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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Kaiser Maximilian I. als Kunstfreund.

unbekannten Meister übergeben, dem oder dessen Schule die letzte Hälfte der
Randzeichnungen des Bescmyoner Bruchstückes angehört. Man sieht, der Kaiser
wollte von der zeichnenden Kunst aus jedem Gaue des deutschen Vaterlandes
eine Probe haben. Nicht Meister Dürer allein sollte an dem Schmucke des
Buches thätig sein, sondern eine Reihe deutscher Künstler wurde dazu heran¬
gezogen. Thansings Annahme, daß der Kaiser die ganze Arbeit Dürer über¬
tragen habe, und daß dieser sie, nachdem er 45 Blätter vollendet hatte, beiseite
gelegt und seinem Schüler Springinklce überlassen habe, erweist sich also als
hinfällig. Nur durch das Bestreben, das ganze Buch im Kreise Dürers ent¬
stehen zu lassen, ist Thausing zu dieser Angabe geführt worden.

Die Randzeichnungen im Gebetbuche Kaiser Maximilians sind die vati¬
kanischen Loggien der deutschen Kunst. Das deutsche Volk hat die Pflicht, das
Schatzkästlein, welches sein kunstsinnigster Kaiser entstehen ließ, in Ehren und
im Andenken zu halten. Und jeder kann sich noch heute des allerliebsten Werkes
freuen, kann noch heute die Randzeichnungen als Umrahmungen seines Stamm¬
buches, seiner Familienchronik, seines Tagebuches verwenden, da Georg Hirth
in München davon eine vortreffliche Facsimileausgabe veranstaltet hat. Leider
kannte auch Hirth nur das in München bewahrte Fragment mit den Dürerschen
Zeichnungen. Vielleicht wird er aber gelegentlich auch das Behar?oner Bruch-
stück veröffentlichen, dann könnte das deutsche Volk sich rühmen, den künstlerischen
Schmuck aus dem Gebetbuche des ersten deutschen Kaisers der neuen Zeit voll¬
ständig zu besitzen.

Das Gebetbuch Maximilians führt uns auf ein drittes Kunstgebiet hin,
welchem die eifrigste Pflege des Kaisers zuteil wurde. Es war noch nicht
viel mehr als ein halbes Jahrhundert vergangen, seitdem Johann Gutenberg
in Mainz die Buchdruckerkunst erfunden hatte. Der Buchdruck hatte dann in
der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts bereits die schönsten Blüten
getrieben und einen Kunstzweig zur Entwicklung gebracht, der ohne ihn heute
dahingesiecht wäre, den deutschen Holzschnitt. Da die Bilder für den Ungebildeten
die Stelle der Schrift zu vertreten hatten, wurden nämlich fast alle Bücher des
fünfzehnten Jahrhunderts reich mit Holzschnitten geziert, die anfangs freilich
recht roh waren, aber allmählich immer wertvoller wurden.*) Schon der alte
Briefdrucker Albrecht Pfister von Bamberg hatte ums Jahr 1460 seine volks¬
tümlichen Bücher mit Holzschnitten versehen; seit dem Jahre 1470 hatten Augs¬
burg, Ulm und Köln sich durch ihre illustrirten Prachtwerke ausgezeichnet. Mit
den neunziger Jahren war Nürnberg in die Schranken getreten, wo der große



Vergl. die Einleitung zu meiner "Geschichte der deutschen Büchcrillustration der
Gothik und Frührenaissance," München und Leipzig, Georg Hirth, 1883 -- und meinen
Aufsatz über "Jllustrirte Prachtwerke des 15. und 16. Jahrhunderts" in deu Grenzboten
vom 13. Juni 1883.
Kaiser Maximilian I. als Kunstfreund.

unbekannten Meister übergeben, dem oder dessen Schule die letzte Hälfte der
Randzeichnungen des Bescmyoner Bruchstückes angehört. Man sieht, der Kaiser
wollte von der zeichnenden Kunst aus jedem Gaue des deutschen Vaterlandes
eine Probe haben. Nicht Meister Dürer allein sollte an dem Schmucke des
Buches thätig sein, sondern eine Reihe deutscher Künstler wurde dazu heran¬
gezogen. Thansings Annahme, daß der Kaiser die ganze Arbeit Dürer über¬
tragen habe, und daß dieser sie, nachdem er 45 Blätter vollendet hatte, beiseite
gelegt und seinem Schüler Springinklce überlassen habe, erweist sich also als
hinfällig. Nur durch das Bestreben, das ganze Buch im Kreise Dürers ent¬
stehen zu lassen, ist Thausing zu dieser Angabe geführt worden.

Die Randzeichnungen im Gebetbuche Kaiser Maximilians sind die vati¬
kanischen Loggien der deutschen Kunst. Das deutsche Volk hat die Pflicht, das
Schatzkästlein, welches sein kunstsinnigster Kaiser entstehen ließ, in Ehren und
im Andenken zu halten. Und jeder kann sich noch heute des allerliebsten Werkes
freuen, kann noch heute die Randzeichnungen als Umrahmungen seines Stamm¬
buches, seiner Familienchronik, seines Tagebuches verwenden, da Georg Hirth
in München davon eine vortreffliche Facsimileausgabe veranstaltet hat. Leider
kannte auch Hirth nur das in München bewahrte Fragment mit den Dürerschen
Zeichnungen. Vielleicht wird er aber gelegentlich auch das Behar?oner Bruch-
stück veröffentlichen, dann könnte das deutsche Volk sich rühmen, den künstlerischen
Schmuck aus dem Gebetbuche des ersten deutschen Kaisers der neuen Zeit voll¬
ständig zu besitzen.

