichen Schöpfungen verwendeten Gelde erst das Leben
einhauchen, nicht die Erkenntnis von der großen Bedeutung, welche für unsre
wirtschaftliche Entwicklung und ebenso für die Ordnung unsrer sozialen Zustände
die Kapitalassoziation hat, nicht solche Gesichtspunkte haben die Verfasser des
Entwurfs geleitet. Den Kapitalisten wollten sie schützen, sein Geld, das er,
wenn er ohne Prüfung öffentlichen Angeboten nachläuft, bei solchen Schöpfungen
verlieren könnte, ihm retten und ihn vor den Täuschungen gewinnsüchtiger Unter¬
nehmer bewahren. Dem toten Kapital ist eine ungebührliche Bedeutung ge¬
geben und ihm ein Einfluß zu sicher» versucht, den es der Natur der Sache
nach nicht haben kann."

Diese Tendenz, meint Delbrück, habe zu der „schiefen Vorstellung" ge¬
führt, daß die Generalversammlung der Aktionäre das eigentliche Willensorgan,
der Vorstand dagegen nur Ausführungsorgan und der Aufsichtsrat Kontrol-
organ der Gesellschaft sei. Eine solche Berücksichtigung der nur mit ihrem
Kapital beteiligte» Aktionäre, der Schutz, welchen das Gesetz denselben gegen
die Machtvollkommenheit des Vorstandes erteilen wolle, erwecke bei dem arbeit¬
samen, mit den geschäftlichen Verhältnissen vertrauten Geschäftsmanne großes
Erstaunen und rufe den Eindruck hervor, als ob die natürlichen Verhältnisse
geradezu auf den Kopf gestellt werden sollten. Durch jene Auffassung des
Verhältnisses trete der Entwurf in Widerspruch mit allen bisherigen Grund¬
sätzen des Handelsrechts, wonach der bloß mit Kapital Beteiligte keinen Anspruch
auf Leitung des Geschäfts habe. Zwischen der Aktiengesellschaft, der Kommandite
und der stillen Gesellschaft sei kein prinzipieller Unterschied: vom kaufmännischen
Standpunkte seien alle drei der Sache nach dasselbe. Bei der stillen und
Kommanditgesellschaft sei nun der Gedanke mit voller Schärfe durchgeführt, daß
die stillen Gesellschafter und Kommanditisten bei der Leitung des Geschäftes
"indes hineinzusprechen haben. Warum denn nun bei Aktiengesellschaften etwas
andres gelten solle? Nach dem Entwürfe sollen „Vorstand und Aufsichtsrat als
vom Willen der Gesamtheit der Aktionäre abhängige Organe sich fühlen." Sie
sollen zu einer umsichtigen Erfüllung ihrer Pflichten dadurch angehalten werden,
daß ihre Verantwortlichkeit für Unterlassungen oder begangene Versehen ver¬
schärft wird. Sie sollen ans Erfordern beweisen, daß sie die Sorgfalt eines
ordentlichen Geschäftsmanns angewendet haben. Ja es sollen sogar auch einer
gewissen Minderheit der Generalversammlung bestimmte, auf Verantwortlich-
machung des Vorstandes gerichtete Rechte eingeräumt werde».

An dieser Ausführung ist zunächst das interessant, daß sie ein beredtes
Zeugnis dafür giebt, wie unsre kaufmännischen Notabilitäten, selbst so hoch
stehende wie Herr Delbrück, bisher die Stellung des Vorstandes und Aufsichts¬
rates einer Aktiengesellschaft aufgefaßt, wie sie sich als die souveränen Herren
derselben betrachtet und auf die blöde Masse der Aktionäre, welche nur ihr
lumpiges Kapital zu der Sache gegeben, mit Geringschätzung herabgeblickt haben.


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[0285] Vie Rritik zum neuen Aktiengesetz. Welche dem zu wirtschaftlichen Schöpfungen verwendeten Gelde erst das Leben einhauchen, nicht die Erkenntnis von der großen Bedeutung, welche für unsre wirtschaftliche Entwicklung und ebenso für die Ordnung unsrer sozialen Zustände die Kapitalassoziation hat, nicht solche Gesichtspunkte haben die Verfasser des Entwurfs geleitet. Den Kapitalisten wollten sie schützen, sein Geld, das er, wenn er ohne Prüfung öffentlichen Angeboten nachläuft, bei solchen Schöpfungen verlieren könnte, ihm retten und ihn vor den Täuschungen gewinnsüchtiger Unter¬ nehmer bewahren. Dem toten Kapital ist eine ungebührliche Bedeutung ge¬ geben und ihm ein Einfluß zu sicher» versucht, den es der Natur der Sache nach nicht haben kann." Diese Tendenz, meint Delbrück, habe zu der „schiefen Vorstellung" ge¬ führt, daß die Generalversammlung der Aktionäre das eigentliche Willensorgan, der Vorstand dagegen nur Ausführungsorgan und der Aufsichtsrat Kontrol- organ der Gesellschaft sei. Eine solche Berücksichtigung der nur mit ihrem Kapital beteiligte» Aktionäre, der Schutz, welchen das Gesetz denselben gegen die Machtvollkommenheit des Vorstandes erteilen wolle, erwecke bei dem arbeit¬ samen, mit den geschäftlichen Verhältnissen vertrauten Geschäftsmanne großes Erstaunen und rufe den Eindruck hervor, als ob die natürlichen Verhältnisse geradezu auf den Kopf gestellt werden sollten. Durch jene Auffassung des Verhältnisses trete der Entwurf in Widerspruch mit allen bisherigen Grund¬ sätzen des Handelsrechts, wonach der bloß mit Kapital Beteiligte keinen Anspruch auf Leitung des Geschäfts habe. Zwischen der Aktiengesellschaft, der Kommandite und der stillen Gesellschaft sei kein prinzipieller Unterschied: vom kaufmännischen Standpunkte seien alle drei der Sache nach dasselbe. Bei der stillen und Kommanditgesellschaft sei nun der Gedanke mit voller Schärfe durchgeführt, daß die stillen Gesellschafter und Kommanditisten bei der Leitung des Geschäftes "indes hineinzusprechen haben. Warum denn nun bei Aktiengesellschaften etwas andres gelten solle? Nach dem Entwürfe sollen „Vorstand und Aufsichtsrat als vom Willen der Gesamtheit der Aktionäre abhängige Organe sich fühlen." Sie sollen zu einer umsichtigen Erfüllung ihrer Pflichten dadurch angehalten werden, daß ihre Verantwortlichkeit für Unterlassungen oder begangene Versehen ver¬ schärft wird. Sie sollen ans Erfordern beweisen, daß sie die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns angewendet haben. Ja es sollen sogar auch einer gewissen Minderheit der Generalversammlung bestimmte, auf Verantwortlich- machung des Vorstandes gerichtete Rechte eingeräumt werde». An dieser Ausführung ist zunächst das interessant, daß sie ein beredtes Zeugnis dafür giebt, wie unsre kaufmännischen Notabilitäten, selbst so hoch stehende wie Herr Delbrück, bisher die Stellung des Vorstandes und Aufsichts¬ rates einer Aktiengesellschaft aufgefaßt, wie sie sich als die souveränen Herren derselben betrachtet und auf die blöde Masse der Aktionäre, welche nur ihr lumpiges Kapital zu der Sache gegeben, mit Geringschätzung herabgeblickt haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/285>, abgerufen am 03.07.2024.