Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Lari von Noorden,

intensiven Vorbereitung und der zielbewußter Energie seines Charakters, so
liegt das Geheimnis seiner pädagogischen Virtuosität doch auf einem andern
Gebiete, Der künstlerische Sinn war es, der ihn auch da beherrschte, wo er
die strenge Methode kritischer Quellenbenutznng lehrte. Nach eignem Geständnis
war er weit entfernt davon, im sachlichen, in der quelleukritischen Untersuchung
selbst aufzugehen. Mit dem Auge des Künstlers ruhte er auf dem spröde"
Stoffe, "In den seminaristischen Arbeiten -- dies sind seine eignen Worte --
reizt mich weniger das kritische Ergebnis als die abgerundete Vollkommenheit
der gehandhabten Methode,"

Noorden selbst war der letzte, sich dieses Vorwalten künstlerischen Hanges
auch in gelehrter Arbeit zum Ruhme anzurechnen. In seiner Bescheidenheit
glaubte er in dem Übergewichte von Anregung über das positive Wissen, welches
er zu vermitteln pflegte, einen Fehler zu entdecken. Wir unsrerseits möchten
gerade in diesem Zuge seines Wesens eine" seltenen Vorzug erblicken, der seiner
Lehrthätigkeit zu ihren schönsten Erfolgen verhalf. Daß er die Richtung auf
Fach und Brot -- für die überwiegende Mehrheit der Studenten ja der natur¬
wüchsige Hang -- durch seine Art zu lehren nicht begünstigte, wird niemand
tadeln wollen. Das Gleichgewicht zwischen Anregung und Wissen stellt sich
bei den meisten von selbst her, Noorden selbst erkannte das und sprach sich
auch in diesem Sinne aus.

Eine andre Gefahr aber lag allerdings nahe, Novrdcns Persönlichkeit
war so mächtig, die Anregung, welche er ausübte, war so nachhaltig, die Energie
seines Wesens wirkte so bestimmend, daß es einem jungen Manne, der sich ihm
als Schüler in Kolleg und Seminar hingegeben hatte, schwer werden mußte,
ihm gegenüber seine Selbständigkeit zu wahren. Ihm selbst blieb dieser Umstand
am wenigsten verborgen, und er beklagte es, daß er seinen Schülern fast regel-
mäßig mit dem fertigen Ergebnis der Forschung entgegentrete und die natür¬
liche Entwicklung ihrer Eigenheit dadurch vielleicht hemme. In treuer Sorge
suchte er die Gefahr, die in diesem Verhältnis lag, abzuwenden, und mit einer
Selbstverleugnung, die wir als den adlichstcn Zug seines Charakters verehren,
entließ er darum gerade die liebsten seiner Schüler, wenn sie einige Semester
bei ihm gewesen waren, aus dem Bereich seines persönlichen Einflusses, damit
sie in andrer Schule -- "bei sachlich tüchtigeren Meistern," wie er zu sagen
pflegte -- Selbständigkeit und Schaffensfähigkcit bewahrten. Einige sind dann
später zu ihm zurückgekehrt, viele blieben in der fremde" Schule und sind eine
Zierde derselben geworden, alle aber bewahren dem Manne, dem sie so viel
verdanke", ein unvergängliches Gedächtnis.

Was Noorden seinen Schülern war, läßt sich nicht mit dem Worte "Lehrer"
erschöpfen. Freund und Berater war er ihnen allen, einige haben einen zweiten
Vater an ihm verloren. Mit diesem und jenem blieb er auch nach seinen,
Abgang von der Universität in brieflichem Verkehr, stand ihm anspornend und


Lari von Noorden,

intensiven Vorbereitung und der zielbewußter Energie seines Charakters, so
liegt das Geheimnis seiner pädagogischen Virtuosität doch auf einem andern
Gebiete, Der künstlerische Sinn war es, der ihn auch da beherrschte, wo er
die strenge Methode kritischer Quellenbenutznng lehrte. Nach eignem Geständnis
war er weit entfernt davon, im sachlichen, in der quelleukritischen Untersuchung
selbst aufzugehen. Mit dem Auge des Künstlers ruhte er auf dem spröde»
Stoffe, „In den seminaristischen Arbeiten — dies sind seine eignen Worte —
reizt mich weniger das kritische Ergebnis als die abgerundete Vollkommenheit
der gehandhabten Methode,"

Noorden selbst war der letzte, sich dieses Vorwalten künstlerischen Hanges
auch in gelehrter Arbeit zum Ruhme anzurechnen. In seiner Bescheidenheit
glaubte er in dem Übergewichte von Anregung über das positive Wissen, welches
er zu vermitteln pflegte, einen Fehler zu entdecken. Wir unsrerseits möchten
gerade in diesem Zuge seines Wesens eine» seltenen Vorzug erblicken, der seiner
Lehrthätigkeit zu ihren schönsten Erfolgen verhalf. Daß er die Richtung auf
Fach und Brot — für die überwiegende Mehrheit der Studenten ja der natur¬
wüchsige Hang — durch seine Art zu lehren nicht begünstigte, wird niemand
tadeln wollen. Das Gleichgewicht zwischen Anregung und Wissen stellt sich
bei den meisten von selbst her, Noorden selbst erkannte das und sprach sich
auch in diesem Sinne aus.

