Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.<Lari von Noorden. den gemeinsamen Arbeiten herangezogen wurden. Die Sitte der von Stunde <Lari von Noorden. den gemeinsamen Arbeiten herangezogen wurden. Die Sitte der von Stunde <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0239" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155122"/> <fw type="header" place="top"> <Lari von Noorden.</fw><lb/> <p xml:id="ID_989" prev="#ID_988" next="#ID_990"> den gemeinsamen Arbeiten herangezogen wurden. Die Sitte der von Stunde<lb/> zu Stunde wechselnden Referate, bei denen immer nnr ein Teilnehmer direkt<lb/> beteiligt ist, kannte er nicht, er stellte allen dieselbe Aufgabe und ging mit seinen<lb/> Fragen von einem zum ander». Vorbedingung einer solchen Handhabung war<lb/> freilich auch die Möglichkeit einer für alle gleichmüßigen Vorbereitung, und<lb/> man sieht nun, weshalb es ihm so am Herzen liegen mußte, ein gemeinsames<lb/> Arbeitszimmer mit Bibliothek für seine Schüler zu haben. Eine weitere Folge<lb/> dieser Methode war die größte Anspannung jedes einzelnen. Arbeitslustig und<lb/> arbeitskräftig, wie er selbst war, nicht gewohnt, seinem Körper wie seinem Geiste<lb/> Mühe und Anstrengung zu sparen, pflegte er auch an seine Schüler die stärksten<lb/> Anforderungen zu stellen. Wer in sein Seminar ging, hatte eine arbeitsreiche<lb/> Zeit vor sich. Nachdem am ersten Abend die Aufgabe des Semesters besprochen,<lb/> die Quellen und Hilfsmittel aufgezählt und charakterisirt waren, pflegte Noorden<lb/> sofort als Einzelausgaben eine Reihe kritischer Fragen zu diktiren, deren jeder<lb/> er ein Verzeichnis der zugehörigen Qucllenstellcn und in gedrängtester Fassung<lb/> eine Anzahl von kritischen Nebenfragen beifügte, welche den Zweck hatten, ans<lb/> die wesentlichsten Punkte, auf die es bei Beantwortung der Hauptfragen ankam,<lb/> hinzuweisen. In der nächsten Zusammenkunft ward dann zuerst die Analyse<lb/> der einzelnen Quelleuberichte verlangt: der eine referirte über diese, der andre<lb/> über jene Quelle. In welchem Verhältnis die Quellen zu einander stünden,<lb/> wie jede für diesen oder jenen Punkt zu verwerten sei, wie die verschiedenen<lb/> Nachrichten sich ergänzten, welchem Berichte, wo die Aussagen sich entgegen¬<lb/> standen, zu folgen sei, das ward an der Hand jeuer kritischen Unterfragen im<lb/> einzelnen zu beantworten versucht. Zum Schluß ward die Summe gezogen,<lb/> Richtiges von Falschen und Tendenziösem geschieden und auf dem Grunde der<lb/> für wahr erkannten Quellcnaussagen der Aufbau des betreffenden Ereignisses,<lb/> seine kritische Herstellung unternommen. Das Lieblingsthema Novrdens in<lb/> diesen Übungen war die Zeit des Investiturstreites, die er von dem ersten Be¬<lb/> ginn dieses Kampfes unter Heinrich IV. und Gregor VII. bis zu seiner endlichen<lb/> formellen Beilegung unter Heinrich V. und Calixt in einer Folge von mehreren<lb/> Semestern zu behandeln pflegte. Aber auch Partien aus der Geschichte Friedrich<lb/> Barbarossas und ausgewählte Fragen aus der deutschen Verfassungsgeschichte<lb/> machte er zum Gegenstand seiner Seminarübungcn, und in Leipzig unternahm<lb/> er sogar das Wagnis, Stücke aus der neueren Geschichte (die französisch-euro¬<lb/> päische Politik der Jahre 166S bis 1668 und Friedrichs II. Listoirs as mon<lb/> tvinxs) auf diese Weise kritisch zu verwerten. Mit ruhiger Sicherheit wußte<lb/> er dabei die oft verwickelten kritischen Fragen, die sich aufthaten, und die an<lb/> sie geknüpfte lebhafte Debatte zu beherrschen. Bei allem Verfolgen sich um<lb/> eröffnender Nebcnpfade, bei allem Eingehen auf fremde Anschauungen oder auf<lb/> etwaige Einwürfe seiner Schüler verlor er nie den Faden, behielt er stets die<lb/> Leitung in der Hand. Dankte er diesen Umstand in erster Linie der eignen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0239]
<Lari von Noorden.
