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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der Leiter des Glücks.

Worüber die Gatten sich schließlich verständigten, war, daß man zwar
niemandem ins Herz sehen könne, daß Hermine von Mockritz jedoch, wie sie
schon das o in ihrem Taufnamen verschmerzt habe, vermutlich auch den Verlust
des "von" gleich ihren Schwestern verschmerzen werde, und daß man denn also
in Gottes Namen -- so kapitulirte Kaspar Benedikt -- es für eine Fügung
des Himmels ansehen wolle, wenn der Adoptivsohn sich sür Hermine entscheide,
und -- setzte Frau Anna hinzu -- das Fräulein von Mockritz für ihn.

Bei einer andern Gelegenheit wurde der mögliche Fall ins Auge gefaßt,
daß Bertholds Geschmack durch das lange Leben in der Wildnis -- lange war
er übrigens eigentlich nicht fort gewesen und am wenigsten lange in der Wildnis --,
daß also sein Geschmack verwildert sei, mithin alle die schönen Luftschlösser des
Ehepaares in Duft zerflossen. Für diesen Fall müssen wir wissen, was uns
obliegt, sagte Frau Anna; unsre ganze Einrichtung hier legt uns Pflichten auf.
Wir dürfen uns nicht lächerlich machen. Unter unserm Stande heiraten darf
Verthold nicht. Darüber wenigstens muß er klar sein.

Sobald die Einrichtung der merkwürdigen Villa in eine der Wagschalen
geworfen wurde, in denen das Ehepaar seine Gründe für oder gegen eine Frage
abwog, da ging das Zünglein immer stark nach der Seite der so belasteten
Schale.

Aber der Fabrikant glaubte betonen zu müssen, daß junge Leute junge
Leute seien, und daß man nur in Güte dem Pflegesohne zu verstehen geben
könne --

Dies sei unser wohlerwogener Standpunkt, vervollständigte Frau Anna den
von ihrem Gatten in der Schwebe gelassenen Satz, aber dabei setzen wir hinzu!
unser unerschütterlicher Standpunkt. Darin wenigstens wollen wir feststehen
wie die Berge. Du kommst nur immer so rasch ins Wanken, Alter! Fest wie
die Berge Tirols.

Oder der Schweiz.

Oder der Schweiz -- aber du spottest wohl?

Nicht doch! Der Zuschnitt unsers Lebens zwingt in der That dazu, ge¬
wisse Rücksichten zu nehmen, stimmte Kaspar Benedikt bei.

Wir wollen ja nicht hoch hinaus, erwärmte sich Frau Anna mehr und
mehr; wie lange schon könntest du Freiherr sein --

Nun, nun!

Wenn du den Schießplatz hergabst?

Vielleicht Herr von, aber --

Aber nicht Freiherr von?

Vielleicht auch Freiherr von, was geht es uns an? Daß wir nicht über
unsern Stand hinaus wollen, darüber brauchen wir ja nicht erst Worte zu ver¬
lieren.

Aber was ist unser Stand?


Auf der Leiter des Glücks.

Worüber die Gatten sich schließlich verständigten, war, daß man zwar
niemandem ins Herz sehen könne, daß Hermine von Mockritz jedoch, wie sie
schon das o in ihrem Taufnamen verschmerzt habe, vermutlich auch den Verlust
des „von" gleich ihren Schwestern verschmerzen werde, und daß man denn also
in Gottes Namen — so kapitulirte Kaspar Benedikt — es für eine Fügung
des Himmels ansehen wolle, wenn der Adoptivsohn sich sür Hermine entscheide,
und — setzte Frau Anna hinzu — das Fräulein von Mockritz für ihn.

Bei einer andern Gelegenheit wurde der mögliche Fall ins Auge gefaßt,
daß Bertholds Geschmack durch das lange Leben in der Wildnis — lange war
er übrigens eigentlich nicht fort gewesen und am wenigsten lange in der Wildnis —,
daß also sein Geschmack verwildert sei, mithin alle die schönen Luftschlösser des
Ehepaares in Duft zerflossen. Für diesen Fall müssen wir wissen, was uns
obliegt, sagte Frau Anna; unsre ganze Einrichtung hier legt uns Pflichten auf.
Wir dürfen uns nicht lächerlich machen. Unter unserm Stande heiraten darf
Verthold nicht. Darüber wenigstens muß er klar sein.

