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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Pfisters Mühle.

Sie hatte ihm daraus vorgelesen -- aus einem von ihres Vaters Ge¬
schichtsdramen nämlich, denn -- er that in seiner letzten Zeit nichts lieberes als
das anzuhören, meinte Christine später. Unsereinem hielt es den Atem an, wenn
man auch nur das wenigste davon verstand; aber er atmete besser dabei, und
es war ihm eine Beruhigung, daß es selten einem Kaiser und König und grau¬
samen griechischen und römischen Soldaten und allen vornehmsten Damen gegen
Ende ihrer Komödien besser ergehe als dein Müller von Pfisters Mühle. --

Als bei unserm Eintritt das Fräulein erschreckt und errötend sich erheben
wollte, legte ihr Vater Pfister die Hand auf die Schulter und drückte sie sanft
wieder nieder. Die andre Hand streckte er uns entgegen:

Guck mal, so schnell seid ihr da? Das ist schön! Und du auch, Doktor
Adam -- trotzdem daß man keine Zeitung umwenden kann, ohne dich hinten-
drin zu finden unter Pauken und Posaunen mit deinem Mordgeschäft von Aller-
weltswäsche. Das ist brav! Und du, Junge, Ebertchen, nun zieh mir nur
keine Gesichter; ich bin ganz zufrieden mit mir, und ebenso mit unserm klugen
Herrgott, wenn der mal wieder das Beste wissen sollte, und den alten Pfister,
Jacke wie Hose, in seine wirkliche, gründliche große Wäsche nähme. Ein gar
lustiges Trockenwetter schickt er ja dazu schon im vorauf -- die beste Luft, die
er hat für 'nen Patienten wie ich. Offene Fenster den ganzen Tag und zu
Mittag im Rollstuhl unterm blühenden Baum im Oktober. Was will da
unsereiner mehr? .,. Nun legt ab, und macht's euch behaglich, und spielt nicht
mehr die Narren, wenn's euch auch einleuchtete, daß ihr zum letzten Kommers
in Pfisters Mühle verschrieben seid, Kommilitonen! Helft mir Contenance
behalten und tragt's euerm alten Schoppcnwirt nicht nach, wenn er die letzten
Jahre durch zu muffig den Philister herausgekehrt hat. Willkommen denn zum
letztenmal im Bund -- und sieh, Ebert, das liebe Fräulein und mein liebes Kind
hier hat mich noch in die Schule genommen; und dich, Adam Asche, habe ich
diesmal nicht berufen, mir meinen Mühlbach auf Krickerode zu untersuchen, son¬
dern dich rin allen deinen Wissenschaften und Chemikalien und richtigen Begriffen
von unserm Verkehr auf der Erde auch noch mal in die Schule zu geben.

O wie gern kniee ich mit umgehängten Esel auf Erbsen, Vater Pfister!
rief Adam Asche mit sehr unsicherer Stimme, und das liebe Fräulein fuhr nun
doch auf und trat hinter den Stuhl des kranken Greises, wie um ihn als
eine Schutzwehr oder als ein Katheder zu benutzen: ein Lachen, das ganz Pfisters
Mühle in ihren besten Tagen war, verklärte das fieberheiße Gesicht des guten,
schlauen, letzten Wirtes von Pfisters Vergnügensgarten. --

Zu Mittage am andern Tage, als dann wiederum diese Herbstsonne wie
im vollen Sommer den leeren Garten anlachte, saßen wir am dritten Tisch
in der Reihe rechts unter dem noch einmal so kurz vor dem ersten Schneefall
blütentragenden Kastanienbaum, alle die wir nach gestelltem Rade und abge¬
nommenen Schenkenzeichen noch dazu gehörten: unser lieber Meister und Vater
Bertram Pfister, Fräulein Albertine Lippoldes, Doktor A. A. Asche, Jungfer
Christine Voigt, saufe und ich, Doktor Eberhard Pfister; und der Vater
Pfister hielt in Atemnot und bei von den Füßen aufwärts steigender Wassersucht
seine letzte Tischrede in seinem Garten. Sie floß leider damals nicht so leicht
hin, wie hier aus meiner Feder.
'

Kinder, sagte er, s ist meine Devise gewesen: Vergnügte Gesichter! und
wenn ich meine letzte Zeit durch selber keins gemacht, sondern konträr mich als
ein richtiger Narr und Brummkopf aufgeführt habe, so denkt nicht daran, son-


Pfisters Mühle.