Eine andre Gefahr aber lag allerdings nahe, Novrdcns Persönlichkeit
war so mächtig, die Anregung, welche er ausübte, war so nachhaltig, die Energie
seines Wesens wirkte so bestimmend, daß es einem jungen Manne, der sich ihm
als Schüler in Kolleg und Seminar hingegeben hatte, schwer werden mußte,
ihm gegenüber seine Selbständigkeit zu wahren. Ihm selbst blieb dieser Umstand
am wenigsten verborgen, und er beklagte es, daß er seinen Schülern fast regel-
mäßig mit dem fertigen Ergebnis der Forschung entgegentrete und die natür¬
liche Entwicklung ihrer Eigenheit dadurch vielleicht hemme. In treuer Sorge
suchte er die Gefahr, die in diesem Verhältnis lag, abzuwenden, und mit einer
Selbstverleugnung, die wir als den adlichstcn Zug seines Charakters verehren,
entließ er darum gerade die liebsten seiner Schüler, wenn sie einige Semester
bei ihm gewesen waren, aus dem Bereich seines persönlichen Einflusses, damit
sie in andrer Schule — „bei sachlich tüchtigeren Meistern," wie er zu sagen
pflegte — Selbständigkeit und Schaffensfähigkcit bewahrten. Einige sind dann
später zu ihm zurückgekehrt, viele blieben in der fremde» Schule und sind eine
Zierde derselben geworden, alle aber bewahren dem Manne, dem sie so viel
verdanke», ein unvergängliches Gedächtnis.

