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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Die Leipziger Gewandhauskonzerte.

gemeinen Zahlen unsrer "Statistik," welche reden. Gabe erschien zuerst 1842
mit seiner Ouvertüre "Nachklänge aus Ossian," welche von Spohr und Schneider
des von dem Musikverein in Kopenhagen ausgesetzten Preises für würdig be¬
funden worden war, 1843 mit seiner L!-mo11-Symphonie, die "einen Beifallssturm
hervorrief, wie er einem bis dahin unbekannten Werke noch nie zuteil geworden
war." Beide Werke sind dann oft gespielt worden, aber seit 1872 die Ouvertüre
nicht mehr, seit 1873 die Symphonie nicht mehr. Von späteren Werken Gades
hat sich die ^-moll- und die L-aur-Symphonie und die Schottische Ouvertüre
"Im Hochland" bis in die Gegenwart herein erhalten; seine zweite Symphonie
aber (lZ-aur) hat seit 18S5 keine Aufführung wieder erlebt, vier andre, die in
der Zeit von 1863 bis 1872 erschienen, sind überhaupt nur je einmal auf¬
geführt worden! Von Ferdinand Hiller giebt es Kompositionen die schwere
Menge, Ouvertüren und Chorwerke, die alle nur eine, höchstens zwei Auf¬
führungen im Gewandhause erlebt haben. Ein etwas freundlicheres Loos ist
den sieben Lachnerschen Suiten beschieden gewesen; namentlich die zweite in
H-woll, unzweifelhaft freilich die reichste und gehaltvollste von allen, ist seit
ihrem ersten Erscheinen (1864) immer wieder an die Reihe gekommen, erst
vor wenigen Wochen noch; aber wer fragt noch nach den fünf Lachnerschen
Symphonien aus den Jahren 1834 bis 1833? keine von ihnen ist im Ge¬
wandhanse öfter als einmal gespielt worden.

Schneider, Spohr, Nietz, Gabe, Hiller, Lachner -- welche Reihe glänzender
Namen, und doch so schnell veraltet und veraltend! Und nun blicke man hin
auf jenes leuchtende Dreigestirn: Haydn, Mozart, Beethoven! Was hat ihnen
der Wechsel der Zeiten anhaben können? Stehen sie nicht wie die ewigen Götter
an den festgegründeten Ufern des Stroms, wahrend unzählige andre im Strome
treiben und über sich ergehen lassen müssen, was der Dichter als das Menschen-
loos schildert:


Uns hebt die Welle,
Verschlingt die Welle,
Und wir versinken.

Als Vor hundertunddrei Jahren die Gewandhauskonzerte gegründet wurden, zählte
Haydn neben vielen andern bereits zu den Lieblingen der Musikfreunde -- schon
auf dem dritten Programme (6. Dezember 1781) erscheint eine Symphonie von
ihm. Und auf dem dritten der drei Eiuweihungskonzerte in voriger Woche
stand an der Spitze wiederum eine Haydnsche Symphonie, und sie rief das
reinste Entzücken hervor, als wäre sie ein Werk von gestern. Nicht als "Aus¬
grabung," nicht als Bestandteil eines "historischen" Programms wurde sie
gespielt, nein, sie gehörte von Rechtswegen in dieses Programm, an die Seite
von Beethoven und Schumann, das fühlte jeder.

Sehr anziehend ist es, an der Hand unsrer Statistik zu verfolgen, wie
Mozart und namentlich wie Beethoven allmählich Boden gewonnen hat. Bei


Die Leipziger Gewandhauskonzerte.

gemeinen Zahlen unsrer „Statistik," welche reden. Gabe erschien zuerst 1842
mit seiner Ouvertüre „Nachklänge aus Ossian," welche von Spohr und Schneider
des von dem Musikverein in Kopenhagen ausgesetzten Preises für würdig be¬
funden worden war, 1843 mit seiner L!-mo11-Symphonie, die „einen Beifallssturm
hervorrief, wie er einem bis dahin unbekannten Werke noch nie zuteil geworden
war." Beide Werke sind dann oft gespielt worden, aber seit 1872 die Ouvertüre
nicht mehr, seit 1873 die Symphonie nicht mehr. Von späteren Werken Gades
hat sich die ^-moll- und die L-aur-Symphonie und die Schottische Ouvertüre
„Im Hochland" bis in die Gegenwart herein erhalten; seine zweite Symphonie
aber (lZ-aur) hat seit 18S5 keine Aufführung wieder erlebt, vier andre, die in
der Zeit von 1863 bis 1872 erschienen, sind überhaupt nur je einmal auf¬
geführt worden! Von Ferdinand Hiller giebt es Kompositionen die schwere
Menge, Ouvertüren und Chorwerke, die alle nur eine, höchstens zwei Auf¬
führungen im Gewandhause erlebt haben. Ein etwas freundlicheres Loos ist
den sieben Lachnerschen Suiten beschieden gewesen; namentlich die zweite in
H-woll, unzweifelhaft freilich die reichste und gehaltvollste von allen, ist seit
ihrem ersten Erscheinen (1864) immer wieder an die Reihe gekommen, erst
vor wenigen Wochen noch; aber wer fragt noch nach den fünf Lachnerschen
Symphonien aus den Jahren 1834 bis 1833? keine von ihnen ist im Ge¬
wandhanse öfter als einmal gespielt worden.