den gemeinsamen Arbeiten herangezogen wurden. Die Sitte der von Stunde
zu Stunde wechselnden Referate, bei denen immer nnr ein Teilnehmer direkt
beteiligt ist, kannte er nicht, er stellte allen dieselbe Aufgabe und ging mit seinen
Fragen von einem zum ander». Vorbedingung einer solchen Handhabung war
freilich auch die Möglichkeit einer für alle gleichmüßigen Vorbereitung, und
man sieht nun, weshalb es ihm so am Herzen liegen mußte, ein gemeinsames
Arbeitszimmer mit Bibliothek für seine Schüler zu haben. Eine weitere Folge
dieser Methode war die größte Anspannung jedes einzelnen. Arbeitslustig und
arbeitskräftig, wie er selbst war, nicht gewohnt, seinem Körper wie seinem Geiste
Mühe und Anstrengung zu sparen, pflegte er auch an seine Schüler die stärksten
Anforderungen zu stellen. Wer in sein Seminar ging, hatte eine arbeitsreiche
Zeit vor sich. Nachdem am ersten Abend die Aufgabe des Semesters besprochen,
die Quellen und Hilfsmittel aufgezählt und charakterisirt waren, pflegte Noorden
sofort als Einzelausgaben eine Reihe kritischer Fragen zu diktiren, deren jeder
er ein Verzeichnis der zugehörigen Qucllenstellcn und in gedrängtester Fassung
eine Anzahl von kritischen Nebenfragen beifügte, welche den Zweck hatten, ans
die wesentlichsten Punkte, auf die es bei Beantwortung der Hauptfragen ankam,
hinzuweisen. In der nächsten Zusammenkunft ward dann zuerst die Analyse
der einzelnen Quelleuberichte verlangt: der eine referirte über diese, der andre
über jene Quelle. In welchem Verhältnis die Quellen zu einander stünden,
wie jede für diesen oder jenen Punkt zu verwerten sei, wie die verschiedenen
Nachrichten sich ergänzten, welchem Berichte, wo die Aussagen sich entgegen¬
standen, zu folgen sei, das ward an der Hand jeuer kritischen Unterfragen im
einzelnen zu beantworten versucht. Zum Schluß ward die Summe gezogen,
Richtiges von Falschen und Tendenziösem geschieden und auf dem Grunde der
für wahr erkannten Quellcnaussagen der Aufbau des betreffenden Ereignisses,
seine kritische Herstellung unternommen. Das Lieblingsthema Novrdens in
diesen Übungen war die Zeit des Investiturstreites, die er von dem ersten Be¬
ginn dieses Kampfes unter Heinrich IV. und Gregor VII. bis zu seiner endlichen
formellen Beilegung unter Heinrich V. und Calixt in einer Folge von mehreren
Semestern zu behandeln pflegte. Aber auch Partien aus der Geschichte Friedrich
Barbarossas und ausgewählte Fragen aus der deutschen Verfassungsgeschichte
machte er zum Gegenstand seiner Seminarübungcn, und in Leipzig unternahm
er sogar das Wagnis, Stücke aus der neueren Geschichte (die französisch-euro¬
päische Politik der Jahre 166S bis 1668 und Friedrichs II. Listoirs as mon
tvinxs) auf diese Weise kritisch zu verwerten. Mit ruhiger Sicherheit wußte
er dabei die oft verwickelten kritischen Fragen, die sich aufthaten, und die an
sie geknüpfte lebhafte Debatte zu beherrschen. Bei allem Verfolgen sich um
eröffnender Nebcnpfade, bei allem Eingehen auf fremde Anschauungen oder auf
etwaige Einwürfe seiner Schüler verlor er nie den Faden, behielt er stets die
Leitung in der Hand. Dankte er diesen Umstand in erster Linie der eignen
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