Was Noorden seinen Schülern war, läßt sich nicht mit dem Worte „Lehrer"
erschöpfen. Freund und Berater war er ihnen allen, einige haben einen zweiten
Vater an ihm verloren. Mit diesem und jenem blieb er auch nach seinen,
Abgang von der Universität in brieflichem Verkehr, stand ihm anspornend und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0240" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155123"/>
          <fw type="header" place="top"> Lari von Noorden,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_990" prev="#ID_989"> intensiven Vorbereitung und der zielbewußter Energie seines Charakters, so<lb/>
liegt das Geheimnis seiner pädagogischen Virtuosität doch auf einem andern<lb/>
Gebiete, Der künstlerische Sinn war es, der ihn auch da beherrschte, wo er<lb/>
die strenge Methode kritischer Quellenbenutznng lehrte. Nach eignem Geständnis<lb/>
war er weit entfernt davon, im sachlichen, in der quelleukritischen Untersuchung<lb/>
selbst aufzugehen. Mit dem Auge des Künstlers ruhte er auf dem spröde»<lb/>
Stoffe, &#x201E;In den seminaristischen Arbeiten &#x2014; dies sind seine eignen Worte &#x2014;<lb/>
reizt mich weniger das kritische Ergebnis als die abgerundete Vollkommenheit<lb/>
der gehandhabten Methode,"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_991"> Noorden selbst war der letzte, sich dieses Vorwalten künstlerischen Hanges<lb/>
auch in gelehrter Arbeit zum Ruhme anzurechnen. In seiner Bescheidenheit<lb/>
glaubte er in dem Übergewichte von Anregung über das positive Wissen, welches<lb/>
er zu vermitteln pflegte, einen Fehler zu entdecken. Wir unsrerseits möchten<lb/>
gerade in diesem Zuge seines Wesens eine» seltenen Vorzug erblicken, der seiner<lb/>
Lehrthätigkeit zu ihren schönsten Erfolgen verhalf. Daß er die Richtung auf<lb/>
Fach und Brot &#x2014; für die überwiegende Mehrheit der Studenten ja der natur¬<lb/>
wüchsige Hang &#x2014; durch seine Art zu lehren nicht begünstigte, wird niemand<lb/>
tadeln wollen. Das Gleichgewicht zwischen Anregung und Wissen stellt sich<lb/>
bei den meisten von selbst her, Noorden selbst erkannte das und sprach sich<lb/>
auch in diesem Sinne aus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_992"> Eine andre Gefahr aber lag allerdings nahe, Novrdcns Persönlichkeit<lb/>
war so mächtig, die Anregung, welche er ausübte, war so nachhaltig, die Energie<lb/>
seines Wesens wirkte so bestimmend, daß es einem jungen Manne, der sich ihm<lb/>
als Schüler in Kolleg und Seminar hingegeben hatte, schwer werden mußte,<lb/>
ihm gegenüber seine Selbständigkeit zu wahren. Ihm selbst blieb dieser Umstand<lb/>
am wenigsten verborgen, und er beklagte es, daß er seinen Schülern fast regel-<lb/>
mäßig mit dem fertigen Ergebnis der Forschung entgegentrete und die natür¬<lb/>
liche Entwicklung ihrer Eigenheit dadurch vielleicht hemme. In treuer Sorge<lb/>
suchte er die Gefahr, die in diesem Verhältnis lag, abzuwenden, und mit einer<lb/>
Selbstverleugnung, die wir als den adlichstcn Zug seines Charakters verehren,<lb/>
entließ er darum gerade die liebsten seiner Schüler, wenn sie einige Semester<lb/>
bei ihm gewesen waren, aus dem Bereich seines persönlichen Einflusses, damit<lb/>
sie in andrer Schule &#x2014; &#x201E;bei sachlich tüchtigeren Meistern," wie er zu sagen<lb/>
pflegte &#x2014; Selbständigkeit und Schaffensfähigkcit bewahrten. Einige sind dann<lb/>
später zu ihm zurückgekehrt, viele blieben in der fremde» Schule und sind eine<lb/>
Zierde derselben geworden, alle aber bewahren dem Manne, dem sie so viel<lb/>
verdanke», ein unvergängliches Gedächtnis.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_993" next="#ID_994"> Was Noorden seinen Schülern war, läßt sich nicht mit dem Worte &#x201E;Lehrer"<lb/>
erschöpfen. Freund und Berater war er ihnen allen, einige haben einen zweiten<lb/>
Vater an ihm verloren. Mit diesem und jenem blieb er auch nach seinen,<lb/>
Abgang von der Universität in brieflichem Verkehr, stand ihm anspornend und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0240] Lari von Noorden, intensiven Vorbereitung und der zielbewußter Energie seines Charakters, so liegt das Geheimnis seiner pädagogischen Virtuosität doch auf einem andern Gebiete, Der künstlerische Sinn war es, der ihn auch da beherrschte, wo er die strenge Methode kritischer Quellenbenutznng lehrte. Nach eignem Geständnis war er weit entfernt davon, im sachlichen, in der quelleukritischen Untersuchung selbst aufzugehen. Mit dem Auge des Künstlers ruhte er auf dem spröde» Stoffe, „In den seminaristischen Arbeiten — dies sind seine eignen Worte — reizt mich weniger das kritische Ergebnis als die abgerundete Vollkommenheit der gehandhabten Methode," Noorden selbst war der letzte, sich dieses Vorwalten künstlerischen Hanges auch in gelehrter Arbeit zum Ruhme anzurechnen. In seiner Bescheidenheit glaubte er in dem Übergewichte von Anregung über das positive Wissen, welches er zu vermitteln pflegte, einen Fehler zu entdecken. Wir unsrerseits möchten gerade in diesem Zuge seines Wesens eine» seltenen Vorzug erblicken, der seiner Lehrthätigkeit zu ihren schönsten Erfolgen verhalf. Daß er die Richtung auf Fach und Brot — für die überwiegende Mehrheit der Studenten ja der natur¬ wüchsige Hang — durch seine Art zu lehren nicht begünstigte, wird niemand tadeln wollen. Das Gleichgewicht zwischen Anregung und Wissen stellt sich bei den meisten von selbst her, Noorden selbst erkannte das und sprach sich auch in diesem Sinne aus. Eine andre Gefahr aber lag allerdings nahe, Novrdcns Persönlichkeit war so mächtig, die Anregung, welche er ausübte, war so nachhaltig, die Energie seines Wesens wirkte so bestimmend, daß es einem jungen Manne, der sich ihm als Schüler in Kolleg und Seminar hingegeben hatte, schwer werden mußte, ihm gegenüber seine Selbständigkeit zu wahren. Ihm selbst blieb dieser Umstand am wenigsten verborgen, und er beklagte es, daß er seinen Schülern fast regel- mäßig mit dem fertigen Ergebnis der Forschung entgegentrete und die natür¬ liche Entwicklung ihrer Eigenheit dadurch vielleicht hemme. In treuer Sorge suchte er die Gefahr, die in diesem Verhältnis lag, abzuwenden, und mit einer Selbstverleugnung, die wir als den adlichstcn Zug seines Charakters verehren, entließ er darum gerade die liebsten seiner Schüler, wenn sie einige Semester bei ihm gewesen waren, aus dem Bereich seines persönlichen Einflusses, damit sie in andrer Schule — „bei sachlich tüchtigeren Meistern," wie er zu sagen pflegte — Selbständigkeit und Schaffensfähigkcit bewahrten. Einige sind dann später zu ihm zurückgekehrt, viele blieben in der fremde» Schule und sind eine Zierde derselben geworden, alle aber bewahren dem Manne, dem sie so viel verdanke», ein unvergängliches Gedächtnis. Was Noorden seinen Schülern war, läßt sich nicht mit dem Worte „Lehrer" erschöpfen. Freund und Berater war er ihnen allen, einige haben einen zweiten Vater an ihm verloren. Mit diesem und jenem blieb er auch nach seinen, Abgang von der Universität in brieflichem Verkehr, stand ihm anspornend und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/240
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/240>, abgerufen am 01.10.2024.