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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die niederländische Genre- und Tandschaftsmalerei.

kulturgeschichtlich äußerst merkwürdige Bild zuerst weiteren Kreisen bekannt
gemacht hat, läßt es um die Mitte des 15. Jahrhunderts entstanden sein.

Das vierte Beispiel, welches wir anführen wollten, ist jenes schon er¬
wähnte Bild im Louvre von Quintin Massijs "Der Gvldwäger und seine Frau."
Es ist ebenfalls eines der frühesten niederländischen Genrebilder, führt uns aber
bereits, da es 1518 gemalt ist, in das sechzehnte Jahrhundert. Hier ist der
Mann beschäftigt, auf seiner Wage das Vollgewicht von Goldstücken zu prüfen,
und die Frau blickt über ihr Gebetbuch hinweg seiner Hantierung zu. Auf dem
Tische steht dem Wäger zunächst jene messingne Kapsel mit den kleinen Gewicht¬
stücken, und nicht weit davon ein Hohlspiegel, in welchem ein ganzes Fenster
und ein lesender Mann, offenbar der Bewohner des gegenüberliegenden Hauses,
widergespiegelt werden. Auf dem Tische befinden sich ferner ein hoher Krystall-
Pokal mit goldnem Deckel und ein kleiner Stab, auf welchem Ringe aufgezogen
sind. So werden noch heute die Ringe bei unsern Juweliern aufbewahrt.
Hinter dem Paare sind an der Wand zwei Bretter über einander angebracht,
auf welchen allerlei Gerät, ein Leuchter, eine Wasserflasche, eine Schüssel, eine
Wage, ferner eine Orange und eine Anzahl Bücher liegen. Man darf wohl
annehmen, daß wir hier das Komptor eines Geldwechslers vor uns haben,
welcher zugleich Pfandleiher war. Der Tisch ist mit grünem Tuch bedeckt,
welches an der Kante mit Nägeln befestigt ist.

In den kleinen Spiegelbildern haben wir die Vorläufer jener bewunderungs¬
würdigen Meisterstücke der Feinmalerei zu sehen, mit welchen später Davidsz
de Heem und andre Stilllebenmaler ihren Frühstücksbildern noch einen be¬
sondern Reiz verliehen, indem sie in dem grünen Glase und dem goldnen Weine
der Römer ganze Zimmer und Straßen wiederspiegelten.

Besitzen wir auch von Jan van Eyck kein eigentliches Genrebild, so ist
uns doch durch literarische Überlieferung bezeugt, daß er wenigstens drei solche
gemalt hat. Ein italienischer Humanist des fünfzehnten Jahrhunderts, Bartho-
lomäus Facius aus Spezzia, welcher lange Zeit am Hofe des Königs Alfons
von Neapel lebte, verfaßte im Jahre 1456 ein Buch "Von berühmten Männern"
(De viris illuLtribus). Neben Dichtern, Rednern, Humanisten, Ärzten und Rechts¬
gelehrten mußten in einem Lande wie Italien auch die Künstler berücksichtigt
werden. Da ist es nun bezeichnend für die Wertschätzung, deren sich damals
die flandrischen Künstler in Italien erfreuten, daß neben zwei italienischen Maler"
auch zwei niederländische, Jan van Eyck und Roger van der Weyden, genannt
werden. Von beiden Meistern waren Gemälde bis in den Süden Italiens
gelangt, und eines derselben, eben jenes Genrebild Jan van Eycks, befand sich
bei einem Kardinal Octavianus, wo es Facius sah. Es stellte nach der Be¬
schreibung desselben das Innere einer Badestube dar. Mau sah Frauen von
schöner Gestalt, nur an gewissen Körperteilen mit einem dünnen Schleier ver¬
hüllt, aus dem Bade steigen. Eine derselben war von vorn gesehen; aber


Die niederländische Genre- und Tandschaftsmalerei.

kulturgeschichtlich äußerst merkwürdige Bild zuerst weiteren Kreisen bekannt
gemacht hat, läßt es um die Mitte des 15. Jahrhunderts entstanden sein.

Das vierte Beispiel, welches wir anführen wollten, ist jenes schon er¬
wähnte Bild im Louvre von Quintin Massijs „Der Gvldwäger und seine Frau."
Es ist ebenfalls eines der frühesten niederländischen Genrebilder, führt uns aber
bereits, da es 1518 gemalt ist, in das sechzehnte Jahrhundert. Hier ist der
Mann beschäftigt, auf seiner Wage das Vollgewicht von Goldstücken zu prüfen,
und die Frau blickt über ihr Gebetbuch hinweg seiner Hantierung zu. Auf dem
Tische steht dem Wäger zunächst jene messingne Kapsel mit den kleinen Gewicht¬
stücken, und nicht weit davon ein Hohlspiegel, in welchem ein ganzes Fenster
und ein lesender Mann, offenbar der Bewohner des gegenüberliegenden Hauses,
widergespiegelt werden. Auf dem Tische befinden sich ferner ein hoher Krystall-
Pokal mit goldnem Deckel und ein kleiner Stab, auf welchem Ringe aufgezogen
sind. So werden noch heute die Ringe bei unsern Juweliern aufbewahrt.
Hinter dem Paare sind an der Wand zwei Bretter über einander angebracht,
auf welchen allerlei Gerät, ein Leuchter, eine Wasserflasche, eine Schüssel, eine
Wage, ferner eine Orange und eine Anzahl Bücher liegen. Man darf wohl
annehmen, daß wir hier das Komptor eines Geldwechslers vor uns haben,
welcher zugleich Pfandleiher war. Der Tisch ist mit grünem Tuch bedeckt,
welches an der Kante mit Nägeln befestigt ist.

