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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Paul Heyses Gedichte.

Ihm sollt' ich kindlich licbewarm das Knie
Umfassen, gut' und böse Gabe danken,
Im Wahn, daß er sie väterlich verlieh?
Niemals! Uns trennen himmelhohe Schranken.
Muß er mich leiden lassen, sei's darum!
Den: Weltall dient vielleicht des Wurmes Kranken.
Doch eh' mir seine Weisheit das Warum
Nicht offenbart, schweigt mir von Batergiite!
Wo blieb' ein Vater seinem Kinde stumm,
Wenn schon aus einem Wort ihm Trost erblichte?

Ob Wohl der Dichter da noch weit entfernt ist vom Pessimismus, mit dem er,
ein gewiß historisch bedeutsamer Typus, oft so mächtig ringt? Denn die hier ent¬
wickelten Gedanken, welche das Gegenteil von der religiösen Gläubigkeit an die
Existenz einer sittlichen Weltordnung bekunden, das Gegenteil von der frommen
Ergebung in den unerforschlichen Willen Gottes, sind einmal eben der dichte¬
rische Ausdruck des Pessimismus, welcher ja aus der Verzweiflung an die Ein¬
heit von Natur und Sittlichkeit entspringt, und dann keineswegs bloß verein¬
zelte Stimmung des Dichters, sondern wiederholt ausgesprochene Überzeugung.
In dem dritten Cyklus, der die im ersten und zweiten berührten Motive wieder¬
bringt, befindet sich ein "Fragment," welches in andern Bildern im Grunde
dieselben Gedanken ausspricht:


[Beginn Spaltensatz] Des ungewordenen
Allvaters Kronos
Weltalte Zwillingstöchter,
Natur und Schicksal --
Feindlichere Schwestern
Sah nie das Licht. Wenn die Jüngere,
Die Lebengebärerin,
Krnftcsprühend
Geschöpfe
Mit mannichfaltigen
Gaben segnet,
Oder gedankenlos
Ihr Geschenk
Durch Widerstreitendes
Wieder zerstört:
Nicht Tück' und Neid,
Nur der Unbedacht
spielender Kraft
Macht sie furchtbar
Ihren Geschöpfen. . . . [Spaltenumbruch] Aber die Ältere,
Die nie ein Götter-
Und Menschen-Mge
Lächeln sah,
Die finstere Heimarmene, --
Was sie thut,
Ist immer unhold,
Ob es auch gut wäre;
Denn alles seelenvolle,
Gütige, Zarte
^ ".......
^ sremo. Doch sieht sie wen,
Dem ihre Schwester
Liebgesinnt war,
Den sie mit ihrer Gaben begehrtesten,
Liebenswertesten ausgestattet,
Ergrimmt die Arge,
Da, wer geliebt wird,
Ihrer spotten mag.
Solche zu verderben
Sinne sie tückisch. . . . [Ende Spaltensatz]

Diese Anschauung vom Gegensatze zwischen der launischen, also sittlich indiffe¬
renten Natur und dem tückisch, also sittlich bewußt bösen Schicksal, giebt dem
Schopenhauerschen Pessimismus kaum etwas nach, und der Dichter kennt sich


Paul Heyses Gedichte.

Ihm sollt' ich kindlich licbewarm das Knie
Umfassen, gut' und böse Gabe danken,
Im Wahn, daß er sie väterlich verlieh?
Niemals! Uns trennen himmelhohe Schranken.
Muß er mich leiden lassen, sei's darum!
Den: Weltall dient vielleicht des Wurmes Kranken.
Doch eh' mir seine Weisheit das Warum
Nicht offenbart, schweigt mir von Batergiite!
Wo blieb' ein Vater seinem Kinde stumm,
Wenn schon aus einem Wort ihm Trost erblichte?

Ob Wohl der Dichter da noch weit entfernt ist vom Pessimismus, mit dem er,
ein gewiß historisch bedeutsamer Typus, oft so mächtig ringt? Denn die hier ent¬
wickelten Gedanken, welche das Gegenteil von der religiösen Gläubigkeit an die
Existenz einer sittlichen Weltordnung bekunden, das Gegenteil von der frommen
Ergebung in den unerforschlichen Willen Gottes, sind einmal eben der dichte¬
rische Ausdruck des Pessimismus, welcher ja aus der Verzweiflung an die Ein¬
heit von Natur und Sittlichkeit entspringt, und dann keineswegs bloß verein¬
zelte Stimmung des Dichters, sondern wiederholt ausgesprochene Überzeugung.
In dem dritten Cyklus, der die im ersten und zweiten berührten Motive wieder¬
bringt, befindet sich ein „Fragment," welches in andern Bildern im Grunde
dieselben Gedanken ausspricht:


[Beginn Spaltensatz] Des ungewordenen
Allvaters Kronos
Weltalte Zwillingstöchter,
Natur und Schicksal —
Feindlichere Schwestern
Sah nie das Licht. Wenn die Jüngere,
Die Lebengebärerin,
Krnftcsprühend
Geschöpfe
Mit mannichfaltigen
Gaben segnet,
Oder gedankenlos
Ihr Geschenk
Durch Widerstreitendes
Wieder zerstört:
Nicht Tück' und Neid,
Nur der Unbedacht
spielender Kraft
Macht sie furchtbar
Ihren Geschöpfen. . . . [Spaltenumbruch] Aber die Ältere,
Die nie ein Götter-
Und Menschen-Mge
Lächeln sah,
Die finstere Heimarmene, —
Was sie thut,
Ist immer unhold,
Ob es auch gut wäre;
Denn alles seelenvolle,
Gütige, Zarte
^ „.......
^ sremo. Doch sieht sie wen,
Dem ihre Schwester
Liebgesinnt war,
Den sie mit ihrer Gaben begehrtesten,
Liebenswertesten ausgestattet,
Ergrimmt die Arge,
Da, wer geliebt wird,
Ihrer spotten mag.
Solche zu verderben
Sinne sie tückisch. . . . [Ende Spaltensatz]

Diese Anschauung vom Gegensatze zwischen der launischen, also sittlich indiffe¬
renten Natur und dem tückisch, also sittlich bewußt bösen Schicksal, giebt dem
Schopenhauerschen Pessimismus kaum etwas nach, und der Dichter kennt sich


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[0637] Paul Heyses Gedichte. Ihm sollt' ich kindlich licbewarm das Knie Umfassen, gut' und böse Gabe danken, Im Wahn, daß er sie väterlich verlieh? Niemals! Uns trennen himmelhohe Schranken. Muß er mich leiden lassen, sei's darum! Den: Weltall dient vielleicht des Wurmes Kranken. Doch eh' mir seine Weisheit das Warum Nicht offenbart, schweigt mir von Batergiite! Wo blieb' ein Vater seinem Kinde stumm, Wenn schon aus einem Wort ihm Trost erblichte? Ob Wohl der Dichter da noch weit entfernt ist vom Pessimismus, mit dem er, ein gewiß historisch bedeutsamer Typus, oft so mächtig ringt? Denn die hier ent¬ wickelten Gedanken, welche das Gegenteil von der religiösen Gläubigkeit an die Existenz einer sittlichen Weltordnung bekunden, das Gegenteil von der frommen Ergebung in den unerforschlichen Willen Gottes, sind einmal eben der dichte¬ rische Ausdruck des Pessimismus, welcher ja aus der Verzweiflung an die Ein¬ heit von Natur und Sittlichkeit entspringt, und dann keineswegs bloß verein¬ zelte Stimmung des Dichters, sondern wiederholt ausgesprochene Überzeugung. In dem dritten Cyklus, der die im ersten und zweiten berührten Motive wieder¬ bringt, befindet sich ein „Fragment," welches in andern Bildern im Grunde dieselben Gedanken ausspricht: Des ungewordenen Allvaters Kronos Weltalte Zwillingstöchter, Natur und Schicksal — Feindlichere Schwestern Sah nie das Licht. Wenn die Jüngere, Die Lebengebärerin, Krnftcsprühend Geschöpfe Mit mannichfaltigen Gaben segnet, Oder gedankenlos Ihr Geschenk Durch Widerstreitendes Wieder zerstört: Nicht Tück' und Neid, Nur der Unbedacht spielender Kraft Macht sie furchtbar Ihren Geschöpfen. . . . Aber die Ältere, Die nie ein Götter- Und Menschen-Mge Lächeln sah, Die finstere Heimarmene, — Was sie thut, Ist immer unhold, Ob es auch gut wäre; Denn alles seelenvolle, Gütige, Zarte ^ „....... ^ sremo. Doch sieht sie wen, Dem ihre Schwester Liebgesinnt war, Den sie mit ihrer Gaben begehrtesten, Liebenswertesten ausgestattet, Ergrimmt die Arge, Da, wer geliebt wird, Ihrer spotten mag. Solche zu verderben Sinne sie tückisch. . . . Diese Anschauung vom Gegensatze zwischen der launischen, also sittlich indiffe¬ renten Natur und dem tückisch, also sittlich bewußt bösen Schicksal, giebt dem Schopenhauerschen Pessimismus kaum etwas nach, und der Dichter kennt sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/637>, abgerufen am 29.12.2024.