Das Gebetbuch Maximilians führt uns auf ein drittes Kunstgebiet hin,
welchem die eifrigste Pflege des Kaisers zuteil wurde. Es war noch nicht
viel mehr als ein halbes Jahrhundert vergangen, seitdem Johann Gutenberg
in Mainz die Buchdruckerkunst erfunden hatte. Der Buchdruck hatte dann in
der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts bereits die schönsten Blüten
getrieben und einen Kunstzweig zur Entwicklung gebracht, der ohne ihn heute
dahingesiecht wäre, den deutschen Holzschnitt. Da die Bilder für den Ungebildeten
die Stelle der Schrift zu vertreten hatten, wurden nämlich fast alle Bücher des
fünfzehnten Jahrhunderts reich mit Holzschnitten geziert, die anfangs freilich
recht roh waren, aber allmählich immer wertvoller wurden.*) Schon der alte
Briefdrucker Albrecht Pfister von Bamberg hatte ums Jahr 1460 seine volks¬
tümlichen Bücher mit Holzschnitten versehen; seit dem Jahre 1470 hatten Augs¬
burg, Ulm und Köln sich durch ihre illustrirten Prachtwerke ausgezeichnet. Mit
den neunziger Jahren war Nürnberg in die Schranken getreten, wo der große



Vergl. die Einleitung zu meiner „Geschichte der deutschen Büchcrillustration der
Gothik und Frührenaissance," München und Leipzig, Georg Hirth, 1883 — und meinen
Aufsatz über „Jllustrirte Prachtwerke des 15. und 16. Jahrhunderts" in deu Grenzboten
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[0143] Kaiser Maximilian I. als Kunstfreund. unbekannten Meister übergeben, dem oder dessen Schule die letzte Hälfte der Randzeichnungen des Bescmyoner Bruchstückes angehört. Man sieht, der Kaiser wollte von der zeichnenden Kunst aus jedem Gaue des deutschen Vaterlandes eine Probe haben. Nicht Meister Dürer allein sollte an dem Schmucke des Buches thätig sein, sondern eine Reihe deutscher Künstler wurde dazu heran¬ gezogen. Thansings Annahme, daß der Kaiser die ganze Arbeit Dürer über¬ tragen habe, und daß dieser sie, nachdem er 45 Blätter vollendet hatte, beiseite gelegt und seinem Schüler Springinklce überlassen habe, erweist sich also als hinfällig. Nur durch das Bestreben, das ganze Buch im Kreise Dürers ent¬ stehen zu lassen, ist Thausing zu dieser Angabe geführt worden. Die Randzeichnungen im Gebetbuche Kaiser Maximilians sind die vati¬ kanischen Loggien der deutschen Kunst. Das deutsche Volk hat die Pflicht, das Schatzkästlein, welches sein kunstsinnigster Kaiser entstehen ließ, in Ehren und im Andenken zu halten. Und jeder kann sich noch heute des allerliebsten Werkes freuen, kann noch heute die Randzeichnungen als Umrahmungen seines Stamm¬ buches, seiner Familienchronik, seines Tagebuches verwenden, da Georg Hirth in München davon eine vortreffliche Facsimileausgabe veranstaltet hat. Leider kannte auch Hirth nur das in München bewahrte Fragment mit den Dürerschen Zeichnungen. Vielleicht wird er aber gelegentlich auch das Behar?oner Bruch- stück veröffentlichen, dann könnte das deutsche Volk sich rühmen, den künstlerischen Schmuck aus dem Gebetbuche des ersten deutschen Kaisers der neuen Zeit voll¬ ständig zu besitzen. Das Gebetbuch Maximilians führt uns auf ein drittes Kunstgebiet hin, welchem die eifrigste Pflege des Kaisers zuteil wurde. Es war noch nicht viel mehr als ein halbes Jahrhundert vergangen, seitdem Johann Gutenberg in Mainz die Buchdruckerkunst erfunden hatte. Der Buchdruck hatte dann in der zweiten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts bereits die schönsten Blüten getrieben und einen Kunstzweig zur Entwicklung gebracht, der ohne ihn heute dahingesiecht wäre, den deutschen Holzschnitt. Da die Bilder für den Ungebildeten die Stelle der Schrift zu vertreten hatten, wurden nämlich fast alle Bücher des fünfzehnten Jahrhunderts reich mit Holzschnitten geziert, die anfangs freilich recht roh waren, aber allmählich immer wertvoller wurden.*) Schon der alte Briefdrucker Albrecht Pfister von Bamberg hatte ums Jahr 1460 seine volks¬ tümlichen Bücher mit Holzschnitten versehen; seit dem Jahre 1470 hatten Augs¬ burg, Ulm und Köln sich durch ihre illustrirten Prachtwerke ausgezeichnet. Mit den neunziger Jahren war Nürnberg in die Schranken getreten, wo der große Vergl. die Einleitung zu meiner „Geschichte der deutschen Büchcrillustration der Gothik und Frührenaissance," München und Leipzig, Georg Hirth, 1883 — und meinen Aufsatz über „Jllustrirte Prachtwerke des 15. und 16. Jahrhunderts" in deu Grenzboten vom 13. Juni 1883.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/143>, abgerufen am 23.07.2024.