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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der Teller des Glücks.

Mittelstand.

Doch wohl wenigstens gebildeter Mittelstand.

Hin! Davon wollen wir lieber schweigen. Sagen wir schlichtweg: unser
Stand ist der Stand der Industriellen, also der fleißigen Leute im Staate,
und zwar der mit Erfolg fleißig gewesenen Leute, meinetwegen: der reich ge¬
wordenen fleißig gewesenen ehrlichen Leute. Seien wir mit diesem Range zu¬
frieden. Und wir sind es ja, was streiten wir denn?

Frau Anna hatte nie im Leben mit ihrem Kaspar Benedikt gestritten.
Alter, sagte sie begütigend, wenn wir das Glück und die Zukunft unsers Bert¬
hold besprechen, dürfen wir schon etwas warm werden. Verzeih mir.

Verzeih du mir, fügte sich auch der Gatte, im Grunde sind wir ja derselben
Meinung. Nein, das darf uns der Junge nicht zu Leide thun; auf der Stufe,
wohin wir gelangt sind, muß auch er Posto fassen. Und er wird es. Bisher
war er immer die Folgsamkeit selbst.

Wir hoben nie jemanden wegen seiner Armut oder seines Mangels an
Erziehung geringgeschätzt, erläuterte Frau Anna ihren und ihres Gatten
Standpunkt.

Nie; die Lose des Lebens fallen eben verschieden.

Aber man arbeitet sich nicht mühsam aus dem Wasser, um ini nächsten
Augenblicke wieder hineinzuspringe".

Und mühsam genug herausgearbeitet haben wir uns.

Also ob Hermine von Mockritz oder nicht -- auf keinen Fall eine Mcs-
allianz.

Kaspar Benedikt fand das Wort etwas gewagt vornehm, aber was sich
ungefähr dabei denken ließ, drückte freilich aus, was Frau Anna und er selbst
meinten.

Der Postbote ist da, rief Fräulein von Mockritz zum Fenster hinauf, denn
sie saß auf der Gartenbank unter dem Balkon, neben welchem die Gatten, ohne
an Herminens Nähe zu denken, disputirt hatten.

Frau Anna -wurde rot. Die wird alles gehört haben, flüsterte sie zu
Kaspar Benedikt.

Und warum sollte sich nicht?

Ich schäme mich unaussprechlich.

Ich nicht im allermindesten. Was bringt er? rief der Fabrikant hinab.

Wenn es ein Brief Ihrer Frau Mutter ist, sagte Frau Anna, so Prote¬
stire ich von vornherein. Sie bleiben jedenfalls noch bei uns. Ihre Mutter
mag eine Weile am Seestrande Nachkur halten.

Aber es ist ja gar kein Postbote, rief wiederum der Fabrikant. Her mit
dem Telegramm, guter Freund!

Von unserm Berthold? ergänzte Frau Anna mit strahlendem Gesicht.

Beide Gatten eilten, so rasch ihre Füße sie tragen wollten, treppab.


Auf der Teller des Glücks.

Mittelstand.

Doch wohl wenigstens gebildeter Mittelstand.

Hin! Davon wollen wir lieber schweigen. Sagen wir schlichtweg: unser
Stand ist der Stand der Industriellen, also der fleißigen Leute im Staate,
und zwar der mit Erfolg fleißig gewesenen Leute, meinetwegen: der reich ge¬
wordenen fleißig gewesenen ehrlichen Leute. Seien wir mit diesem Range zu¬
frieden. Und wir sind es ja, was streiten wir denn?

Frau Anna hatte nie im Leben mit ihrem Kaspar Benedikt gestritten.
Alter, sagte sie begütigend, wenn wir das Glück und die Zukunft unsers Bert¬
hold besprechen, dürfen wir schon etwas warm werden. Verzeih mir.

Verzeih du mir, fügte sich auch der Gatte, im Grunde sind wir ja derselben
Meinung. Nein, das darf uns der Junge nicht zu Leide thun; auf der Stufe,
wohin wir gelangt sind, muß auch er Posto fassen. Und er wird es. Bisher
war er immer die Folgsamkeit selbst.

Wir hoben nie jemanden wegen seiner Armut oder seines Mangels an
Erziehung geringgeschätzt, erläuterte Frau Anna ihren und ihres Gatten
Standpunkt.

Nie; die Lose des Lebens fallen eben verschieden.

Aber man arbeitet sich nicht mühsam aus dem Wasser, um ini nächsten
Augenblicke wieder hineinzuspringe».