In den kleinen Spiegelbildern haben wir die Vorläufer jener bewunderungs¬
würdigen Meisterstücke der Feinmalerei zu sehen, mit welchen später Davidsz
de Heem und andre Stilllebenmaler ihren Frühstücksbildern noch einen be¬
sondern Reiz verliehen, indem sie in dem grünen Glase und dem goldnen Weine
der Römer ganze Zimmer und Straßen wiederspiegelten.

Besitzen wir auch von Jan van Eyck kein eigentliches Genrebild, so ist
uns doch durch literarische Überlieferung bezeugt, daß er wenigstens drei solche
gemalt hat. Ein italienischer Humanist des fünfzehnten Jahrhunderts, Bartho-
lomäus Facius aus Spezzia, welcher lange Zeit am Hofe des Königs Alfons
von Neapel lebte, verfaßte im Jahre 1456 ein Buch „Von berühmten Männern"
(De viris illuLtribus). Neben Dichtern, Rednern, Humanisten, Ärzten und Rechts¬
gelehrten mußten in einem Lande wie Italien auch die Künstler berücksichtigt
werden. Da ist es nun bezeichnend für die Wertschätzung, deren sich damals
die flandrischen Künstler in Italien erfreuten, daß neben zwei italienischen Maler»
auch zwei niederländische, Jan van Eyck und Roger van der Weyden, genannt
werden. Von beiden Meistern waren Gemälde bis in den Süden Italiens
gelangt, und eines derselben, eben jenes Genrebild Jan van Eycks, befand sich
bei einem Kardinal Octavianus, wo es Facius sah. Es stellte nach der Be¬
schreibung desselben das Innere einer Badestube dar. Mau sah Frauen von
schöner Gestalt, nur an gewissen Körperteilen mit einem dünnen Schleier ver¬
hüllt, aus dem Bade steigen. Eine derselben war von vorn gesehen; aber


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[0252] Die niederländische Genre- und Tandschaftsmalerei. kulturgeschichtlich äußerst merkwürdige Bild zuerst weiteren Kreisen bekannt gemacht hat, läßt es um die Mitte des 15. Jahrhunderts entstanden sein. Das vierte Beispiel, welches wir anführen wollten, ist jenes schon er¬ wähnte Bild im Louvre von Quintin Massijs „Der Gvldwäger und seine Frau." Es ist ebenfalls eines der frühesten niederländischen Genrebilder, führt uns aber bereits, da es 1518 gemalt ist, in das sechzehnte Jahrhundert. Hier ist der Mann beschäftigt, auf seiner Wage das Vollgewicht von Goldstücken zu prüfen, und die Frau blickt über ihr Gebetbuch hinweg seiner Hantierung zu. Auf dem Tische steht dem Wäger zunächst jene messingne Kapsel mit den kleinen Gewicht¬ stücken, und nicht weit davon ein Hohlspiegel, in welchem ein ganzes Fenster und ein lesender Mann, offenbar der Bewohner des gegenüberliegenden Hauses, widergespiegelt werden. Auf dem Tische befinden sich ferner ein hoher Krystall- Pokal mit goldnem Deckel und ein kleiner Stab, auf welchem Ringe aufgezogen sind. So werden noch heute die Ringe bei unsern Juweliern aufbewahrt. Hinter dem Paare sind an der Wand zwei Bretter über einander angebracht, auf welchen allerlei Gerät, ein Leuchter, eine Wasserflasche, eine Schüssel, eine Wage, ferner eine Orange und eine Anzahl Bücher liegen. Man darf wohl annehmen, daß wir hier das Komptor eines Geldwechslers vor uns haben, welcher zugleich Pfandleiher war. Der Tisch ist mit grünem Tuch bedeckt, welches an der Kante mit Nägeln befestigt ist. In den kleinen Spiegelbildern haben wir die Vorläufer jener bewunderungs¬ würdigen Meisterstücke der Feinmalerei zu sehen, mit welchen später Davidsz de Heem und andre Stilllebenmaler ihren Frühstücksbildern noch einen be¬ sondern Reiz verliehen, indem sie in dem grünen Glase und dem goldnen Weine der Römer ganze Zimmer und Straßen wiederspiegelten. Besitzen wir auch von Jan van Eyck kein eigentliches Genrebild, so ist uns doch durch literarische Überlieferung bezeugt, daß er wenigstens drei solche gemalt hat. Ein italienischer Humanist des fünfzehnten Jahrhunderts, Bartho- lomäus Facius aus Spezzia, welcher lange Zeit am Hofe des Königs Alfons von Neapel lebte, verfaßte im Jahre 1456 ein Buch „Von berühmten Männern" (De viris illuLtribus). Neben Dichtern, Rednern, Humanisten, Ärzten und Rechts¬ gelehrten mußten in einem Lande wie Italien auch die Künstler berücksichtigt werden. Da ist es nun bezeichnend für die Wertschätzung, deren sich damals die flandrischen Künstler in Italien erfreuten, daß neben zwei italienischen Maler» auch zwei niederländische, Jan van Eyck und Roger van der Weyden, genannt werden. Von beiden Meistern waren Gemälde bis in den Süden Italiens gelangt, und eines derselben, eben jenes Genrebild Jan van Eycks, befand sich bei einem Kardinal Octavianus, wo es Facius sah. Es stellte nach der Be¬ schreibung desselben das Innere einer Badestube dar. Mau sah Frauen von schöner Gestalt, nur an gewissen Körperteilen mit einem dünnen Schleier ver¬ hüllt, aus dem Bade steigen. Eine derselben war von vorn gesehen; aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/252>, abgerufen am 02.07.2024.