Schneider, Spohr, Nietz, Gabe, Hiller, Lachner — welche Reihe glänzender
Namen, und doch so schnell veraltet und veraltend! Und nun blicke man hin
auf jenes leuchtende Dreigestirn: Haydn, Mozart, Beethoven! Was hat ihnen
der Wechsel der Zeiten anhaben können? Stehen sie nicht wie die ewigen Götter
an den festgegründeten Ufern des Stroms, wahrend unzählige andre im Strome
treiben und über sich ergehen lassen müssen, was der Dichter als das Menschen-
loos schildert:


Uns hebt die Welle,
Verschlingt die Welle,
Und wir versinken.

Als Vor hundertunddrei Jahren die Gewandhauskonzerte gegründet wurden, zählte
Haydn neben vielen andern bereits zu den Lieblingen der Musikfreunde — schon
auf dem dritten Programme (6. Dezember 1781) erscheint eine Symphonie von
ihm. Und auf dem dritten der drei Eiuweihungskonzerte in voriger Woche
stand an der Spitze wiederum eine Haydnsche Symphonie, und sie rief das
reinste Entzücken hervor, als wäre sie ein Werk von gestern. Nicht als „Aus¬
grabung," nicht als Bestandteil eines „historischen" Programms wurde sie
gespielt, nein, sie gehörte von Rechtswegen in dieses Programm, an die Seite
von Beethoven und Schumann, das fühlte jeder.

Sehr anziehend ist es, an der Hand unsrer Statistik zu verfolgen, wie
Mozart und namentlich wie Beethoven allmählich Boden gewonnen hat. Bei


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[0643] Die Leipziger Gewandhauskonzerte. gemeinen Zahlen unsrer „Statistik," welche reden. Gabe erschien zuerst 1842 mit seiner Ouvertüre „Nachklänge aus Ossian," welche von Spohr und Schneider des von dem Musikverein in Kopenhagen ausgesetzten Preises für würdig be¬ funden worden war, 1843 mit seiner L!-mo11-Symphonie, die „einen Beifallssturm hervorrief, wie er einem bis dahin unbekannten Werke noch nie zuteil geworden war." Beide Werke sind dann oft gespielt worden, aber seit 1872 die Ouvertüre nicht mehr, seit 1873 die Symphonie nicht mehr. Von späteren Werken Gades hat sich die ^-moll- und die L-aur-Symphonie und die Schottische Ouvertüre „Im Hochland" bis in die Gegenwart herein erhalten; seine zweite Symphonie aber (lZ-aur) hat seit 18S5 keine Aufführung wieder erlebt, vier andre, die in der Zeit von 1863 bis 1872 erschienen, sind überhaupt nur je einmal auf¬ geführt worden! Von Ferdinand Hiller giebt es Kompositionen die schwere Menge, Ouvertüren und Chorwerke, die alle nur eine, höchstens zwei Auf¬ führungen im Gewandhause erlebt haben. Ein etwas freundlicheres Loos ist den sieben Lachnerschen Suiten beschieden gewesen; namentlich die zweite in H-woll, unzweifelhaft freilich die reichste und gehaltvollste von allen, ist seit ihrem ersten Erscheinen (1864) immer wieder an die Reihe gekommen, erst vor wenigen Wochen noch; aber wer fragt noch nach den fünf Lachnerschen Symphonien aus den Jahren 1834 bis 1833? keine von ihnen ist im Ge¬ wandhanse öfter als einmal gespielt worden. Schneider, Spohr, Nietz, Gabe, Hiller, Lachner — welche Reihe glänzender Namen, und doch so schnell veraltet und veraltend! Und nun blicke man hin auf jenes leuchtende Dreigestirn: Haydn, Mozart, Beethoven! Was hat ihnen der Wechsel der Zeiten anhaben können? Stehen sie nicht wie die ewigen Götter an den festgegründeten Ufern des Stroms, wahrend unzählige andre im Strome treiben und über sich ergehen lassen müssen, was der Dichter als das Menschen- loos schildert: Uns hebt die Welle, Verschlingt die Welle, Und wir versinken. Als Vor hundertunddrei Jahren die Gewandhauskonzerte gegründet wurden, zählte Haydn neben vielen andern bereits zu den Lieblingen der Musikfreunde — schon auf dem dritten Programme (6. Dezember 1781) erscheint eine Symphonie von ihm. Und auf dem dritten der drei Eiuweihungskonzerte in voriger Woche stand an der Spitze wiederum eine Haydnsche Symphonie, und sie rief das reinste Entzücken hervor, als wäre sie ein Werk von gestern. Nicht als „Aus¬ grabung," nicht als Bestandteil eines „historischen" Programms wurde sie gespielt, nein, sie gehörte von Rechtswegen in dieses Programm, an die Seite von Beethoven und Schumann, das fühlte jeder. Sehr anziehend ist es, an der Hand unsrer Statistik zu verfolgen, wie Mozart und namentlich wie Beethoven allmählich Boden gewonnen hat. Bei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/643>, abgerufen am 01.01.2025.