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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Unser Wuchergesetz.

Gewinnes. Ein solches Bewußtsein, da es eine innere Thatsache ist, läßt sich
nur schwer nachweisen; ein geschickter Wucherer läßt sich in eine Erörterung der
Vermögenslage seines Schuldners garnicht ein, er verweigert sogar, Referenzen
über dieselbe entgegenzunehmen, er zieht insgeheim seine Erkundigungen ein
und vermeidet Erörterungen mit dem Schuldner, die ihm nur gefährlich werden
können. Als eine Notlage wird aber nicht schon die öftere Geldverlegenheit
des Schuldners angesehen, vielmehr gehört dazu das dringende Bedürfnis des
Geldes zur Bestreitung der Lebensnotdurft oder zur Befriedigung andrängender
Gläubiger. Man wird zugeben, daß ein Kreditsuchender, welcher sich in dieser
Lage befindet, wohl auch bei dem ärgsten Halsabschneider keinen Kredit mehr
findet, sodaß also auch hier wieder eine ganze Reihe wucherischer Geschäfte ins
Freie fällt. Eine noch größere Schwierigkeit bieten die Begriffe Leichtsinn und
Unerfahrenheit; höchstens können dieselben mit Sicherheit auf Minderjährige
angewendet werden, und diese schützt schon der H 302 des Strafgesetzbuches.
Handelt es sich aber um Großjährige, um selbständige Handwerker und Bauer",
um Leute, die ihren Beruf verstehen, wie soll dann der Richter sie als leicht¬
sinnige und unerfahrene Menschen hinstellen? Viele Schuldner aber werden die
Anzeige schenen, um sich nicht in öffentlicher Gerichtssttznng mit solchen Prädikaten
brandmarken zu lassen. Zur Strafbarkeit gehört ferner, daß die wucherischer
Vorteile für die Gewährung des Darlehns versprochen sind; ein geschickter
Wucherer, der den Schuldner in seinen Klauen behält, läßt sich erst bei der
Rückgabe des kleinern Darlehns die Vergütung gewähren und streckt dann die
weitere Summe vor, wenn er straflos bleiben will. Und in wie freier Weise
können hier mehrere Wucherer, ohne daß der Schuldner etwas merkt, zusammen
operiren! Ebenso sällt ein rein persönlicher Nutzen, den sich ein Dritter bei
Gelegenheit des Geschäftsabschlusses ausbedinge, also eine hohe Provision, nicht
nnter die Strafe. Auch diese dem Gesetz nur zu sehr entsprechende Auffassung
gewährt dem Wucher neue Beute, denn bekanntlich hat Harpagon nie selbst das
Geld geliehen, sondern sich dazu eines Courtiers bedient. Wenn es nun auch
gleichgiltig ist, ob bei dem Abschluß des wucherischer Geschäfts der Gläubiger
persönlich in den Vordergrund tritt, so läßt sich durch solche Mittelspersonen
das wucherische Geschäft nur allzuleicht verdecken, die Verhältnisse verwickeln
sich noch mehr, und die Unterscheidung, was wucherische Leistung oder erlaubte
Provision ist, wird so schwer, daß in solchen Zweifclsfällen das Gesetz wiederum
versagen muß. Sind aber schon diese Klippen geeignet, die Machtlosigkeit des
Gesetzes zur Erscheinung zu bringen, so bleibt noch die stärkste, "das auffallende
Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung," übrig. Auf diesem Gebiete ist
der Richter souverän, hier entscheidet sein Ermessen in jedem einzelnen Falle.
Um dieses Mißverhältnis festzustellen, genügt nicht, wie das Reichsgericht auf
Grund der Materialien mit Recht ausführt, die bloße Vergleichung des landes¬
üblichen Zinssatzes mit den dem Bewucherten abgenommenen Prozenten, sondern


Unser Wuchergesetz.

Gewinnes. Ein solches Bewußtsein, da es eine innere Thatsache ist, läßt sich
nur schwer nachweisen; ein geschickter Wucherer läßt sich in eine Erörterung der
Vermögenslage seines Schuldners garnicht ein, er verweigert sogar, Referenzen
über dieselbe entgegenzunehmen, er zieht insgeheim seine Erkundigungen ein
und vermeidet Erörterungen mit dem Schuldner, die ihm nur gefährlich werden
können. Als eine Notlage wird aber nicht schon die öftere Geldverlegenheit
des Schuldners angesehen, vielmehr gehört dazu das dringende Bedürfnis des
Geldes zur Bestreitung der Lebensnotdurft oder zur Befriedigung andrängender
Gläubiger. Man wird zugeben, daß ein Kreditsuchender, welcher sich in dieser
Lage befindet, wohl auch bei dem ärgsten Halsabschneider keinen Kredit mehr
findet, sodaß also auch hier wieder eine ganze Reihe wucherischer Geschäfte ins
Freie fällt. Eine noch größere Schwierigkeit bieten die Begriffe Leichtsinn und
Unerfahrenheit; höchstens können dieselben mit Sicherheit auf Minderjährige
angewendet werden, und diese schützt schon der H 302 des Strafgesetzbuches.
Handelt es sich aber um Großjährige, um selbständige Handwerker und Bauer»,
um Leute, die ihren Beruf verstehen, wie soll dann der Richter sie als leicht¬
sinnige und unerfahrene Menschen hinstellen? Viele Schuldner aber werden die
Anzeige schenen, um sich nicht in öffentlicher Gerichtssttznng mit solchen Prädikaten
brandmarken zu lassen. Zur Strafbarkeit gehört ferner, daß die wucherischer
Vorteile für die Gewährung des Darlehns versprochen sind; ein geschickter
Wucherer, der den Schuldner in seinen Klauen behält, läßt sich erst bei der
Rückgabe des kleinern Darlehns die Vergütung gewähren und streckt dann die
weitere Summe vor, wenn er straflos bleiben will. Und in wie freier Weise
können hier mehrere Wucherer, ohne daß der Schuldner etwas merkt, zusammen
operiren! Ebenso sällt ein rein persönlicher Nutzen, den sich ein Dritter bei
Gelegenheit des Geschäftsabschlusses ausbedinge, also eine hohe Provision, nicht
nnter die Strafe. Auch diese dem Gesetz nur zu sehr entsprechende Auffassung
gewährt dem Wucher neue Beute, denn bekanntlich hat Harpagon nie selbst das
Geld geliehen, sondern sich dazu eines Courtiers bedient. Wenn es nun auch
gleichgiltig ist, ob bei dem Abschluß des wucherischer Geschäfts der Gläubiger
persönlich in den Vordergrund tritt, so läßt sich durch solche Mittelspersonen
das wucherische Geschäft nur allzuleicht verdecken, die Verhältnisse verwickeln
sich noch mehr, und die Unterscheidung, was wucherische Leistung oder erlaubte
Provision ist, wird so schwer, daß in solchen Zweifclsfällen das Gesetz wiederum
versagen muß. Sind aber schon diese Klippen geeignet, die Machtlosigkeit des
Gesetzes zur Erscheinung zu bringen, so bleibt noch die stärkste, „das auffallende
Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung," übrig. Auf diesem Gebiete ist
der Richter souverän, hier entscheidet sein Ermessen in jedem einzelnen Falle.
Um dieses Mißverhältnis festzustellen, genügt nicht, wie das Reichsgericht auf
Grund der Materialien mit Recht ausführt, die bloße Vergleichung des landes¬
üblichen Zinssatzes mit den dem Bewucherten abgenommenen Prozenten, sondern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/18>, abgerufen am 30.06.2024.