Sie hatte ihm daraus vorgelesen — aus einem von ihres Vaters Ge¬
schichtsdramen nämlich, denn — er that in seiner letzten Zeit nichts lieberes als
das anzuhören, meinte Christine später. Unsereinem hielt es den Atem an, wenn
man auch nur das wenigste davon verstand; aber er atmete besser dabei, und
es war ihm eine Beruhigung, daß es selten einem Kaiser und König und grau¬
samen griechischen und römischen Soldaten und allen vornehmsten Damen gegen
Ende ihrer Komödien besser ergehe als dein Müller von Pfisters Mühle. —

Als bei unserm Eintritt das Fräulein erschreckt und errötend sich erheben
wollte, legte ihr Vater Pfister die Hand auf die Schulter und drückte sie sanft
wieder nieder. Die andre Hand streckte er uns entgegen:

Guck mal, so schnell seid ihr da? Das ist schön! Und du auch, Doktor
Adam — trotzdem daß man keine Zeitung umwenden kann, ohne dich hinten-
drin zu finden unter Pauken und Posaunen mit deinem Mordgeschäft von Aller-
weltswäsche. Das ist brav! Und du, Junge, Ebertchen, nun zieh mir nur
keine Gesichter; ich bin ganz zufrieden mit mir, und ebenso mit unserm klugen
Herrgott, wenn der mal wieder das Beste wissen sollte, und den alten Pfister,
Jacke wie Hose, in seine wirkliche, gründliche große Wäsche nähme. Ein gar
lustiges Trockenwetter schickt er ja dazu schon im vorauf — die beste Luft, die
er hat für 'nen Patienten wie ich. Offene Fenster den ganzen Tag und zu
Mittag im Rollstuhl unterm blühenden Baum im Oktober. Was will da
unsereiner mehr? .,. Nun legt ab, und macht's euch behaglich, und spielt nicht
mehr die Narren, wenn's euch auch einleuchtete, daß ihr zum letzten Kommers
in Pfisters Mühle verschrieben seid, Kommilitonen! Helft mir Contenance
behalten und tragt's euerm alten Schoppcnwirt nicht nach, wenn er die letzten
Jahre durch zu muffig den Philister herausgekehrt hat. Willkommen denn zum
letztenmal im Bund — und sieh, Ebert, das liebe Fräulein und mein liebes Kind
hier hat mich noch in die Schule genommen; und dich, Adam Asche, habe ich
diesmal nicht berufen, mir meinen Mühlbach auf Krickerode zu untersuchen, son¬
dern dich rin allen deinen Wissenschaften und Chemikalien und richtigen Begriffen
von unserm Verkehr auf der Erde auch noch mal in die Schule zu geben.

O wie gern kniee ich mit umgehängten Esel auf Erbsen, Vater Pfister!
rief Adam Asche mit sehr unsicherer Stimme, und das liebe Fräulein fuhr nun
doch auf und trat hinter den Stuhl des kranken Greises, wie um ihn als
eine Schutzwehr oder als ein Katheder zu benutzen: ein Lachen, das ganz Pfisters
Mühle in ihren besten Tagen war, verklärte das fieberheiße Gesicht des guten,
schlauen, letzten Wirtes von Pfisters Vergnügensgarten. —

Zu Mittage am andern Tage, als dann wiederum diese Herbstsonne wie
im vollen Sommer den leeren Garten anlachte, saßen wir am dritten Tisch
in der Reihe rechts unter dem noch einmal so kurz vor dem ersten Schneefall
blütentragenden Kastanienbaum, alle die wir nach gestelltem Rade und abge¬
nommenen Schenkenzeichen noch dazu gehörten: unser lieber Meister und Vater
Bertram Pfister, Fräulein Albertine Lippoldes, Doktor A. A. Asche, Jungfer
Christine Voigt, saufe und ich, Doktor Eberhard Pfister; und der Vater
Pfister hielt in Atemnot und bei von den Füßen aufwärts steigender Wassersucht
seine letzte Tischrede in seinem Garten. Sie floß leider damals nicht so leicht
hin, wie hier aus meiner Feder.
'

Kinder, sagte er, s ist meine Devise gewesen: Vergnügte Gesichter! und
wenn ich meine letzte Zeit durch selber keins gemacht, sondern konträr mich als
ein richtiger Narr und Brummkopf aufgeführt habe, so denkt nicht daran, son-


