Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.Paul Heyses Gedichte. selbst nicht, wenn er in einem Sonett denselben ablehnt (Ob in der argen Welt).
Und kann er sich nicht entschließen, objektiv an eine sittliche Weltordnung zu
damit schließt der Dichter seine Elegien an Marianne und ähnlich die an seinen
In dem neunten "Reisebriefe" (an Wilhelm Hansen), in welchem Heyse Hätt' ein Gott ihm gegeben, auch das vom Herzen zu singen, Es ist bekannt, daß auch Goethe Unglück in seiner Familie hatte, daß ihm Paul Heyses Gedichte. selbst nicht, wenn er in einem Sonett denselben ablehnt (Ob in der argen Welt).
Und kann er sich nicht entschließen, objektiv an eine sittliche Weltordnung zu
damit schließt der Dichter seine Elegien an Marianne und ähnlich die an seinen
In dem neunten „Reisebriefe" (an Wilhelm Hansen), in welchem Heyse Hätt' ein Gott ihm gegeben, auch das vom Herzen zu singen, Es ist bekannt, daß auch Goethe Unglück in seiner Familie hatte, daß ihm <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0638" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157563"/> <fw type="header" place="top"> Paul Heyses Gedichte.</fw><lb/> <p xml:id="ID_2202" prev="#ID_2201"> selbst nicht, wenn er in einem Sonett denselben ablehnt (Ob in der argen Welt).<lb/> Und doch, wie natürlich erscheint uns dieses Glaubensbekenntnis Heyses! Wie<lb/> sehr im Einklang mit seinem ganzen künstlerischen Wesen! So wollen wir ihn<lb/> auch nicht auf pedantisch philosophische Weise in etwaige Widersprüche ver¬<lb/> folgen, sondern ihn als jene vollkommene künstlerische Einheit nehmen, als die<lb/> er uns erscheint; denn nur der Künstler in ihm ist es, welcher die unbewußt<lb/> schaffende Natur dem nüchtern richtenden Schicksal feindlich gegenüberstellt, und<lb/> es ist ganz künstlerisch, wenn er in jenem Sonett gegen die Optimisten und<lb/> Pessimisten Stellung nimmt:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_31" type="poem"> <l> Ich hab', indes ich wandelt' hier auf Erden,<lb/> Vom süßesten und Bittersten genossen<lb/> Und kenne dieses Daseins stark' und Schwachen.</l><lb/> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_2203"> Und kann er sich nicht entschließen, objektiv an eine sittliche Weltordnung zu<lb/> glauben, so trägt er doch als Frucht des schweren Leides, welches er erfahren,<lb/> die Liebe zur Menschheit und zur Welt davon.</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_32" type="poem"> <l> So früh hab' ich zurück dich geben müssen<lb/> Ans All, aus dem du flüchtig aufgetaucht;<lb/> Nun kann der Trost nur meinen Gram versüßen,<lb/> Daß aus dem All zurück dein Wesen haucht —</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_2204"> damit schließt der Dichter seine Elegien an Marianne und ähnlich die an seinen<lb/> Ernst:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_33" type="poem"> <l> Zu herzlich hing mein Herz an diesem Knaben.<lb/> Nun sei die Menschheit meines Lieblings Erbe,<lb/> Auf daß der Schatz, den ich für ihn gespart<lb/> An Liebeskraft, nicht herrenlos verderbe.</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_2205"> In dem neunten „Reisebriefe" (an Wilhelm Hansen), in welchem Heyse<lb/> anmutig dem Freunde aus Rom berichtet, daß er dieselbe Wohnung innehabe,<lb/> in welcher Goethe vor neunzig Jahren sich aufgehalten, wirft er die Frage auf,<lb/> wie es Goethe getragen haben würde, wenn ihn so Herdes getroffen hätte.</p><lb/> <quote> Hätt' ein Gott ihm gegeben, auch das vom Herzen zu singen,<lb/> Sein Verlornes Geliebtes mit dichtender Kraft zu vercw'gen?</quote><lb/> <p xml:id="ID_2206" next="#ID_2207"> Es ist bekannt, daß auch Goethe Unglück in seiner Familie hatte, daß ihm<lb/> Kinder gestorben sind, und daß er in gewaltigen« Schmerze sich zu Boden ivarf,<lb/> als er die Nachricht vom Tode seines ersten Kindes empfing. Aber charakte¬<lb/> ristisch für seine Kunst: ein Gedicht darüber scheint er, soviel bekannt ist, nicht<lb/> geschrieben zu haben. Für Heyses lyrische Kunst wurden die schweren Leiden<lb/> jener Ereignisse Anlaß zu glänzendster Entfaltung, und nicht bloß der Unter-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0638]
Paul Heyses Gedichte.
selbst nicht, wenn er in einem Sonett denselben ablehnt (Ob in der argen Welt).
Und doch, wie natürlich erscheint uns dieses Glaubensbekenntnis Heyses! Wie
sehr im Einklang mit seinem ganzen künstlerischen Wesen! So wollen wir ihn
auch nicht auf pedantisch philosophische Weise in etwaige Widersprüche ver¬
folgen, sondern ihn als jene vollkommene künstlerische Einheit nehmen, als die
er uns erscheint; denn nur der Künstler in ihm ist es, welcher die unbewußt
schaffende Natur dem nüchtern richtenden Schicksal feindlich gegenüberstellt, und
es ist ganz künstlerisch, wenn er in jenem Sonett gegen die Optimisten und
Pessimisten Stellung nimmt:
Ich hab', indes ich wandelt' hier auf Erden,
Vom süßesten und Bittersten genossen
Und kenne dieses Daseins stark' und Schwachen.
Und kann er sich nicht entschließen, objektiv an eine sittliche Weltordnung zu
glauben, so trägt er doch als Frucht des schweren Leides, welches er erfahren,
die Liebe zur Menschheit und zur Welt davon.
So früh hab' ich zurück dich geben müssen
Ans All, aus dem du flüchtig aufgetaucht;
Nun kann der Trost nur meinen Gram versüßen,
Daß aus dem All zurück dein Wesen haucht —
damit schließt der Dichter seine Elegien an Marianne und ähnlich die an seinen
Ernst:
Zu herzlich hing mein Herz an diesem Knaben.
Nun sei die Menschheit meines Lieblings Erbe,
Auf daß der Schatz, den ich für ihn gespart
An Liebeskraft, nicht herrenlos verderbe.
In dem neunten „Reisebriefe" (an Wilhelm Hansen), in welchem Heyse
anmutig dem Freunde aus Rom berichtet, daß er dieselbe Wohnung innehabe,
in welcher Goethe vor neunzig Jahren sich aufgehalten, wirft er die Frage auf,
wie es Goethe getragen haben würde, wenn ihn so Herdes getroffen hätte.
Hätt' ein Gott ihm gegeben, auch das vom Herzen zu singen,
Sein Verlornes Geliebtes mit dichtender Kraft zu vercw'gen?
Es ist bekannt, daß auch Goethe Unglück in seiner Familie hatte, daß ihm
Kinder gestorben sind, und daß er in gewaltigen« Schmerze sich zu Boden ivarf,
als er die Nachricht vom Tode seines ersten Kindes empfing. Aber charakte¬
ristisch für seine Kunst: ein Gedicht darüber scheint er, soviel bekannt ist, nicht
geschrieben zu haben. Für Heyses lyrische Kunst wurden die schweren Leiden
jener Ereignisse Anlaß zu glänzendster Entfaltung, und nicht bloß der Unter-
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