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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die niederländische Genre- und Tandschaftsmalerei.

hinter ihr war ein Spiegel aufgestellt, welcher auch ihren Rücken wiederspiegelte,
sodaß man ihre ganze Gestalt würdigen konnte. "Auf demselben Gemälde ist
zu sehen im Bade eine Lampe, welche zu brennen scheint, ein schwitzendes altes
Weib, ein Hund, der Wasser schlürft, und Pferde und Menschen von ganz kleiner
Gestalt, Berge, Wälder, Dörfer und Schlösser mit solcher Kunst wiedergegeben,
daß die einen Gegenstände von den andern um fünfzigtausend Schritt entfernt
zu sein scheinen." Vermutlich war diese Landschaft und Figuren durch das
offene Fenster der Badestube zu sehen. "Aber nichts war in diesem Werke
bewunderungswürdiger, schreibt Facius weiter, als der auf dem Gemälde dar¬
gestellte Spiegel, in welchen alles so hineingemalt worden ist, als ob man es
in einem wirklichen Spiegel erblickte." Wir haben also auch auf diesem ältesten
Genrebilde der niederländischen Schule, von welchem wir Kenntnis besitzen, das
oben mehrfach erwähnte Kunststück mit dem Hohlspiegel und können demnach
kaum noch zweifeln, daß die Einführung dieses Kunststückes Jan van Eyck zum
Urheber hat. Facius macht bei der Beschreibung dieses Gemäldes auch auf
die perspektivischen Kenntnisse Jan van Eycks aufmerksam. In der Einleitung
zu seiner Charakteristik des Malers hatte er schon auf sein gelehrtes Wissen,
besonders in der Geometrie, hingewiesen. An einem andern Gemälde, welches
die Verkündigung Marias und auf den Seitenflügeln den heiligen Johannes
den Täufer und Hieronymus zeigte, rühmt Facius, daß das Studirzimmer des
letzteren mit einem Bücherschranke ausgestattet gewesen sei, welcher so natürlich
dargestellt war, daß er, wenn man etwas von dem Bilde zurücktrat, in den
Hintergrund hineinzugehen, und die Bücher, von denen man aus der Nähe nur
die Rücken sehen konnte, sich ganz auszubreiten schienen. Auf den Außenseiten
der Flügel sah man den Stifter des Altars, Battista Lomellino, und seine
Geliebte, vermutlich in einem Zimmer. Denn Facius bemerkt, daß ein Sonnen¬
strahl zwischen ihnen wie durch eine Ritze hindurchglitt, sodaß man ihn für
einen wirklichen hielt.

Wir sehen selbst aus den knappen Andeutungen des italienischen Humanisten,
daß er mit scharfem Blick drei Eigentümlichkeiten der Kunstfertigkeit Jan van
Eycks, welche augenscheinlich zugleich Neuerungen desselben gewesen sind, heraus¬
gefunden hatte, seine Kenntnis der Perspektive und die sich aus ihr ergebenden
Wirkungen, seine Verwertung des Lichts in Innenräumen und das Kunststück
mit dem Hohlspiegel.

Von der Existenz der beiden andern Genrebilder Jan van Eycks erfahren
wir durch die Aufzeichnungen eines unbekannten Reisenden aus der ersten Hälfte
des sechzehnten Jahrhunderts, dessen Manuskript der Bibliothekar Morelli in
Venedig 1800 herausgegeben hat, weshalb man seinen Verfasser den "Anonymus
des Morelli" nennt. Die Notizen dieses Reisenden beziehen sich auf Gemälde,
welche er in verschiedenen Städten Oberitaliens kennen gelernt hatte. So sah
er in Padua ein Bild von Jan van Eyck, "auf welchem eine Landschaft gemalt


Die niederländische Genre- und Tandschaftsmalerei.

hinter ihr war ein Spiegel aufgestellt, welcher auch ihren Rücken wiederspiegelte,
sodaß man ihre ganze Gestalt würdigen konnte. „Auf demselben Gemälde ist
zu sehen im Bade eine Lampe, welche zu brennen scheint, ein schwitzendes altes
Weib, ein Hund, der Wasser schlürft, und Pferde und Menschen von ganz kleiner
Gestalt, Berge, Wälder, Dörfer und Schlösser mit solcher Kunst wiedergegeben,
daß die einen Gegenstände von den andern um fünfzigtausend Schritt entfernt
zu sein scheinen." Vermutlich war diese Landschaft und Figuren durch das
offene Fenster der Badestube zu sehen. „Aber nichts war in diesem Werke
bewunderungswürdiger, schreibt Facius weiter, als der auf dem Gemälde dar¬
gestellte Spiegel, in welchen alles so hineingemalt worden ist, als ob man es
in einem wirklichen Spiegel erblickte." Wir haben also auch auf diesem ältesten
Genrebilde der niederländischen Schule, von welchem wir Kenntnis besitzen, das
oben mehrfach erwähnte Kunststück mit dem Hohlspiegel und können demnach
kaum noch zweifeln, daß die Einführung dieses Kunststückes Jan van Eyck zum
Urheber hat. Facius macht bei der Beschreibung dieses Gemäldes auch auf
die perspektivischen Kenntnisse Jan van Eycks aufmerksam. In der Einleitung
zu seiner Charakteristik des Malers hatte er schon auf sein gelehrtes Wissen,
besonders in der Geometrie, hingewiesen. An einem andern Gemälde, welches
die Verkündigung Marias und auf den Seitenflügeln den heiligen Johannes
den Täufer und Hieronymus zeigte, rühmt Facius, daß das Studirzimmer des
letzteren mit einem Bücherschranke ausgestattet gewesen sei, welcher so natürlich
dargestellt war, daß er, wenn man etwas von dem Bilde zurücktrat, in den
Hintergrund hineinzugehen, und die Bücher, von denen man aus der Nähe nur
die Rücken sehen konnte, sich ganz auszubreiten schienen. Auf den Außenseiten
der Flügel sah man den Stifter des Altars, Battista Lomellino, und seine
Geliebte, vermutlich in einem Zimmer. Denn Facius bemerkt, daß ein Sonnen¬
strahl zwischen ihnen wie durch eine Ritze hindurchglitt, sodaß man ihn für
einen wirklichen hielt.