Sobald die Einrichtung der merkwürdigen Villa in eine der Wagschalen
geworfen wurde, in denen das Ehepaar seine Gründe für oder gegen eine Frage
abwog, da ging das Zünglein immer stark nach der Seite der so belasteten
Schale.

Aber der Fabrikant glaubte betonen zu müssen, daß junge Leute junge
Leute seien, und daß man nur in Güte dem Pflegesohne zu verstehen geben
könne —

Dies sei unser wohlerwogener Standpunkt, vervollständigte Frau Anna den
von ihrem Gatten in der Schwebe gelassenen Satz, aber dabei setzen wir hinzu!
unser unerschütterlicher Standpunkt. Darin wenigstens wollen wir feststehen
wie die Berge. Du kommst nur immer so rasch ins Wanken, Alter! Fest wie
die Berge Tirols.

Oder der Schweiz.

Oder der Schweiz — aber du spottest wohl?

Nicht doch! Der Zuschnitt unsers Lebens zwingt in der That dazu, ge¬
wisse Rücksichten zu nehmen, stimmte Kaspar Benedikt bei.

Wir wollen ja nicht hoch hinaus, erwärmte sich Frau Anna mehr und
mehr; wie lange schon könntest du Freiherr sein —

Nun, nun!

Wenn du den Schießplatz hergabst?

Vielleicht Herr von, aber —

Aber nicht Freiherr von?

Vielleicht auch Freiherr von, was geht es uns an? Daß wir nicht über
unsern Stand hinaus wollen, darüber brauchen wir ja nicht erst Worte zu ver¬
lieren.

Aber was ist unser Stand?


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[0161] Auf der Leiter des Glücks. Worüber die Gatten sich schließlich verständigten, war, daß man zwar niemandem ins Herz sehen könne, daß Hermine von Mockritz jedoch, wie sie schon das o in ihrem Taufnamen verschmerzt habe, vermutlich auch den Verlust des „von" gleich ihren Schwestern verschmerzen werde, und daß man denn also in Gottes Namen — so kapitulirte Kaspar Benedikt — es für eine Fügung des Himmels ansehen wolle, wenn der Adoptivsohn sich sür Hermine entscheide, und — setzte Frau Anna hinzu — das Fräulein von Mockritz für ihn. Bei einer andern Gelegenheit wurde der mögliche Fall ins Auge gefaßt, daß Bertholds Geschmack durch das lange Leben in der Wildnis — lange war er übrigens eigentlich nicht fort gewesen und am wenigsten lange in der Wildnis —, daß also sein Geschmack verwildert sei, mithin alle die schönen Luftschlösser des Ehepaares in Duft zerflossen. Für diesen Fall müssen wir wissen, was uns obliegt, sagte Frau Anna; unsre ganze Einrichtung hier legt uns Pflichten auf. Wir dürfen uns nicht lächerlich machen. Unter unserm Stande heiraten darf Verthold nicht. Darüber wenigstens muß er klar sein. Sobald die Einrichtung der merkwürdigen Villa in eine der Wagschalen geworfen wurde, in denen das Ehepaar seine Gründe für oder gegen eine Frage abwog, da ging das Zünglein immer stark nach der Seite der so belasteten Schale. Aber der Fabrikant glaubte betonen zu müssen, daß junge Leute junge Leute seien, und daß man nur in Güte dem Pflegesohne zu verstehen geben könne — Dies sei unser wohlerwogener Standpunkt, vervollständigte Frau Anna den von ihrem Gatten in der Schwebe gelassenen Satz, aber dabei setzen wir hinzu! unser unerschütterlicher Standpunkt. Darin wenigstens wollen wir feststehen wie die Berge. Du kommst nur immer so rasch ins Wanken, Alter! Fest wie die Berge Tirols. Oder der Schweiz. Oder der Schweiz — aber du spottest wohl? Nicht doch! Der Zuschnitt unsers Lebens zwingt in der That dazu, ge¬ wisse Rücksichten zu nehmen, stimmte Kaspar Benedikt bei. Wir wollen ja nicht hoch hinaus, erwärmte sich Frau Anna mehr und mehr; wie lange schon könntest du Freiherr sein — Nun, nun! Wenn du den Schießplatz hergabst? Vielleicht Herr von, aber — Aber nicht Freiherr von? Vielleicht auch Freiherr von, was geht es uns an? Daß wir nicht über unsern Stand hinaus wollen, darüber brauchen wir ja nicht erst Worte zu ver¬ lieren. Aber was ist unser Stand?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/161>, abgerufen am 02.07.2024.