Und mühsam genug herausgearbeitet haben wir uns.

Also ob Hermine von Mockritz oder nicht — auf keinen Fall eine Mcs-
allianz.

Kaspar Benedikt fand das Wort etwas gewagt vornehm, aber was sich
ungefähr dabei denken ließ, drückte freilich aus, was Frau Anna und er selbst
meinten.

Der Postbote ist da, rief Fräulein von Mockritz zum Fenster hinauf, denn
sie saß auf der Gartenbank unter dem Balkon, neben welchem die Gatten, ohne
an Herminens Nähe zu denken, disputirt hatten.

Frau Anna -wurde rot. Die wird alles gehört haben, flüsterte sie zu
Kaspar Benedikt.

Und warum sollte sich nicht?

Ich schäme mich unaussprechlich.

Ich nicht im allermindesten. Was bringt er? rief der Fabrikant hinab.

Wenn es ein Brief Ihrer Frau Mutter ist, sagte Frau Anna, so Prote¬
stire ich von vornherein. Sie bleiben jedenfalls noch bei uns. Ihre Mutter
mag eine Weile am Seestrande Nachkur halten.

Aber es ist ja gar kein Postbote, rief wiederum der Fabrikant. Her mit
dem Telegramm, guter Freund!

Von unserm Berthold? ergänzte Frau Anna mit strahlendem Gesicht.

Beide Gatten eilten, so rasch ihre Füße sie tragen wollten, treppab.


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[0162] Auf der Teller des Glücks. Mittelstand. Doch wohl wenigstens gebildeter Mittelstand. Hin! Davon wollen wir lieber schweigen. Sagen wir schlichtweg: unser Stand ist der Stand der Industriellen, also der fleißigen Leute im Staate, und zwar der mit Erfolg fleißig gewesenen Leute, meinetwegen: der reich ge¬ wordenen fleißig gewesenen ehrlichen Leute. Seien wir mit diesem Range zu¬ frieden. Und wir sind es ja, was streiten wir denn? Frau Anna hatte nie im Leben mit ihrem Kaspar Benedikt gestritten. Alter, sagte sie begütigend, wenn wir das Glück und die Zukunft unsers Bert¬ hold besprechen, dürfen wir schon etwas warm werden. Verzeih mir. Verzeih du mir, fügte sich auch der Gatte, im Grunde sind wir ja derselben Meinung. Nein, das darf uns der Junge nicht zu Leide thun; auf der Stufe, wohin wir gelangt sind, muß auch er Posto fassen. Und er wird es. Bisher war er immer die Folgsamkeit selbst. Wir hoben nie jemanden wegen seiner Armut oder seines Mangels an Erziehung geringgeschätzt, erläuterte Frau Anna ihren und ihres Gatten Standpunkt. Nie; die Lose des Lebens fallen eben verschieden. Aber man arbeitet sich nicht mühsam aus dem Wasser, um ini nächsten Augenblicke wieder hineinzuspringe». Und mühsam genug herausgearbeitet haben wir uns. Also ob Hermine von Mockritz oder nicht — auf keinen Fall eine Mcs- allianz. Kaspar Benedikt fand das Wort etwas gewagt vornehm, aber was sich ungefähr dabei denken ließ, drückte freilich aus, was Frau Anna und er selbst meinten. Der Postbote ist da, rief Fräulein von Mockritz zum Fenster hinauf, denn sie saß auf der Gartenbank unter dem Balkon, neben welchem die Gatten, ohne an Herminens Nähe zu denken, disputirt hatten. Frau Anna -wurde rot. Die wird alles gehört haben, flüsterte sie zu Kaspar Benedikt. Und warum sollte sich nicht? Ich schäme mich unaussprechlich. Ich nicht im allermindesten. Was bringt er? rief der Fabrikant hinab. Wenn es ein Brief Ihrer Frau Mutter ist, sagte Frau Anna, so Prote¬ stire ich von vornherein. Sie bleiben jedenfalls noch bei uns. Ihre Mutter mag eine Weile am Seestrande Nachkur halten. Aber es ist ja gar kein Postbote, rief wiederum der Fabrikant. Her mit dem Telegramm, guter Freund! Von unserm Berthold? ergänzte Frau Anna mit strahlendem Gesicht. Beide Gatten eilten, so rasch ihre Füße sie tragen wollten, treppab.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/162>, abgerufen am 02.10.2024.