Wir sehen selbst aus den knappen Andeutungen des italienischen Humanisten,
daß er mit scharfem Blick drei Eigentümlichkeiten der Kunstfertigkeit Jan van
Eycks, welche augenscheinlich zugleich Neuerungen desselben gewesen sind, heraus¬
gefunden hatte, seine Kenntnis der Perspektive und die sich aus ihr ergebenden
Wirkungen, seine Verwertung des Lichts in Innenräumen und das Kunststück
mit dem Hohlspiegel.

Von der Existenz der beiden andern Genrebilder Jan van Eycks erfahren
wir durch die Aufzeichnungen eines unbekannten Reisenden aus der ersten Hälfte
des sechzehnten Jahrhunderts, dessen Manuskript der Bibliothekar Morelli in
Venedig 1800 herausgegeben hat, weshalb man seinen Verfasser den „Anonymus
des Morelli" nennt. Die Notizen dieses Reisenden beziehen sich auf Gemälde,
welche er in verschiedenen Städten Oberitaliens kennen gelernt hatte. So sah
er in Padua ein Bild von Jan van Eyck, „auf welchem eine Landschaft gemalt


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[0253] Die niederländische Genre- und Tandschaftsmalerei. hinter ihr war ein Spiegel aufgestellt, welcher auch ihren Rücken wiederspiegelte, sodaß man ihre ganze Gestalt würdigen konnte. „Auf demselben Gemälde ist zu sehen im Bade eine Lampe, welche zu brennen scheint, ein schwitzendes altes Weib, ein Hund, der Wasser schlürft, und Pferde und Menschen von ganz kleiner Gestalt, Berge, Wälder, Dörfer und Schlösser mit solcher Kunst wiedergegeben, daß die einen Gegenstände von den andern um fünfzigtausend Schritt entfernt zu sein scheinen." Vermutlich war diese Landschaft und Figuren durch das offene Fenster der Badestube zu sehen. „Aber nichts war in diesem Werke bewunderungswürdiger, schreibt Facius weiter, als der auf dem Gemälde dar¬ gestellte Spiegel, in welchen alles so hineingemalt worden ist, als ob man es in einem wirklichen Spiegel erblickte." Wir haben also auch auf diesem ältesten Genrebilde der niederländischen Schule, von welchem wir Kenntnis besitzen, das oben mehrfach erwähnte Kunststück mit dem Hohlspiegel und können demnach kaum noch zweifeln, daß die Einführung dieses Kunststückes Jan van Eyck zum Urheber hat. Facius macht bei der Beschreibung dieses Gemäldes auch auf die perspektivischen Kenntnisse Jan van Eycks aufmerksam. In der Einleitung zu seiner Charakteristik des Malers hatte er schon auf sein gelehrtes Wissen, besonders in der Geometrie, hingewiesen. An einem andern Gemälde, welches die Verkündigung Marias und auf den Seitenflügeln den heiligen Johannes den Täufer und Hieronymus zeigte, rühmt Facius, daß das Studirzimmer des letzteren mit einem Bücherschranke ausgestattet gewesen sei, welcher so natürlich dargestellt war, daß er, wenn man etwas von dem Bilde zurücktrat, in den Hintergrund hineinzugehen, und die Bücher, von denen man aus der Nähe nur die Rücken sehen konnte, sich ganz auszubreiten schienen. Auf den Außenseiten der Flügel sah man den Stifter des Altars, Battista Lomellino, und seine Geliebte, vermutlich in einem Zimmer. Denn Facius bemerkt, daß ein Sonnen¬ strahl zwischen ihnen wie durch eine Ritze hindurchglitt, sodaß man ihn für einen wirklichen hielt. Wir sehen selbst aus den knappen Andeutungen des italienischen Humanisten, daß er mit scharfem Blick drei Eigentümlichkeiten der Kunstfertigkeit Jan van Eycks, welche augenscheinlich zugleich Neuerungen desselben gewesen sind, heraus¬ gefunden hatte, seine Kenntnis der Perspektive und die sich aus ihr ergebenden Wirkungen, seine Verwertung des Lichts in Innenräumen und das Kunststück mit dem Hohlspiegel. Von der Existenz der beiden andern Genrebilder Jan van Eycks erfahren wir durch die Aufzeichnungen eines unbekannten Reisenden aus der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts, dessen Manuskript der Bibliothekar Morelli in Venedig 1800 herausgegeben hat, weshalb man seinen Verfasser den „Anonymus des Morelli" nennt. Die Notizen dieses Reisenden beziehen sich auf Gemälde, welche er in verschiedenen Städten Oberitaliens kennen gelernt hatte. So sah er in Padua ein Bild von Jan van Eyck, „auf welchem eine Landschaft gemalt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/253>, abgerufen am 30.06.2024.