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[0654] Pfisters Mühle. Sie hatte ihm daraus vorgelesen — aus einem von ihres Vaters Ge¬ schichtsdramen nämlich, denn — er that in seiner letzten Zeit nichts lieberes als das anzuhören, meinte Christine später. Unsereinem hielt es den Atem an, wenn man auch nur das wenigste davon verstand; aber er atmete besser dabei, und es war ihm eine Beruhigung, daß es selten einem Kaiser und König und grau¬ samen griechischen und römischen Soldaten und allen vornehmsten Damen gegen Ende ihrer Komödien besser ergehe als dein Müller von Pfisters Mühle. — Als bei unserm Eintritt das Fräulein erschreckt und errötend sich erheben wollte, legte ihr Vater Pfister die Hand auf die Schulter und drückte sie sanft wieder nieder. Die andre Hand streckte er uns entgegen: Guck mal, so schnell seid ihr da? Das ist schön! Und du auch, Doktor Adam — trotzdem daß man keine Zeitung umwenden kann, ohne dich hinten- drin zu finden unter Pauken und Posaunen mit deinem Mordgeschäft von Aller- weltswäsche. Das ist brav! Und du, Junge, Ebertchen, nun zieh mir nur keine Gesichter; ich bin ganz zufrieden mit mir, und ebenso mit unserm klugen Herrgott, wenn der mal wieder das Beste wissen sollte, und den alten Pfister, Jacke wie Hose, in seine wirkliche, gründliche große Wäsche nähme. Ein gar lustiges Trockenwetter schickt er ja dazu schon im vorauf — die beste Luft, die er hat für 'nen Patienten wie ich. Offene Fenster den ganzen Tag und zu Mittag im Rollstuhl unterm blühenden Baum im Oktober. Was will da unsereiner mehr? .,. Nun legt ab, und macht's euch behaglich, und spielt nicht mehr die Narren, wenn's euch auch einleuchtete, daß ihr zum letzten Kommers in Pfisters Mühle verschrieben seid, Kommilitonen! Helft mir Contenance behalten und tragt's euerm alten Schoppcnwirt nicht nach, wenn er die letzten Jahre durch zu muffig den Philister herausgekehrt hat. Willkommen denn zum letztenmal im Bund — und sieh, Ebert, das liebe Fräulein und mein liebes Kind hier hat mich noch in die Schule genommen; und dich, Adam Asche, habe ich diesmal nicht berufen, mir meinen Mühlbach auf Krickerode zu untersuchen, son¬ dern dich rin allen deinen Wissenschaften und Chemikalien und richtigen Begriffen von unserm Verkehr auf der Erde auch noch mal in die Schule zu geben. O wie gern kniee ich mit umgehängten Esel auf Erbsen, Vater Pfister! rief Adam Asche mit sehr unsicherer Stimme, und das liebe Fräulein fuhr nun doch auf und trat hinter den Stuhl des kranken Greises, wie um ihn als eine Schutzwehr oder als ein Katheder zu benutzen: ein Lachen, das ganz Pfisters Mühle in ihren besten Tagen war, verklärte das fieberheiße Gesicht des guten, schlauen, letzten Wirtes von Pfisters Vergnügensgarten. — Zu Mittage am andern Tage, als dann wiederum diese Herbstsonne wie im vollen Sommer den leeren Garten anlachte, saßen wir am dritten Tisch in der Reihe rechts unter dem noch einmal so kurz vor dem ersten Schneefall blütentragenden Kastanienbaum, alle die wir nach gestelltem Rade und abge¬ nommenen Schenkenzeichen noch dazu gehörten: unser lieber Meister und Vater Bertram Pfister, Fräulein Albertine Lippoldes, Doktor A. A. Asche, Jungfer Christine Voigt, saufe und ich, Doktor Eberhard Pfister; und der Vater Pfister hielt in Atemnot und bei von den Füßen aufwärts steigender Wassersucht seine letzte Tischrede in seinem Garten. Sie floß leider damals nicht so leicht hin, wie hier aus meiner Feder. ' Kinder, sagte er, s ist meine Devise gewesen: Vergnügte Gesichter! und wenn ich meine letzte Zeit durch selber keins gemacht, sondern konträr mich als ein richtiger Narr und Brummkopf aufgeführt habe, so denkt nicht daran, son-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/654>, abgerufen am 29.12.2024.